Mitbestimmung des Betriebsrats mit einstweiliger Verfügung durchsetzen
Landesarbeitsgericht, Urteil vom 12.Juli 2016, Aktenzeichen 7 TaBVGa 520/16
Wird der Betriebsrat in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten völlig übergangen, kann das Mitbestimmungsrecht mit einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden.
Die Arbeitgeberin untersagte in einem Schreiben der Belegschaft die Einnahme des Essens am Arbeitsplatz. Zur Vorbereitung und Einnahme von Essen stehe die Küche zur Verfügung. Der Betriebsrat wies am gleichen Tag auf die Notwendigkeit hin, ihn zu beteiligen. Die Arbeitgeberin reagierte mit dem Hinweis auf Hygiene und Gesundheitsaspekte. Daraufhin leitete der Betriebsrat das Unterlassungsverfahren ein.
Der Betriebsrat beantragte im Wege der einstweiligen Verfügung, die Arbeitgeberin habe zu unterlassen, einseitig den Beschäftigten die Einnahme von Essen am Arbeitsplatz zu untersagen. Das Arbeitsgericht gab dem Antrag für die bestimmte Arbeitsstätte statt.
Es bestehe ein Mitbestimmungsrecht für den Betriebsrat, da es um das sogenannte Ordnungsverhalten im Betrieb gehe. Es gehe nicht um die ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitspflicht und nicht um den Leistungsaustausch. Der Betriebsrat könne sein Mitbestimmungsrecht im Wege der Unterlassungsklage als einstweilige Verfügung durchsetzen.
Die Arbeitgeberin legte Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Das Arbeitsgericht habe die Reichweite des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) verkannt.
Das von der Arbeitgeberin erlassene Verbot regele das Arbeitsverhalten und sei deshalb nicht mitbestimmungspflichtig. Mit dem Verbot solle etwa verhindert werden, dass Brotkrümel in Tastaturen und andere Ausrüstungen der Arbeitgeberin gelangen und diese beschädigen oder beschmutzen. Der bloße Hinweis auf ein Mitbestimmungsrecht genüge auch nicht für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das Verbot, am Arbeitsplatz zu essen sei nicht so schwerwiegend, dass dem Betriebsrat ein Rechtsverlust drohe.
Der Betriebsrat erläuterte, das generelle Essensverbot gehe weit über die Arbeitstätigkeit hinaus. Das soziale Verhalten der Arbeitnehmer sei betroffen.
Das LAG erklärte, das Arbeitsgericht habe zu Recht dem Antrag des Betriebsrats auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattgegeben. Dem Betriebsrat stehe ein materieller Unterlassungsanspruch zu.
Dem Betriebsrat stehe ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG zu. Die Arbeitgeberin habe das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht beachtet, deshalb könne der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf Unterlassung beanspruchen.
Die Mitbestimmung nach § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG umfasse das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Die Belegschaft unterliegt dem Weisungsrecht der Arbeitgeberin innerhalb einer vorgegebenen Arbeitsorganisation. Die Arbeitgeberin sei berechtigt Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Belegschaft im Betrieb beeinflusse und koordiniere. Es müsse sich nicht zwingend um verbindliche Verhaltensregeln handeln. Der Betriebsrat habe bei solchen Maßnahmen mitzubestimmen und so auf die das betriebliche Ordnungsverhalten bezogene Regelungsmacht der Arbeitgeberin einzuwirken.
Weisungen und Regelungen, die das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer betreffen, seien hingegen frei von Mitbestimmung.
Habe eine betriebliche Maßnahme Auswirkungen auf Arbeitsverhalten und Ordnungsverhalten, so hänge das Recht auf Mitbestimmung davon ab, welcher Regelungszweck überwiegt.
Bestimmt die Arbeitgeberin, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Art und Weise dies geschehen soll, so sei das Arbeitsverhalten berührt. Diese Weisungen unterliegen nicht der Mitbestimmung. Anweisungen und Regelungen zur betrieblichen Ordnung sowie Verhaltensweisen der Arbeitnehmer berührten das Ordnungsverhalten.
Im Streitfall sei davon auszugehen, dass die Anweisung, am Arbeitsplatz kein Essen einzunehmen, das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffe. Mit der Weisung solle das betriebliche Zusammenleben der Arbeitnehmer beeinflusst und koordiniert werden. Ein gleichmäßiges Verhalten solle erreicht werden, indem am Arbeitsplatz gearbeitet und in der Küche gegessen wird. Die Weisung treffe nicht die unmittelbare Arbeitspflicht, da Pflichten wie das Führen von Telefongesprächen und damit zusammenhängende Tätigkeiten nicht berührt würden.
Prinzipiell könne eine Anweisung, das Essen während der Kundenbedienung zu unterlassen, Ordnungs- und Arbeitsverhalten betreffen. Die Arbeitgeberin habe sich jedoch nicht auf die Ausübung der Arbeitsaufgabe bezogen, sondern alleinig Ordnungsaufgaben herausgestellt. Das Verbot sei auch nicht auf Kundengespräche begrenzt.
Das Argument, es solle die Beschmutzung von Tastaturen und Bürogegenständen vermieden werden, ändere nicht den Charakter der Anweisung. Dieser Aspekt würde das Zusammenwirken der Arbeitnehmer und damit das Ordnungsverhalten betreffen.
Aus den genannten Gründen war die Anweisung nach § 87 Absatz 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Dem Betriebsrat stehe wegen der Verletzung des Mitbestimmungsrechts ein Unterlassungsanspruch zu. Der Betriebsrat könne nicht nur die Beseitigung eines Missstandes verlangen. Er könne sich auch gegen zu erwartende weitere Verstöße der Arbeitgeberin gegen ein Mitbestimmungsrecht zur Wehr setzen. Dieser Anspruch könne im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden.
Die Arbeitgeberin habe das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats grundsätzlich bestritten und damit dessen Rechtsposition dauerhaft verletzt. Das Mitbestimmungsrecht sei komplett verletzt worden, nicht wie die Arbeitgeberin argumentierte, nur niederschwellig. Das müsse der Betriebsrat nicht hinnehmen. Es sei ein Verfügungsgrund gegeben. Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde zurückgewiesen. Wegen des anhängigen Hauptverfahrens wurde die einstweilige Verfügung jedoch zeitlich begrenzt.
Eine Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wurde nicht zugelassen.