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Praktikum gilt meistens als Arbeitsverhältnis

Praktikum ist überwiegend Arbeitsverhältnis

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.05.2016, Aktenzeichen 6 Sa 1787/15

Ein Praktikum ist fast immer ein Arbeitsverhältnis, das entsprechend zu entlohnen ist. Nur wenn der Ausbildungszweck eindeutig im Vordergrund steht, handelt es sich nicht um ein Scheinpraktikum.

Eine Modejournalistin wurde als Redaktionspraktikantin eingestellt. Der Zweck des Praktikums wurde wie folgt beschrieben:

Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen im Bereich der Redaktion und Realisation als Autor. Betreuung und Durchführung redaktioneller Projekte.

Der Praktikumseinsatz wurde für einen Zeitraum von einem Jahr mit 25 Urlaubstagen und einer monatlichen Vergütung von 400 Euro vereinbart.

Die ersten drei Praktikumsmonate fielen noch in den Zeitraum vor Abschluss des Studiums.

Die Modejournalistin begehrte wenige Monate nach ihrem Praktikum eine Differenzvergütung für den Praktikumszeitraum. Die begehrte Vergütung stelle die Differenz zwischen der Vergütung während des Praktikums und der Vergütung, die einer Redakteurin als Berufsanfängerin entspricht, dar.

Die Modejournalistin erklärte, sie habe den Online-Auftritt komplett betreut, einschließlich Social-Media Kanäle wie Facebook, Twitter und andere. Sie sei für Foto-Shootings verantwortlich gewesen und habe Promotions-Gespräche mit potentiellen neuen Kunden geführt. Sie sei als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt worden. Betreuung oder Ausbildung durch Mitarbeiter habe sie nicht erhalten. Der Ausbildungszweck sei völlig in den Hintergrund geraten. Die Arbeitgeberin habe ihre im Studium erworbenen Fähigkeiten genutzt. Sie habe täglich mindestens 8 Stunden gearbeitet zuzüglich Überstunden und Wochenendarbeit.

Die Arbeitgeberin erwiderte, der Praktikumsvertrag sei umgesetzt worden. Mitwirkung der Praktikantin habe jeweils unter Aufsicht und Schulung stattgefunden. Regelmäßige Überstunden und Wochenendarbeit sei nicht geleistet worden. Der Praktikumsvertrag enthalte keine Anwesenheitspflicht. Die Praktikantin sei als Berufsanfängerin keine vollwertige Arbeitskraft gewesen. Der sehr eingeschränkte Unterstützungseffekt durch die Tätigkeit der Praktikantin sei durch den Zeitaufwand für Schulung und Überwachung aufgehoben worden. Die Praktikantin habe während des Praktikums nie eine höhere Vergütung verlangt. Ihre Forderung verstoße gegen Treu und Glauben.

Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage statt. Der Anspruch der Praktikantin folge aus § 612 Absatz 2 in Verbindung mit § 138 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Die mit der Praktikantin vereinbarte Vergütung sei sittenwidrig nach § 138 BGB. Das Vertragsverhältnis sei ein Arbeitsverhältnis gewesen. Ein Ausbildungszweck habe nie im Vordergrund gestanden. Nähere Angaben zu Aufsicht und Schulung habe die Arbeitgeberin nicht erbracht. Kontrolle und Korrektur der Arbeiten schlössen ein Arbeitsverhältnis nicht aus. Die vertragsgemäße Anwesenheitspflicht, von täglich mindestens 8 Stunden, ließe die Feststellung zu, die Praktikantin habe in Vollzeit gearbeitet.

Die Vergütungsvereinbarung sei nichtig, da die Praktikumsvergütung nicht einmal zwei Drittel der im Wirtschaftszweig üblichen Vergütung betragen habe.

Die Arbeitgeberin legte gegen das Urteil Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.

Vor dem LAG vertiefte die Arbeitgeberin ihre Argumente. Die Praktikantin habe keine verwertbare Arbeitsleistung erbracht. Eine Redakteurin fertige Texte in fünffacher Geschwindigkeit. Die Praktikantin sei durch ihre immense Vergesslichkeit aufgefallen. Der im Praktikumsvertrag genannte Ausbildungsvertrag sei der Praktikantin erläutert worden. Der beanspruchte Tarifvertrag erfasse nur geringe Teile des Wirtschaftszweiges. Im Verlagswesen würden in allen Bereichen Praktikanten beschäftigt, um die vielfältigen Bereiche erst durch praktische Erfahrungen kennenzulernen. Erst danach sei eine leistungsorientierte Beschäftigung möglich. Die geleistete Vergütung der Praktikantin sei angemessen und üblich.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Modejournalistin habe Anspruch auf die Differenzvergütung, die sich auf die branchenübliche Bezahlung von Redakteuren in Anfangsposition von rund 3 000 Euro brutto im Monat bezieht. Es liege ein wucherähnliches Geschäft im Sinne von § 138 BGB vor.

Es bestehe ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Das Missverhältnis sei auffällig, wenn es einem Kundigen, eventuell nach Aufklärung des Sachverhaltes, ohne Weiteres ins Auge springt. Eine nicht mehr hinnehmbare Abweichung bestehe bereits, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel des in der Industrie üblicherweise gezahlten Entgelts betrage. Das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung sei im vorliegenden Fall sehr auffällig. Vereinbart waren 400,-€. Der geschuldete verkehrsübliche Tariflohn für eine Redakteurin nach dem Tarifvertrag GTV Zeitschriften betrage 3 000,- € brutto monatlich.

Das Praktikumsverhältnis der Parteien sei ein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 611 BGB. Danach sind Personen Arbeitnehmer, die aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zu weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sind. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen.

Nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) § 84 Absatz 1 Satz 2 Absatz 2 sind diejenigen Mitarbeiter Arbeitnehmer, die nicht im Wesentlichen ihre Tätigkeit frei gestalten und ihre Arbeitszeit frei bestimmen können. Die persönliche Abhängigkeit hänge auch vom Grad der Tätigkeit ab. Es komme auf die Gesamtwürdigung aller Umstände des betreffenden Falls an.

Bei einem Praktikum müsse der Ausbildungszweck im Vordergrund stehen. Das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen müsse deutlich überwiegen. Sogenannte Praktika von Absolventen eines einschlägigen Studiums, die lediglich dem Einstieg in den Arbeitsmarkt dienen, jedoch mit üblichen Arbeitsaufgaben eines Arbeitnehmers verbunden sind, seien keine echten Praktika.

Wird das Vertragsverhältnis, wie im Falle eines Praktikums als Nicht-Arbeitsverhältnis deklariert, ist der wirkliche Geschäftsinhalt maßgebend. Widersprechen sich Vereinbarung und Durchführung des Vertrages, ist die Durchführung maßgebend.

Der schriftliche Praktikumsvertrag enthalte typische Arbeitnehmerpflichten. Die Modejournalistin musste täglich 8 Stunden in der fremdbestimmten Niederlassung der Arbeitgeberin tätig sein, war verpflichtet den Weisungen der Arbeitgeberin zu folgen, Arbeitsunfähigkeit musste sie anhand einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachweisen. Es wurden Tätigkeitspflichten, eine Vergütung und Urlaubsregelung vereinbart. All das sei typisch für Vertragsgestaltungen mit Arbeitnehmern.

Der schriftliche Vertrag enthalte Ausbildungspflichten, die nicht das Überwiegen des Ausbildungszweckes erkennen ließen. Der im Vertrag benannte Ausbildungsplan lag nicht bei. Der in der Berufungsbegründung näher beschriebene Ausbildungsplan entspreche nicht den Anforderungen eines Ausbildungsplans. Im Ausbildungsplan müsste festgelegt sein, welche Lernschritte in welcher Zeit, durch welchen Ausbilder, welche Ausbildungsmethoden in welchen Zusammenhängen an welchem Arbeitsplatz angewandt werden.

Eine überwiegende Ausbildungsabsicht sei schwer erkennbar, wenn weder zeitlich noch qualitativ erkennbar sei, was die behauptete Ausbildung von der Einarbeitung einer Berufsanfängerin unterscheide. Begriffe wie permanentes Kommunikationstraining, Kommunikationsausbildung und mediale Kommunikation seien Schlagwörter und Allgemeinplätze.

Ein Praktikum ist nach Definition des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vorübergehend. Nach dem Mindestlohngesetz kann es bis zu drei Monate betragen. Ein einjähriges Praktikum in Vollzeit für eine Absolventin des Modejournalismus sei nicht vorübergehend. Es sei nicht nachvollziehbar, warum eine studierte Modejournalistin ein einjähriges Praktikum für permanentes Kommunikationstraining, für eine Kommunikationsausbildung oder für das Verfassen von Texten oder Recherchieren benötige.

Bereits der schriftliche Vertrag indiziere insbesondere wegen der einjährigen weisungsgebundenen Vollzeittätigkeit ohne Überwiegen einer Ausbildungstätigkeit ein Arbeitsverhältnis. Die Arbeitgeberin treffe die Beweislast dazulegen, dass es kein Arbeitsverhältnis war. Der unsubstanziierte Vortrag der Arbeitgeberin habe das bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht infrage gestellt.

Selbst wenn ein Ausbildungsplan unterstellt werde, mangele es diesem an Strukturierung und zeitlichen Angaben. Ein Überwiegen des Ausbildungsverhältnisses sei vor dem Hintergrund des einjährigen Vertragsverhältnisses nicht entnehmbar.

Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses werde nicht durch behauptete weitgehend wirtschaftliche Unbrauchbarkeit der Arbeitsergebnisse sowie Vergesslichkeit und Langsamkeit der Modejournalistin infrage gestellt. Die Kontrolle und Korrektur durch einen Vorgesetzten sei auch in einem Arbeitsverhältnis für Berufsanfänger möglich.

Die Modejournalistin war in Vollzeit und damit vollberuflich bei der Arbeitgeberin fest angestellt. Der Ausbildungszweck fehlte. Sie war nicht zur Vorbereitung auf den Beruf einer Redakteurin, sondern in ihrem Beruf für die Arbeitgeberin tätig.

Die Modejournalistin trug mit eigenen Wort- und Bildbeiträgen zum redaktionellen Inhalt der Zeitschrift bei. Bereits der Wortlaut des Vertrages lege dar, dass die Modejournalistin überwiegend redaktionell tätig werden sollte. Als Redakteurin mindestens in der Gehaltsgruppe 1 stand der Modejournalistin im ersten Berufsjahr gemäß § 2 GTV (Gehaltstarifvertrag) ein Bruttomonatsgehalt von über 3 000,- € zu. Der GTV Zeitschriften sei verkehrsüblich, wenn mehr als 50% der Arbeitgeber eines Tarifgebietes tarifgebunden sind oder die organisierten Arbeitgeber mehr als 50% der Arbeitnehmer eines Tarifgebietes beschäftigen.

Die Arbeitgeberin habe mit verwerflicher Gesinnung im Sinne von § 138 BGB gehandelt. Dafür spreche das besonders grobe Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Die Arbeitgeberin habe die Vermutung einer verwerflichen Gesinnung nicht widerlegt.

Die behauptete tausendfache Verbreitung von Praktikumsverhältnissen wie dem vorliegenden, beseitige nicht die verwerfliche Gesinnung der Arbeitgeberin. Der Verweis auf die Üblichkeit solcher Praktikumsverträge sei nur Ausdruck einer Schein-Naivität. Die verwerfliche Gesinnung werde auch nicht dadurch beseitigt, dass die Arbeitgeberin mit dem Angebot eines Scheinpraktikums möglicherweise die Chancen für den Berufseinstieg der Modejournalistin erleichtert habe.

Die Ausnutzung einer schlechten Arbeitsmarktlage für Journalisten berechtige nicht zur Zahlung von rund 13% der üblichen Vergütung. Die Arbeitgeberin habe der Modejournalistin die Differenz zum Tariflohn für Redakteure gemäß GTV Zeitschriften zumindest in der geltend gemachten Höhe zu zahlen.

Die Modejournalistin handele nicht treuewidrig und zeige kein widersprüchliches Verhalten, indem sie erst nach der Zeit des Scheinpraktikums eine höhere Vergütung geltend mache. Die Arbeitgeberin habe die Vertragsbedingungen diktiert. Als Berufsanfängerin befand sich die Modejournalistin in einer Zwangslage. Es sei typisch für ein Scheinpraktikum, dass während der Vertragszeit keine höhere Vergütung verlangt werde, in der Hoffnung nach dem Scheinpraktikum ein offizielles Arbeitsverhältnis angeboten zu bekommen oder zumindest ein gutes Praktikumszeugnis. Diese Ausgangslage habe die Arbeitgeberin versucht auszunutzen. Deshalb ist die Arbeitgeberin nicht schützenswert.

Die Entscheidung hat keine grundsätzliche Bedeutung und beruht auf den Besonderheiten des Einzelfalles.