Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2016, Aktenzeichen 5 AZR 703/15
Eine Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Mindestentgelt kann bestehende gesetzliche Regelungen nicht außer Kraft setzen. Ist eine Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag nicht transparent, so ist sie unwirksam.
Eine Pflegehilfskraft war ein halbes Jahr bei einem ambulanten Pflegedienst beschäftigt. In den letzten 4 Wochen ihrer Beschäftigungszeit war die Pflegehilfskraft arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Arbeitgeberin zweifelte trotz ärztlicher Bescheinigung an der Arbeitsunfähigkeit und leistete keine Entgeltfortzahlung.
Im Folgemonat nach der Krankheit forderte die Pflegehilfskraft die Arbeitgeberin zur Abrechnung und Bezahlung der Krankentage auf. 4 Monate später bekräftigte sie ihre Forderung mit einem anwaltlichen Schreiben.
Wenige Tage nach dem anwaltlichen Schreiben reichte die Pflegehilfskraft Klage beim Arbeitsgericht ein. Für den Zeitraum von insgesamt 19 Arbeitstagen, während sie arbeitsunfähig krankgeschrieben war, schulde die Arbeitgeberin ihr die Entgeltfortzahlung für täglich 4 Arbeitsstunden. Sie habe nicht die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist von 3 Monaten einhalten müssen. Die Frist nach § 4 PflegeArbbV (Pflegearbeitsbedingungenverordnung) habe sie gewahrt.
Die Arbeitgeberin beantragte die Klageabweisung. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei nach § 22 Arbeitsvertrag verfallen.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Klageabweisung.
Das BAG entschied, die Revision habe lediglich hinsichtlich der Höhe der Forderung Erfolg. Hinsichtlich eines Teilbetrages sei die Klage nach den Darlegungen der Pflegehilfskraft unbegründet.
Das LAG habe festgestellt, die Pflegehilfskraft habe am ersten Tag der beanspruchten Entgeltfortzahlung ihren Arbeitsplatz erst verlassen, nachdem sie zuvor in vollem Umfang ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachgekommen war. Demnach habe es an diesem Tag keinen Ausfall der Arbeitsleistung der Pflegehilfskraft gegeben. Sie habe deshalb keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit für diesen Tag. Es sei nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits, ob das Arbeitsentgelt im fraglichen Monat für diesen voll geleisteten Tag gezahlt wurde. Im Übrigen sei die Klage aber begründet.
Die Arbeitgeberin sei nach § 3 Absatz 1 und § 4 Absatz 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) für die Dauer der durch ärztliche Bescheinigung belegten Arbeitsunfähigkeit zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Die Höhe der Fortzahlung richte sich nach dem Arbeitsentgelt, das für die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit gewährt werde. Die Arbeitgeberin habe ihre Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit vor dem LAG nicht aufrecht erhalten.
Die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist sei nach § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) wegen Intransparenz unwirksam. Deshalb musste die Pflegehilfskraft nicht die dort benannte Frist von 3 Monaten einhalten, um ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung geltend zu machen.
Der § 22 des Arbeitsvertrages sei eine Allgemeine Geschäftsbedingung nach § 305 Absatz 1 Satz 1 und 2 BGB. Das äußere Erscheinungsbild bestätige die tatsächliche Vermutung.
Arbeitsverträge, die nach dem Inkrafttreten der PflegeArbbV abgeschlossen wurden, könnten kein geringeres Entgelt bestimmen, als das Mindestentgelt nach § 2 der Verordnung. Für den Anspruch auf Mindestentgelt könnten Ausschlussfristen nicht im Arbeitsvertrag geregelt werden. Das AEntG (Arbeitnehmer-Entsendegesetz) sei ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB. Es entziehe den Arbeitsvertragsparteien zum Schutz des Mindestentgeltanspruchs Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs.
Die Unwirksamkeit einzelner Teile von Allgemeinen Geschäftsbedingungen berührten nur diese und nicht den gesamten Vertrag.
Die mangelnde Klarheit und Verständlichkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung könne zu deren Unwirksamkeit führen. Rechtsfolgen und tatbestandliche Voraussetzungen müssten so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Spielräume zur Beurteilung entstünden. Der Vertragspartner solle ohne fremde Hilfe Gewissheit über den Inhalt der vertraglichen Rechte und Pflichten erlangen und nicht von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten werden. Eine Klausel, in der die Rechtslage unzutreffend oder missverständlich dargestellt werde, und damit dem Verwender die Möglichkeit einräume, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die Klausel abzuwehren, benachteilige den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte sei die Ausschlussfristenregelung im § 22 des Arbeitsvertrages intransparent. Im § 22 wurde festgelegt, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, falls sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Das gelte auch für Ansprüche, die während des Arbeitsverhältnisses entstanden. Wird der Anspruch von der Gegenpartei abgelehnt oder nicht innerhalb von zwei Wochen beantwortet, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
Die Rechtslage werde im § 22 des Arbeitsvertrages irreführend dargestellt, da sie suggeriere, auch der Anspruch auf Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV müsse innerhalb der benannten Frist geltend gemacht werden. Somit bestehe die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer bei verstrichener Frist seine Ansprüche auf das Mindestentgelt nicht mehr durchsetze, obwohl nach § 4 PflegeArbbV noch kein Verfall eingetreten sei. Tatsächlich bestimmt § 4 PflegeArbbV eine Ausschlussfrist von 12 Monaten.
Die Pflegearbeitsbedingungenverordnung (PflegeArbbV) sei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits drei Jahre in Kraft gewesen. Der Arbeitgeberin wäre es leicht möglich gewesen, in der Verfallsklausel den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV auszuschließen.