Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.07.2016, Aktenzeichen 2 AZR 536/15
Wird eine Abfindung nach § 1a Kündigungsschutzgesetz gewährt, schließt dies nicht die Zahlung einer weiteren im Interessenausgleich vereinbarten Abfindung aus. Die jeweiligen Zahlungszwecke sind unterschiedlich.
Ein Mitarbeiter war 40 Jahre bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen. Mit dem Betriebsrat wurde ein Interessenausgleich vereinbart.
Im Kündigungsschreiben des Mitarbeiters wies die Arbeitgeberin auf das Recht der Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung hin. Nach Verstreichen dieser Frist habe der Mitarbeiter nach § 1a KSchG (Kündigungsschutzgesetz) Anspruch auf Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes für jedes volle Beschäftigungsjahr.
Der Mitarbeiter erhob keine Kündigungsschutzklage. Die Arbeitgeberin zahlte ihm eine Abfindung entsprechend den Vereinbarungen im Interessenausgleich. Der Mitarbeiter forderte mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht eine weitere Abfindung in gleicher Höhe, jedoch nach § 1a KschG.
Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Der Mitarbeiter könne die Abfindung nur einmalig beanspruchen. Im Kündigungsschreiben sei der Hinweis auf § 1a KschG lediglich als Berechnungsgrundlage für die Höhe der Abfindung nach dem Interessenausgleich zu verstehen. Dem Mitarbeiter sei in einem Gespräch die Höhe der Abfindung erläutert worden. Zumindest bestehe zwischen dem Anspruch einer Abfindung nach § 1a KschG und aus dem Interessenausgleich eine Konkurrenz der Ansprüche, die nicht gleichzeitig geltend gemacht werden könnten.
Das Arbeitsgericht entsprach der Klage des Mitarbeiters. Das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts und wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Klageabweisung.
Das BAG hielt die Revision für unbegründet. Das LAG habe zurecht entschieden, der Mitarbeiter habe Anspruch auf Zahlung einer weiteren Abfindung nach § 1a Absatz 1 KschG.
Danach hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung, wenn das Arbeitsverhältnis von der Arbeitgeberin wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach §1 Absatz 2 Satz 1 KschG kündigt. Vorausgesetzt, der Arbeitnehmer erhebt innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung keine Feststellungsklage darüber, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wurde. Weitere Voraussetzung sei, dass die Arbeitgeberin in der Kündigungserklärung darauf hinweise, dass die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erfolgt und der Arbeitnehmer die Abfindung beanspruchen kann, wenn er die Klagefrist verstreichen lässt. Die Höhe der Abfindung betrage einen halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.
All diese Voraussetzungen wurden erfüllt. Die Arbeitgeberin habe eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erklärt und ausdrücklich im Kündigungsschreiben darauf hingewiesen, dass der Mitarbeiter nach verstreichen der Klagefrist eine Abfindung nach § 1a KschG beanspruchen könne. Da der Mitarbeiter keine Kündigungsschutzklage erhoben hatte, sei für ihn nach Ablauf der Kündigungsfrist der Anspruch auf Zahlung der gesetzlich vorgesehenen Abfindung entstanden.
Die Arbeitgeberin habe im Kündigungsschreiben keine Verbindung zu einem kollektivrechtlichen Anspruch hergestellt. Sie verwies auf § 1a Absatz 1 KschG als Anspruchsgrundlage. Im Gensatz zur Formulierung im Kündigungsschreiben sei die Abfindungsregelung im Interessenausgleich nicht an den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage gebunden. Im Kündigungsschreiben gebe es keine Formulierung einer möglichen Anrechnung der jeweiligen Abfindungen aus dem Interessenausgleich sowie nach § 1a KschG.
Der Mitarbeiter durfte es für möglich halten, dass die Arbeitgeberin nach verstreichen der Klagefrist eine weitere Abfindung zahlen wollte. Der Mitarbeiter müsse sich über die Motive der Arbeitgeberin für dieses Handeln keine Gedanken machen. Die Arbeitgeberin hätte mit einer sorgfältigen Formulierung des Kündigungsschreibens den Umfang der Leistungsgewährung klarstellen können. Es sei auch unerheblich, ob der Mitarbeiter mit dem Gesamtbetrag aus beiden Abfindungen besser gestellt werde, als hätte er bis zur Altersgrenze bei der Arbeitgeberin weiter gearbeitet.
Nach dem Zugang der Kündigungserklärung habe die Arbeitgeberin mit dem Mitarbeiter ein Gespräch über die Höhe der Abfindung geführt. Das Gespräch sei aber unwesentlich, da aus Gründen von Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung der Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens maßgeblich sei. Aus dem Kündigungsschreiben müsse der Mitarbeiter eindeutig entnehmen können ob und in welcher Höhe die Arbeitgeberin eine Abfindung anbiete. Es wäre mit dem Kündigungsschutzgesetz unvereinbar, wenn der Wille des Mitarbeiters während seiner dreiwöchigen Überlegungsfrist durch weitere Erklärungen in Zweifel gezogen werden könnte.
Die Arbeitgeberin behauptete, ihre Kündigung sei unwirksam, da der Betriebsrat nach § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ungenügend beteiligt wurde. Der Abfindungsanspruch nach § 1a KschG setze jedoch keine wirksame Kündigung der Arbeitgeberin voraus. Der Streit über die Wirksamkeit der Kündigung solle gerade durch das Abfindungsangebot vermieden werden.
Den sich aus § 1a Absatz 1 KschG ergebenden Abfindungsanspruch habe die Arbeitgeberin nicht durch die Zahlung der sich aus dem Interessenausgleich ergebenden Abfindungszahlung erfüllt. Wegen der unterschiedlichen Leistungszwecke könne aus Rechtsgründen keine Anrechnung der Abfindung aus dem Interessenausgleich auf die Abfindung nach § 1a Absatz 1 KschG erfolgen.
Leistungen aus dem Interessenausgleich, die der Abmilderung oder dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile dienen, die sich aus der Betriebsänderung ergeben, dürften nicht vom Verzicht des Arbeitnehmers auf eine Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Das folge aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 BetrVG.
Arbeitnehmer die eine Kündigungsschutzklage einreichten, würden bezüglich der Abfindung aus dem Sozialplan schlechtergestellt, als diejenigen die keine gerichtliche Prüfung der Kündigungswirksamkeit beanspruchten. Eine solche Ungleichbehandlung sei nach Sinn und Zweck des Sozialplans nicht gerechtfertigt. Das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, dürfe nicht umgangen werden.
Eine vollständige Anrechnung des Anspruchs aus dem Interessenausgleich auf den durch das Kündigungsschreiben begründeten Anspruch scheide aus den genannten Gründen aus. Der Zweck für die jeweiligen Zahlungen sei unterschiedlich. Die normativ geregelte Abfindung nach §112 Absatz 1 Satz 2 BetrVG diene ausschließlich dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden sind.
Arbeitgeberin und Betriebsrat hätten keine gesonderte Regelung für den Fall vorgesehen, dass ein Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch mache. Die Anrechnung einer Abfindung nach § 1a Absatz 1 KschG wurde nicht vereinbart. Dem Mitarbeiter stehe die Zahlung der Abfindung nach § 1a Absatz 1 KschG in vollem Umfang zu.