Mindestlohn für Bereitschaftsdienst in der Pflegebranche
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.11.2014, Aktenzeichen 5 AZR 1101/12
Für Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft in der Pflegebranche ist mindestens der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen.
Eine Pflegehelferin war in einer katholischen Schwesternschaft beschäftigt. Ihr Arbeitseinsatz erfolgte im Rahmen von Rund-um-die-Uhr Einsätzen. Dafür bewohnte sie ein Zimmer im Haus der Schwesternschaft in unmittelbarer Nähe der zu betreuenden Schwestern.
In ihrer Klage machte die Pflegerin geltend, während der Rund-um-die-Uhr Dienste durchgehend gearbeitet zu haben. Das Mindestentgelt sei zudem nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Bereitschaftsdienst zu zahlen.
Die Arbeitgeberin beantragte die Abweisung der Klage mit der Begründung, die Pflegerin habe nicht rund um die Uhr gearbeitet und hätte je Arbeitstag mindestens 4 Stunden Pause in Anspruch nehmen können. Pflegebereitschaft sei auch nicht mit dem Mindestlohn nach §2 PflegeArbbV (Pflegearbeitsbedingungenverordnung) zu vergüten.
Das Arbeitsgericht Stuttgart (Urteil vom 13.03.2012, Aktenzeichen 6 Ca 8962/10) wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Urteil vom 28.11.2012, Aktenzeichen 4 Sa 48/12) gab der Klage in dem Umfang statt, dass für den Rund-um-die-Uhr Dienst täglich 22 Arbeitsstunden im Sinne von § 2 Abs.1 PflegeArbbV mit dem Mindestentgelt zu vergüten seien. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrte die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.
Das BAG stellte fest, die Differenz, die sich aus der arbeitsvertraglichen Vergütung und dem Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde ergebe, sei an die Pflegehelferin zu vergüten. Das ergebe sich aus der Auslegung der Norm, die eine Korrektur des arbeitsvertraglichen Entgelts fordert. Das Mindestentgelt nach §2 PflegeArbbV sei nach der Zeiteinheit Stunde festgesetzt. Das entspreche der Gewohnheit von Tarifpartnern, Entgelt in Relation zu einer bestimmten Zeiteinheit festzulegen und insgesamt eine vergütungspflichtige Arbeitszeit zu definieren.
In §3 Abs.1 Satz 1 PflegeArbbV sei die Fälligkeit des Arbeitsentgeltes für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit geregelt, nicht für konkret zu erbringende Arbeitsleistungen. Das bedeute, in der Pflegebranche sei das Mindestentgelt für die vertragliche Arbeitszeit zu erbringen. Basierend auf § 611 Abs.1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) gelte das für alle Stunden während der Arbeitszeit, in denen ein Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung erbringe.
Die PflegeArbbV erwähne nicht Art und Intensität der Tätigkeit, wie etwa Vollarbeit, Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft. Habe ein Arbeitnehmer überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI (Sozialgesetzbuch 11) zu erbringen, müsse das Mindestentgelt auch für die nichtpflegerischen Tätigkeiten wie etwa im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie allen weiteren Formen von Arbeit gezahlt werden.
Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst seien vergütungspflichtige Arbeit im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB. Diese Beschäftigungsarten stellten eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit dar, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer von der Arbeitgeberin bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes sein muss und weder Pause noch Freizeit hat, weil er nicht selbständig frei über die Nutzung dieser Zeit bestimmen kann. Für diese Sonderformen der Arbeit könnte ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden. Von dieser Möglichkeit wurde jedoch in der PflegeArbbV kein Gebrauch gemacht. Es sei deshalb unerheblich, ob im Arbeitsvertrag eine geringere Vergütung für den Bereitschaftsdienst vorgesehen wurde, da diese Regelung im Arbeitsvertrag ungültig sei.
Eine Rufbereitschaft, wie sie die Arbeitgeberin gerne dargestellt haben möchte, bedeute hingegen, die Arbeit müsse nur auf Zuruf aufgenommen werden. Rufbereitschaft setze im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst voraus, dass sich der Arbeitnehmer jederzeit an einem Ort seiner Wahl aufhalten kann und lediglich zu jeder Zeit erreichbar sein muss.
Es sei nicht erkennbar, dass die Pflegerin berechtigt gewesen sei, die im Arbeitsvertrag genannte Pflegestelle zu verlassen und eigenen Interessen nachzugehen. Ob die Pflegerin nachts die Möglichkeit zum Durchschlafen hatte, sei für die Bewertung als Bereitschaftsdienst nicht von Bedeutung.
Die Mittagsruhe der zu pflegenden Personen würde auch nicht als Pausenzeit für die Pflegerin gelten, da sie in dieser Zeit in der Pflegestelle anwesend sein musste, um jederzeit ihre Tätigkeit aufnehmen zu können.
Die Arbeitgeberin schulde der Pflegerin für 22 Stunden am Tag das Mindestentgelt nach §2 Abs.1 PflegeArbbV. Die Pflegerin musste sich rund um die Uhr zumindest in der Nähe der zu pflegenden Personen aufhalten. Sie durfte die Pflegestelle nicht verlassen.