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Einstellung ohne getilgte Vorstrafen angeben zu müssen

Getilgte Vorstrafen müssen bei Einstellung nicht erklärt werden

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.03.2014, Aktenzeichen 2 AZR 1071/12

Für die Beschäftigung in einer Justizvollzugsanstalt müssen Verurteilungen, die im Bundeszentralregister getilgt sind, nicht angegeben werden. Bereits eingestellte strafrechtliche Ermittlungsverfahren müssen ebenfalls nicht angegeben werden.

Während einer Bewerbung um eine Stelle im allgemeinen Vollzugsdienst wurde eine formulargebundene Erklärung über Straftaten abgefordert.

Der Bewerber gab an, nicht vorbestraft zu sein. Es sei kein gerichtliches Strafverfahren und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig, auch nicht innerhalb der letzten 3 Jahre. Sein Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde erhielt keine Einträge.

Der Bewerber wurde als Justizvollzugsbediensteter eingestellt.

Im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung erfuhr das Land von einer Vorstrafe des Bediensteten wegen Körperverletzung und Betrug. Die Vollstreckung der Strafe war zur Bewährung ausgesetzt.

Weiterhin wurde bekannt, dass teilweise aufgrund von Selbstanzeige, innerhalb der letzten drei Jahre vor Einstellung, acht Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung, Diebstahl, Hausfriedensbruch, Betrug, Beleidigung und gefährliche Körperverletzung geführt und eingestellt worden waren. Im Rahmen von zwei Verfahren wurden die Geschädigten auf den Privatklageweg verwiesen. Die letzte Verfahrenseinstellung datierte weniger als ein Jahr vor dem Beginn des Arbeitsvertrages.

Das Land kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum Ende des Folgemonats. Noch während der Kündigungsfrist focht das Land den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an.

Der Justizvollzugsbedienstete wandte sich gegen Anfechtung und Kündigung. Er sei nicht verpflichtet gewesen, das Land über seine Vorstrafen und die Ermittlungsverfahren zu unterrichten. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er beantragte, ihn bis zum Abschluss des Verfahrens als Justizvollzugsbediensteten zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Das Land als Arbeitgeberin hingegen ging von arglistiger Täuschung aus. Der Bedienstete hätte bewusst falsche Angaben zu seinen Vorstrafen und Ermittlungsverfahren gemacht. Er wäre bei wahrheitsgemäßer Erklärung nicht eingestellt worden. Dem Auskunftsverlangen des Landes würden Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes nicht entgegenstehen. Der Bedienstete hätte Fragen zu seiner Person in einem für die Beschäftigung grundlegenden Bereich falsch beantwortet. Damit sei dem Arbeitsverhältnis das Vertrauen entzogen. Es sei unerlässlich, dass Arbeitnehmer offen und ehrlich Beispiel geben und eigene Fehler und Schwächen eingestehen.

Anzahl und Tatvorwürfe der Ermittlungsverfahren seien ein Beleg für die charakterliche Ungeeignetheit des Bediensteten.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben der Klage statt. Das Land als Arbeitgeberin verfolgte vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) weiterhin die Abweisung der Klage.

Das BAG stellte fest, das LAG habe zu Recht der Klage stattgegeben. Das BAG untersuchte zunächst, inwiefern die Anfechtung des Arbeitsvertrages das Arbeitsverhältnis aufgelöst habe. Wäre die Anfechtung wirksam, würde die Kündigungsschutzklage erfolglos bleiben.

Das Land als Arbeitgeberin sei nicht zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigt gewesen.

Die Anfechtung des Arbeitsvertrages sei nicht wirksam geworden, da die Anfechtung nach § 119 BGB unverzüglich zu erfolgen hat, sobald der Anfechtungsgrund bekannt sei. Das Land habe jedoch die Anfechtung erst einen Monat nach der Bekanntgabe der Kündigungsgründe erklärt. Selbst mit einer einzuräumenden Überlegungsfrist sei diese Zeitspanne nicht mehr unverzüglich. Es komme nicht darauf an, ob die behauptete Unzuverlässigkeit und Gewalttätigkeit des Bediensteten verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person sein könnten.

Eine arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) läge nicht vor. Die Arbeitgeberin dürfe Informationen über Vorstrafen einholen, soweit das bei objektiver Betrachtung für die Besetzung des Arbeitsplatzes notwendig sei.

Das Verschweigen von Tatsachen sei nur dann eine Täuschung, wenn eine Offenbarungspflicht bestehe. Voraussetzung für eine solche Pflicht sei, dass die betreffenden Umstände dem Bewerber die Erfüllung seiner vorgesehenen arbeitsvertraglichen Pflicht unmöglich machten oder seine Eignung für den Arbeitsplatz entscheidend berührten.

Der Bedienstete habe das Land nicht arglistig getäuscht, indem er angab, nicht vorbestraft und nicht gerichtlich bestraft zu sein. Die Verurteilung sei rund 7 Jahre vor der Bewerbung aus dem Bundeszentralregister getilgt worden. Er musste die erbetenen Erklärungen nicht so verstehen, dass er über getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen Auskunft zu geben habe. Das Land habe auch kein berechtigtes Interesse an der Offenbarung entsprechender Vorstrafen.

Nach § 53 Abs. 1 BZRG darf sich der Verurteilte gegenüber Behörden und Privatpersonen als unbestraft bezeichnen und braucht den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren, wenn die Verurteilung nicht in das Führungszeugnis oder nur in ein Führungszeugnis für Behörden nach § 32 Abs.3, Abs. 4 BZRG aufzunehmen (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG) oder wenn sie zu tilgen ist (§ 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG).

Auf diese Rechte kann sich ein Verurteilter nicht gegenüber Gerichten und Behörden berufen, soweit diese einen unbeschränkten Anspruch auf Auskunft haben. Die Ausnahme vom Verschweigerecht gelte jedoch nur für Sachverhalte, die im § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG (Bundeszentralregistergesetz) genannt sind, nicht für tilgungsreife oder bereits getilgte Verurteilungen.

Die Tilgungsfrist von 5 Jahren war für die Verurteilung zu Beginn des Bewerbungsverfahrens verstrichen und die Vorstrafe war aus dem Bundeszentralregister entfernt. Die Verurteilung unterlag damit auch nicht mehr einer unbeschränkten Auskunft iSv. § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG, die Justizvollzugsbehörden für Zwecke des Strafvollzugs einschließlich der Überprüfung aller im Strafvollzug tätigen Personen beanspruchen können.

Ein Bewerber, der allgemein nach Vorstrafen oder gerichtlichen Bestrafungen befragt werde, dürfe regelmäßig davon ausgehen, dass die Arbeitgeberin die Verschweigepflicht beachten möchte und sich auf den Umfang der Auskunftspflicht beschränke. Der Bedienstete konnte sich sicher sein, dass die Arbeitgeberin die Auskunftspflicht beschränke, da sie im Rahmen der erbetenen Erklärung ausdrücklich auf die Regelungen des BZRG einschließlich des erweiterten Auskunftsrechts hingewiesen habe.

Darüber hinaus sein kein schutzwürdiges, berechtigtes Interesse des Landes an Auskünften über getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen zu erkennen.

Das sich aus der Vertrags- und Abschlussfreiheit ableitende Fragerecht des Arbeitgebers ist zivilrechtlich durch den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers begrenzt. Der Ausgleich der widerstreitenden Interessen erfolgt im Rahmen der sich aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 und § 242 BGB ergebenden vorvertraglichen Pflichten.

Die Arbeitgeberin dürfe in der Regel nur nach einschlägigen, bezüglich der Eignung im zukünftigen Aufgabenbereich relevanten Vorstrafen fragen. Im öffentlichen Dienst zählten zur Eignung, die Fähigkeit und innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten. Öffentliche Arbeitgeber hätten deshalb durchaus ein Interesse nach Vorstrafen zu fragen, da strafrechtliche Verurteilungen unabhängig vom Delikt geeignet seien, Zweifel an der Rechtstreue und damit der Eignung des Bewerbers zu begründen. Das gelte jedoch nur für Verurteilungen, die noch nicht der Tilgung unterlägen. Es sei kein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse des Landes zu erkennen, Auskunft über getilgte und zu tilgende Vorstrafen zu erlangen.

Bezüglich getilgter und zu tilgender Vorstrafen könnten sich Betroffene auf das Verschweigerecht aus § 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG sowie auf § 51 Abs. 1 BZRG berufen. Betroffenen dürfe die Tat und die Verurteilung im Rechtsverkehr nicht vorgehalten werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Strafregister getilgt wurde oder zu tilgen ist. Verurteilte sollen damit vom Strafmakel befreit und deren Resozialisierung gefördert werden.

Es erscheine auch ausgeschlossen, aus einer gegen den Bediensteten verhängten Jugendstrafe auf eine Gefährdung der Allgemeinheit iSv. § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG zu schließen. Es bestand keine Verpflichtung, die Verurteilung von sich aus zu offenbaren. Das folge aus seinem Verschweigerecht.

Er habe das Land auch nicht arglistig getäuscht, indem er die zum Zeitpunkt der Bewerbung eingestellten Ermittlungsverfahren verschwieg. Öffentliche Arbeitgeber hätten grundsätzlich kein berechtigtes Interesse, Bewerber nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu befragen. Ermittlungsverfahren würden nicht in das Zentralregister eingetragen. Sie zählten deshalb nicht zu den Verfahren, über die Gerichte und Behörden uneingeschränkt Auskunft verlangen könnten. Es sei nicht vertretbar, den Betroffenen ohne Schuldnachweis mit den möglicherweise nachteiligen Folgen einer Eintragung zu belasten.

Endet ein Strafverfahren durch Einstellung nach §§ 153 ff. StPO, stehe der Betroffene weiter unter dem Schutz der Unschuldsvermutung. Das gelte zwar auch für laufende Ermittlungsverfahren, doch stehe nicht fest, ob dem Beschuldigten das Verschweigerecht auch zukünftig zukomme.

Ermittlungsverfahren, die mangels hinreichenden Anlasses zur Erhebung einer öffentlichen Klage eingestellt wurden, seien typischerweise keine geeignete Grundlage für die Bewertung eines Bewerbers. Das gelte auch für Verfahren, die auf den privaten Klageweg verwiesen wurden. Für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten gelte nichts anderes.

Die Kündigung sei auch sozial ungerechtfertigt. Das Arbeitsverhältnis bestand zum Zeitpunkt der Kündigung länger als 6 Monate. Die Kündigung sei nicht im Verhalten des Bediensteten begründet. Er habe seine vorvertragliche Aufklärungspflicht nicht verletzt.

Es sei nicht ausreichend, einen Tatbestand pauschal ohne konkrete Benennung von Tatzeit und Tathergang und mit Hinweis auf nicht weiter aufgeklärte Umstände zu beschreiben, um daraus abzuleiten, der Bewerber sei nicht für die Tätigkeit im Strafvollzug geeignet.