Kündigungsschutz im Gemeinschaftsbetrieb
Landesarbeitsgericht Mainz, Urteil vom 10.03.2016, Aktenzeichen 2 Sa 58/15
Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz kann in einem Betrieb mit in der Regel weniger als 10 Mitarbeiter Anwendung finden, wenn dieser Betrieb Teil eines Gemeinschaftsbetriebes ist. In einem Gemeinschaftsbetrieb liegt eine einheitliche Leitung der Einzelbetriebe vor, indem wesentliche Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten für die beteiligten Betriebe einheitlich geführt werden.
Ein Elektriker legte gegen seine Kündigung eine Kündigungsschutzklage ein. Das Arbeitsgericht Ludwigshafen wies die Klage ab. Der Elektriker legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.
Er argumentierte, die Arbeitgeberin betreibe einen Gemeinschaftsbetrieb mit insgesamt mehr als 10 Mitarbeitern. Für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes müssten die Mitarbeiter beider Betriebe der Arbeitgeberin berücksichtigt werden. Die beiden Firmen der Arbeitgeberin nutzten gemeinsame Betriebsmittel, Arbeitnehmer würden ausgetauscht, verfügten über einen gemeinsamen Geschäftsführer, gemeinsames Sekretariat und Lohnbuchhaltung, ähnliche Namen mit gleicher Adresse, gleiche Telefonanlage, gleicher Briefkasten. Der Geschäftsführer leite zentral mit Arbeitsanweisungen sowie in Personalfragen. Das Kündigungsschutzgesetz sei ohne Weiteres auf den Elektriker anwendbar, da es sich um einen Gemeinschaftsbetrieb handele. Die beiden Firmen seien als Gemeinschaftsbetrieb vermarktet worden, indem die Elektro-, sowie die Heizungs- Lüftungs- und Sanitärleistungen unter dem Slogan „Alles aus einer Hand“ auf der Website und in Flyern angeboten wurden. Dabei wurden die Unternehmen in einer Gemeinschaftsbetriebsbeschreibung unter Angabe gemeinsamer Telefon- und Faxnummern vorgestellt.
Die Ingenieurgesellschaft für Kraftwerks- und Anlagenbau mit der gleichen Geschäftsadresse sei ebenfalls dem Gemeinschaftsunternehmen hinzuzurechnen. Alle drei Firmen benutzten einheitliche Firmenfahrzeuge mit einem Firmenlogo und Aufdrucken „Alles aus einer Hand“. Die Elektriker seien auch in den beiden anderen Firmen vom Geschäftsführer eingesetzt worden. Der Elektriker habe nicht nur Elektroarbeiten, sondern auch Heizungs- Lüftungs- und Sanitärarbeiten ausgeführt.
Die Arbeitgeberin argumentierte, beide Unternehmen würden völlig unterschiedliche Geschäftsbereiche abdecken. Der Heizungs- und Sanitärmeister habe die faktische Betriebsführung des Heizung- Lüftung- und Sanitärunternehmens (HLS-Unternehmen) übernommen. Im Elektrounternehmen sei der beauftragte Mitarbeiter selbständig für die Durchführung der Elektroarbeiten verantwortlich gewesen. Er habe ohne Rücksprache Beschäftigte eingestellt. Wegen des unterschiedlichen Betriebszwecks der Unternehmen sei es nicht möglich gewesen, Arbeitskräfte auszutauschen. Die Firmen seien getrennt organisiert, mit unterschiedlichen Gesellschafterstrukturen, Bilanzen, Lohnabrechnungen, Jahresabschlüssen usw. Es lägen unterschiedliche Eintragungen in die Handwerksrolle vor.
Austausch von Betriebsmitteln habe es nicht gegeben. Den 15 Jahre alten Flyer habe es zum Kündigungszeitpunkt nicht mehr gegeben. Die Darstellung auf der Website sei nicht einschlägig, die dort aufgeführte Anzahl von 35 Mitarbeitern sei unrichtig, da 15 Jahre alt.
Die Ausführung von Elektroarbeiten für das HLS-Unternehmen erfolgte im Rahmen eines Werkvertrages zwischen beiden Firmen. Das Sekretariat werde nicht gemeinsam genutzt, ebenso wie die Telefonanlage. Mitarbeiter und Betriebsmittel würden nicht ausgetauscht.
Hilfsweise wies die Arbeitgeberin darauf hin, dass die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sei. Wegen Entzugs der Handwerkerkonzession seien Aufträge weggefallen, es könnten keine Elektroarbeiten mehr ausgeführt werden. Im Laufe der langen Kündigungsfrist sei der Elektriker als Helfer eingesetzt worden.
Das LAG entschied, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz sei nach § 23 Absatz 1 KschG (Kündigungsschutzgesetz) anwendbar. Elektrofirma und HLS-Firma hätten zum Kündigungszeitpunkt einen gemeinsamen Betrieb mit mehr als 10 Beschäftigten dargestellt. Die Verhältnisse im Gemeinschaftsbetrieb böten keine Rechtfertigung für eine betriebsbedingte Kündigung, die sozial gerechtfertigt wäre.
Das LAG führte aus, ein Gemeinschaftsbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzes liege vor, wenn eine einheitliche Leitung geschaffen wurde, indem wesentliche Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten institutionell für die beteiligten Unternehmen einheitlich seien. Eine entsprechende Führungsvereinbarung könne sich stillschweigend aus den tatsächlichen Umständen ergeben. Die Einheit der arbeitstechnischen Zweckbestimmung sei nicht erforderlich. Maßgebend sei die Einheit der Organisation. Die Unternehmen könnten unterschiedliche arbeitstechnische Zwecke verfolgen, sofern dies im Rahmen einer Organisationseinheit geschehe.
Der Arbeitnehmer trage die Beweislast, dass ein Gemeinschaftsbetrieb vorliege. Dafür genüge es, äußere Umstände aufzuzeigen. Daraufhin habe die Arbeitgeberin vorzutragen, welche Umstände gegen die Annahme eines Gemeinschaftsbetrieb sprechen.
Die Arbeitgeberin habe mit ihrer Erwiderung keine rechtserheblichen Umstände aufgezeigt, die entscheidend gegen die Annahme eines einheitlichen Betriebes sprächen.
Für die einheitliche Betriebsorganisation sprächen die gemeinsame räumliche Unterbringung und der gemeinsame Briefkasten. Eingehende Anrufe unter verschiedenen Telefonnummern wurden vom gleichen Mitarbeiter entgegengenommen. Dieser Bürokaufmann habe auch teilweise Rechnungen für beide Firmen geschrieben.
Zum Zeitpunkt der Kündigung war ein gemeinsamer Internetauftritt für beide Firmen mit einheitlicher Abbildung von Mitarbeitern beider Unternehmen vorhanden. Es sei unwesentlich, ob der Internetauftritt veraltet gewesen sei. Die Firmenfahrzeuge waren mit „Haustechnik aus einer Hand“ beschriftet.
Die äußeren Umstände sprächen dafür, dass zum Kündigungszeitpunkt die Arbeitsabläufe beider Unternehmen einheitlich organisiert und miteinander verknüpft waren. Die personelle Identität des Geschäftsführers spreche für einen einheitlichen Leitungsapparat.
Allein aus der Identität der Person in der Geschäftsführung könne jedoch noch nicht zwingend auf eine einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten geschlossen werden. Der unternehmensübergreifende Personaleinsatz spreche für einen Gemeinschaftsbetrieb. Die Arbeitgeberin habe keine Werkverträge vorgelegt, die einen Personaleinsatz zwischen den beiden Firmen zum Inhalt hätten.
Unterschiedliche Eintragungen in die Handwerkerrolle sowie getrennte Bilanzen und Buchhaltungen seien für die Beurteilung einheitlicher Leitungsstrukturen zur Durchführung arbeitstechnischer Zwecke unerheblich.
Die Arbeitgeberin habe die für eine einheitliche Betriebsführung sprechenden Umstände nicht nachvollziehbar entkräften können. Es sei von einem einheitlichen Unternehmen mit mehr als 10 Arbeitnehmern zum Kündigungszeitpunkt auszugehen. Das Kündigungsschutzgesetz nach § 23 Absatz 1 sei damit anwendbar.
Der Vortrag der Arbeitgeberin ließe keine dringenden betrieblichen Erfordernisse erkennen, die einer Weiterbeschäftigung im Gemeinschaftsbetrieb entgegenstünden. Bezogen auf die Verhältnisse im Gemeinschaftsbetrieb habe die Arbeitgeberin nicht nachvollziehbar dargelegt, dass eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht bestehe. Selbst wenn die Beschäftigungsmöglichkeit als Elektriker weggefallen sei, habe die Arbeitgeberin nicht dargelegt, warum keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Gemeinschaftsbetrieb bestanden haben soll.
Die Arbeitgeberin wurde verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits den Elektriker zu gleichen Bedingungen weiter zu beschäftigen.