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Finanzielle Vergütung für Jahresurlaub

Bezahlter Jahresurlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 20.06.2016, Aktenzeichen C-341/15

Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union haben Anspruch auf 4 Wochen bezahlten Mindestjahresurlaub. War es dem Arbeitnehmer nicht möglich, den gesamten bezahlten Mindestjahresurlaub in Anspruch zu nehmen, hat er zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaubsanteil. Anspruch auf finanzielle Vergütung für bezahlten Mindestjahresurlaub besteht auch, wenn dieser krankheitsbedingt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht wahrgenommen werden konnte.

Ein österreichischer Beamter war in den Wiener Stadtwerken als Abteilungsleiter tätig.

Die Wiener Stadtbehörde legte fest, dass ein Einsatz des Beamten als Abteilungsleiter nicht mehr möglich sei. Die verbleibenden 2 Monate bis zum Jahresende sollte er jedoch seiner Arbeit nachgehen, um einen geordneten Übergang zu gewährleisten. Die Übergangszeit sollte auch genutzt werden, um mehrere Wochen verbliebenen Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Nach der Übergangszeit wurde er von seiner Tätigkeit als Abteilungsleiter entbunden. Die Arbeitgeberin verzichtete auf die Dienstleistung des Beamten bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand, 18 Monate später, unter Zahlung des vollen Entgeltes. Während der Übergangszeit nahm der Abteilungsleiter krankheitsbedingt vom 15. November bis 31. Dezember seinen Dienst nicht wahr.

Kurz vor Antritt seines Ruhestandes erkrankte der Beamte und legte ein ärztliches Attest vor. Er beantragte bei seiner Arbeitgeberin eine Urlaubsersatzleistung, die ihm nach seiner Ansicht zustünde. Sein Antrag wurde basierend auf § 41a Abs. 2 Z 3 BO (Besoldungsordnung) abgewiesen.

Der Beamte legte Beschwerde beim Wiener Verwaltungsgericht ein. Das Verwaltungsgericht Wien äußerte Zweifel an der Vereinbarkeit von § 41a Abs. 2 Z 3 BO mit Artikel 7 Absatz 2 der europäischen Richtlinie 2003/88. Die Zweifel wurden dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.

Die europäische Richtlinie 2003/88 erläutert in Artikel 7, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub von 4 Wochen nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf, außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für Beamte der Stadt Wien wurde zusätzlich geregelt, dass eine Vergütung des Mindestjahresurlaubs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur dann erfolgt, falls der Beamte den nicht beanspruchten Urlaub nicht zu vertreten hat.

Einem Beamten würde nach der Besoldungsordnung der Anspruch auf Urlaubsersatzleistung vorenthalten, wenn er in den Ruhestand versetzt wird und selbst zu vertreten habe, dass der Urlaubsanspruch nicht vollständig genutzt wurde. Das gelte auch, wenn er kurz vor seiner Versetzung in den Ruhestand krank geworden ist.

Das Verwaltungsgericht Wien befragte den EuGH zudem, welchen Voraussetzungen Urlaubsersatzleistungen unterliegen, wenn bezahlter Erholungsurlaub wegen Krankheit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Anspruch genommen werden kann? Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sollte die Gewährung solcher Urlaubsersatzleistungen davon abhängig sein, dass die Arbeitgeberin zeitnah informiert und ein ärztliches Attest vorgelegt wird.

Für den Fall, dass § 41a Abs. 2 Z 3 BO gegen europäisches Recht verstoße, stellte das vorlegende Gericht die Frage, ob für Arbeitnehmer, denen wie im vorliegenden Fall zu Unrecht Urlaubsersatzleistungen vorenthalten wurden, im nationalen Recht günstigere Ansprüche auf eine solche Leistung geregelt werden müssten, als sie in der europäischen Richtlinie vorgesehen sind.

Der Europäische Gerichtshof stellte klar, dass nach der europäischen Richtlinie 2003/88 Artikel 7 Absatz 1 jedem Arbeitnehmer der Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von 4 Wochen zustehe. Dieser Anspruch gelte als ein besonderer Grundsatz des Sozialrechts und sei jedem Arbeitnehmer unabhängig von seinem Gesundheitszustand zu gewähren.

Wurde das Arbeitsverhältnis beendet, ohne dass es möglich war, den Mindestjahresurlaub in Anspruch zu nehmen, habe der Arbeitnehmer Anspruch auf finanzielle Vergütung.

Ein Arbeitnehmer, der nicht in der Lage war vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses den gesamten bezahlten Jahresurlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen, habe Anspruch auf finanzielle Vergütung. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spiele dabei keine Rolle. Es sei also unerheblich, ob der Arbeitnehmer von sich aus das Arbeitsverhältnis beendet habe.

Nationale Vorschriften stünden der europäischen Regelung entgegen, wenn wie im vorliegenden Fall, ein Arbeitnehmer, der die Versetzung in den Ruhestand beantragt hat, nicht in der Lage war seinen bezahlten Jahresurlaub zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub habe.

Befand sich der Arbeitnehmer im Krankheitsurlaub und konnte deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht wahrnehmen, stehe ihm am Ende des Arbeitsverhältnisses eine finanzielle Vergütung zu.

Der Abteilungsleiter habe deshalb für den Zeitraum seines krankheitsbedingten Ausfalls vom 15. November bis 31. Dezember Anspruch auf finanzielle Vergütung des nicht genommenen Jahresurlaubs.

Ein Arbeitnehmer, der vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht zur Arbeit zu erscheinen, habe keinen Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub. Eine Ausnahme davon gelte für den Fall, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.

Die europäische Richtlinie 2003/88 lege Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung fest. Die europäischen Mitgliedsstaaten haben jedoch die Möglichkeit günstigere Rechtsvorschriften und Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Staatliche Regelungen, die den garantierten Zeitraum von 4 Wochen für den bezahlten Mindestjahresurlaub überschreiten, stehen der europäischen Richtlinie nicht entgegen.