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Missbrauch befristeter Arbeitsverträge vermeiden

Vermeidung von Missbrauch befristeter Arbeitsverträge

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 21.09.2016, Aktenzeichen C-614/15

Die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge im öffentlichen Dienst ist als sachlicher Grund nicht gerechtfertigt, wenn lediglich Veränderungen im Tätigkeitsumfang dafür verantwortlich sind, dass die ausgeführten Kontrollaufgaben nicht dauerhaft sind. Ausgenommen davon sind Verlängerungen für Aufgaben, die tatsächlich einen besonderen Bedarf decken und keine haushaltspolitischen Erwägungen zur Basis haben. Die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge bis zum Abschluss eines Auswahlverfahrens ist ebenfalls unzulässig, falls diese sich als missbräuchliche Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverträgen erweist.

Eine veterinärmedizinische Assistentin war bei der rumänischen Direktion für Tiergesundheit zunächst mit einem befristeten Arbeitsvertrag vom 14. Mai bis zum Jahresende beschäftigt. Der Vertrag wurde siebenmal hintereinander für jeweils ein Jahr verlängert. Sie arbeitete ohne Unterbrechung am selben Arbeitsplatz und nahm dieselben Aufgaben wahr. Der Arbeitsvertrag war eng mit der Betriebsdauer der zu kontrollierenden Betriebe verknüpft.

Mit der letzten Verlängerung wurde mitgeteilt, der Vertrag könne bis zum Ende des Auswahlverfahrens zur endgültigen Besetzung der Stelle verlängert werden. Zudem könne der Arbeitsvertrag jederzeit einseitig vom Arbeitgeber gekündigt werden.

Nach Ablauf der letzten Arbeitsplatzverlängerung klagte die veterinärmedizinische Assistentin gegen die Direktion für Tiergesundheit. Nach ihrer Ansicht waren die verschiedenen Verlängerungen des Arbeitsvertrages nichtig. Sie begehrte die Umdeutung in einen unbefristeten Arbeitsvertrag.

Die Klage wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht setzte das Verfahren aus. Beim Europäischen Gerichtshof war zu klären, ob die enge Verknüpfung der Kontrollaufgaben im tiergesundheitlichen Bereich mit der Betriebstätigkeit der kontrollierten Betriebe eine ausreichende Basis für den wiederholten Abschluss befristeter Arbeitsverträge, in Abweichung von Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung der europäischen Richtlinie 1999/70 erlassen wurden, darstelle.

Zudem fragte das Berufungsgericht, ob Bestimmungen, die im nationalen Recht den wiederholten Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen im Bereich der tiergesundheitlichen Kontrollen gestatten, gegen die Pflicht des Staates zur Umsetzung der Richtlinie 1999/70 verstoßen.

Der EuGH formulierte die erste Frage etwas allgemeiner.
Ist die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge durch sachliche Gründe im Sinne von § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt, weil die Kontrollaufgaben im tiergesundheitlichen Bereich wegen des sich verändernden Umfangs der zu kontrollierenden Betriebe nicht dauerhaft sind?

In der Präambel der europäischen Richtlinie 1999/70 ist festgeschrieben, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern darstellen. Sie tragen zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer bei. Befristete Arbeitsverträge sind für die Beschäftigung in bestimmten Branchen, Berufen und Tätigkeiten charakteristisch und können den Bedürfnissen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern entsprechen. Die Vereinbarung überlässt es den Mitgliedsländern und den Sozialpartnern die Anwendungsmodalitäten zu definieren, um damit der jeweiligen Situation in den Mitgliedsländern in bestimmten Branchen und Berufen sowie saisonaler Tätigkeit zu entsprechen.

 Durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung soll die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse verbessert und ein Rahmen geschaffen werden, der den Missbrauch aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse verhindert.

Befristete Arbeitsverträge im Sinne der europäischen Richtlinie 1999/70 enden durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses.

Es liege in der Verantwortung der Mitgliedsländer Maßnahmen gegen den Missbrauch zu ergreifen, die zwar verhältnismäßig, aber abschreckend und wirksam genug sind, um die Rahmenvereinbarung in voller Wirksamkeit durchzusetzen. Es liege in der Verantwortung des vorlegenden Gerichts zu beurteilen, ob die nationalen Vorschriften geeignet sind, den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern und falls notwendig zu ahnden.

Eine innerstaatliche Verordnung, die allgemein und abstrakt aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zulässt, entspreche nicht den Erfordernissen der europäischen Richtlinie, die einen sachlichen Grund für die befristete Verlängerung von Arbeitsverträgen fordert.

Es sei nicht erkennbar, warum eine schwankende Arbeitsbelastung in Abhängigkeit von der Tätigkeitsschwankung der zu kontrollierenden Betriebe, eine Befristung der Kontrolltätigkeit rechtfertige.

Die wiederholte Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages führte zu einer ununterbrochenen Dienstleistung von sechs Jahren und sieben Monate. Das Argument der nicht dauerhaften Kontrolltätigkeit werde durch diesen Umstand entkräftet. Das Arbeitsverhältnis habe somit keinen vorübergehenden, sondern einen dauerhaften Bedarf gedeckt.

Werde in der nationalen Rechtsprechung ein besonderer Bedarf für aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge hergeleitet, dürfe dieser nicht auf der Erwägung beruhen, ein finanzielles Risiko für den Staat zu vermeiden. Haushaltserwägungen für sozialpolitische Entscheidungen könnten nicht das Fehlen von Maßnahmen zur Vermeidung missbräuchlicher Anwendung befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen.

§ 5 Nummer 1 Buchstabe a der Rahmenvereinbarung verlange eine konkrete Prüfung, ob die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs diene, oder eine nationale Vorschrift dazu eingesetzt werde, um den dauerhaften Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken. Zu den Umständen, die jeweils im Einzelfall zu prüfen sind, gehöre die Zahl der mit derselben Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit abgeschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge.

Die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge bis zum Abschluss von Auswahlverfahren genüge nicht für den Einklang mit § 5 Nummer 1 Buchstabe a der Rahmenvereinbarung 1999/70, falls die konkrete Anwendung dieser Regelung zu einem missbräuchlichen Rückgriff auf aufeinanderfolgende, befristete Arbeitsverträge führe. Dies zu prüfen sei Aufgabe des nationalen Gerichts.