Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.08.2016, Aktenzeichen 8 AZB 16/16
Wird nicht unverzüglich eine Anschriftenänderung oder wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse angezeigt, kann die Prozesskostenhilfebewilligung nur aufgehoben werden, wenn die Angaben absichtlich oder aus grober Fahrlässigkeit nicht übermittelt wurden.
Einem Beschäftigten wurde von seiner Arbeitgeberin gekündigt. Beim Arbeitsgericht wandte er sich gegen die Kündigung und beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis erst 8 Tage nach dem Kündigungstermin geendet habe. Der Beschäftigte beantragte im gleichen Zuge Prozesskostenhilfe und die Zuordnung seines Prozessbevollmächtigten.
Das Formular zur Beantragung der Prozesskostenhilfe enthält einen zu unterschreibenden Hinweis zur Mitteilungspflicht bei verbesserter wirtschaftlicher Lage sowie Anschriftsänderung während des Verfahrens und im Zeitraum von 4 Jahren danach. Bei Verstoß könne die Bewilligung aufgehoben werden.
Das Arbeitsgericht unterbreitete den Parteien einen Vergleich und stellte diesen fest. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ergab, dass der Beschäftigte keinen eigenen Beitrag für die Prozessführung zu leisten habe.
Mehrere Monate später konnte eine Mitteilung bezüglich der erneuten Prüfung der Prozesskostenerstattung nicht an die bekannte Adresse zugestellt werden. Das Arbeitsgericht erbat sich die Adresse vom Einwohnermeldeamt. Neun Monate nach der fehlgeschlagenen Zustellung erklärte die Prozessbevollmächtigte des Arbeitsgerichts gegenüber dem Prozessvertreter des Beschäftigten, es sei beabsichtigt, den Beschluss zur Prozesskostenerstattung aufzuheben. Der Beschäftigte sei nicht seiner Verpflichtung nachgekommen, die Änderung der Wohnanschrift unverzüglich mitzuteilen. Der Prozessbevollmächtigte fragte nach, inwiefern eine eventuelle Anschriftenänderung für die maßgebenden persönlichen Verhältnisse relevant sein solle, da Zustellungen im Überprüfungsverfahren an ihn als beigeordneten Rechtsanwalt zugestellt werden müssen.
Das Arbeitsgericht hob den Beschluss zur Rechtskostenhilfe auf. Der Prozessbevollmächtigte legte sofortige Beschwerde ein und argumentierte, der Beschäftigte sei jederzeit über ihn erreichbar gewesen. Deshalb sei der Beschluss völlig überzogen. Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Landgericht (LAG) zur Entscheidung vor.
Das LAG wies die sofortige Beschwerde ab und ließ die Rechtsbeschwerde zu. Da der Beschäftigte nicht unverzüglich seine Anschriftenänderung mitgeteilt habe, lägen die Voraussetzungen nach § 124 Absatz 1 Nummer 4 ZPO (Zivilprozessordnung) vor. Ein Zeitraum von mehr als einem Monat sei nicht tolerierbar. Zur Aufhebung des Beschlusses sei grobe Nachlässigkeit oder Absicht nicht erforderlich. Es sei der Regelfall, dass der Beschäftigte über seinen Prozessbevollmächtigten bei der Prozesskostenhilfebewilligung erreichbar bleibe, das sei dem Gesetzgeber auch bekannt.
Eine Partei die Rechtskostenhilfe in Anspruch nehme und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt habe, und auf ihre Meldepflicht hingewiesen wurde, handele grob fahrlässig, wenn sie ihre Verpflichtungen vergesse oder ignoriere.
Dagegen legte der Beschäftigte Rechtsbeschwerde ein. Grobe Nachlässigkeit bezöge sich auf Unrichtigkeit und Nichtmitteilung der Anschriftsänderung. Er sei im Überprüfungsverfahren über seinen Prozessbevollmächtigten jederzeit erreichbar gewesen. Es gebe keinen Anlass für Sanktionen, solange der Prozessbevollmächtigte erreichbar sei.
Das Bundesarbeitsgericht befand, mit der vom LAG gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des Beschäftigten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes nicht zurückgewiesen werden. Das BAG könne jedoch anhand der vom LAG getroffenen Feststellungen keine Entscheidung treffen.
Das LAG habe zu Unrecht angenommen, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe könne bereits dann aufgehoben werden, wenn die Partei die Anschriftsänderung nicht unverzüglich mitgeteilt hätte, ohne dass grobe Nachlässigkeit oder Absicht vorliege.
Auch wenn die Angaben nicht mitgeteilt werden, muss ein qualifiziertes Verschulden in Form von Absicht oder grober Nachlässigkeit vorliegen. Das heißt, die Anschriftenänderung muss absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht mitgeteilt worden sein.
Grob nachlässig ist ein Verhalten, das auch in subjektiver Sicht unentschuldbar ist und ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt. Es müssten alle objektiven und subjektiven Umstände abgewogen werden um zu entscheiden ob von einfacher oder grober Fahrlässigkeit auszugehen ist. Im vorliegenden Fall könne etwa berücksichtigt werden, ob die Partei andere Maßnahmen getroffen habe, um jederzeit für das Gericht erreichbar zu sein. Die Partei, die diesen Umstand berücksichtigt haben möchte, müsse substanziiert vortragen. Dieser Vortrag könne auch noch in der Beschwerdeinstanz erfolgen.
Die Pflicht der Erreichbarkeit solle sicherstellen, dass das Gericht in der Lage sein muss, ohne aufwändige Ermittlungen ein Verfahren zur Aufhebung oder Änderung der Bewilligung betreiben zu können.
Die Vertretung durch den Prozessbevollmächtigten schütze hingegen nicht zwangsläufig vor der Anwendung von Sanktionen im Rahmen des Überprüfungsverfahrens zur Prozesskostenhilfe. Zustellungen würden auch nach Prozessbeendigung an den Prozessbevollmächtigten gesandt. Damit sei die Partei aber nicht von einer Mitteilungspflicht befreit. Der Antragsteller habe die Kenntnisnahme seiner Mitteilungspflicht persönlich im Antragsformular bestätigt.
Der Beschluss des LAG wurde aufgehoben. Die Sache wurde zur neuen Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.