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Gemeinsamer Betrieb nach Betriebsverfassungsgesetz

Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.12.2010, 14 TaBV 24/10

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte zu klären, ob betriebsverfassungsrechtlich ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen vorlag.
Prinzipiell ist es möglich, dass mehrere Arbeitgeber einen gemeinsamen Betrieb betreiben. Materielle und immaterielle Betriebsmittel müssen zu einem arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst werden. Eine einheitliche Führung muss die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Belangen bedienen. Die Funktionen des Arbeitgebers müssen institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden.

Drei Unternehmen, die mit Bodenabfertigungsdienstleistungen für Luftfahrtunternehmen tätig sind, hatten zeitweise eine identische Geschäftsführung. Der damalige Personalleiter hatte Gesamtprokura für die einzelnen Unternehmen. Er war anfänglich sogar zum Geschäftsführer des dritten beteiligten Unternehmens bestellt. Es gibt eine übergeordnete Zentrale der belgischen Muttergesellschaft.

Das ursprüngliche Bodenabfertigungsunternehmen gründete nach Verhandlungen und Beauftragung durch die Lufthansa eine 100%ige Tochtergesellschaft. Die Tochtergesellschaft wurde als Subunternehmer des Bodenabfertigungsunternehmens tätig. Mit dieser Tochtergesellschaft wurden alle vereinbarten Leistungen für die Lufthansa und verbundene Unternehmen erbracht. In der Tochtergesellschaft sind rund 260 Personen beschäftigt. Davon rund 245 Leiharbeitnehmer, die vom dritten beteiligten Unternehmen gestellt werden. Das Leiharbeitsunternehmen ist ebenfalls eine 100%ige Tochtergesellschaft des ursprünglichen Bodenabfertigungsunternehmens.

Die Räume beider Bodenabfertigungsunternehmen liegen auf dem Flughafen in F., sind jedoch 3 km voneinander entfernt. Es gibt jeweils getrennte Einsatzpläne, Einsatzzentralen, Arbeitsanweisungen und Dienstpläne. Fahrzeuge und Geräteparks sind ebenfalls getrennt. Beide Unternehmen verfügen über eigenständige Geschäftsführer. Beide Unternehmen nutzen gleichartige EDV-Programme. Buchhaltung und Abrechnung sind jedoch voneinander getrennt.

Während früher die Dienstpläne vom ursprünglichen Bodenabfertigungsunternehmen erstellt wurden, ist dieser Vorgang seit Beginn 2010 für beide Unternehmen getrennt.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf erkannte sehr wohl, dass bedeutende Veränderungen in der Richtung unternommen wurden, beide Unternehmen als tatsächlich getrennte Unternehmen agieren zu lassen. Die dazu vollzogenen Schritte seien so tiefgreifend und zukunftsgerichtet, dass kein Zweifel daran besteht, diesen Status zukünftig zu erhalten.

Der getrennte Status beider Unternehmen wird nicht dadurch untergraben, dass sich beide Bodenabfertigungsunternehmen bei Engpässen mit Arbeitsmitteln und Personal aushelfen. Entsprechende Dienstleistungen werden gegenseitig in Rechnung gestellt.

Der Betriebsrat des ursprünglichen Bodenabfertigungsunternehmens beantragte die Feststellung, dass die beiden Bodenabfertigungsunternehmen über einen Gemeinschaftsbetrieb verfügen. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hatte dem Feststellungsantrag des Betriebsrates im Januar 2010 entsprochen.

Seither wurden deutlich sichtbar organisatorische Maßnahmen vorgenommen, um den eigenständigen Charakter beider Unternehmen zu zementieren. Getrennte Geschäftsführung und Personalleitung, getrennte Betriebsstätten, getrennte Kundenstämme, unterschiedliche Arbeitszwecke, da die Abfertigung nach Flugzeugtyp und Airline differiert. Arbeitnehmer und Betriebsmittel werden getrennt eingesetzt. Dienstpläne werden unabhängig erstellt.

Der Betriebsrat des ursprünglichen Unternehmens wählte im Mai 2010 einen neuen Betriebsrat, der für beide Unternehmen agieren soll. Die beiden Bodenabfertigungsunternehmen haben die Betriebsratswahl beim Arbeitsgericht Düsseldorf angefochten. Der Beschluss zur Anfechtung stand noch aus und wurde nicht als maßgeblich für die Entscheidung bezüglich eines gemeinsamen Betriebes angesehen. Vielmehr soll der Beschluss bezüglich eines gemeinsamen Betriebes als Richtlinie dienen, wie die zukünftigen Betriebsratswahlen zu gestalten sind.

Das LAG urteilte:

Von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen ist auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird.

Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken. Eine bloße unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. (vgl. BAG, Urteil vom 18.10.2000, AP Nr. 49 zu § 15 KSchG 1969; BAG, Beschluss vom 22.06.2005, AP Nr. 23 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb; BAG, Beschluss vom 13.08.2008, NZA-RR 2009, 255 ff. m.w.N.).

Die mit einem Konzernverhältnis verbundene Beherrschung eines Unternehmens durch ein anderes genügt für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs nicht. Dies gilt auch, wenn das herrschende Unternehmen dem beherrschten Unternehmen Weisungen erteilt. Das herrschende Unternehmen wird dadurch nicht zusammen mit dem beherrschten Unternehmen Inhaber eines gemeinsamen Betriebs.

Den gemeinsamen Betrieb kennzeichnet die für einen Gesamtzweck zusammengefasste Einbringung von Betriebsmitteln und Arbeitnehmern der verschiedenen Unternehmen. Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist (vgl. BAG, Beschluss vom 24.01.1996, AP Nr. 8 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb; BAG, Beschluss vom 22.06.2005, a.a.O.).

Die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelte Rechtsfigur des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen wurde durch das Gesetz zur Reform der Betriebsverfassung vom 23.07.2001 in § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BetrVG anerkannt. Die Vorschrift nimmt keine eigenständige Betriebsbestimmung vor, sondern regelt lediglich Voraussetzungen, unter denen ein Gemeinschaftsbetrieb widerlegbar vermutet wird. Sie legt dabei den von der Rechtsprechung entwickelten Begriff zugrunde, der damit weiterhin gültig ist (vgl. BAG, Beschluss vom 11.02.2004, a.a.O.; ErfK/Kiel, 11. Aufl., § 23 KSchG Rn. 5).