Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.11.2016, Aktenzeichen 8 TaBV 22/16
Wird der Betriebsbegriff für eine Betriebsratswahl nicht ausreichend gewürdigt, kann die Betriebsratswahl als unwirksam erklärt werden. In einem gemeinsamen Betrieb können nicht zwei unabhängige Betriebsräte gewählt werden.
Ein Klinikum gründete im Jahr 2003 eine Wirtschaftsgesellschaft, die seither Servicedienstleistungen insbesondere für das Klinikum erbringt. Dazu gehören Wirtschaftsdienste sowie Leistungen in der Infrastruktur wie Küche, Transport und Reinigung. Der Sitz der Wirtschaftsgesellschaft ist mit dem des Klinikums identisch.
Kaufmännische Leiterin der Wirtschaftsgesellschaft ist eine Angestellte des Klinikums. Der Geschäftsführer des Klinikums ist gleichzeitig Geschäftsführer der Wirtschaftsgesellschaft. Im August 2015 wurde bei der Wirtschaftsgesellschaft eine zweite Geschäftsführerin bestellt. Personalabrechnung und -sachbearbeitung wurden komplett vom Klinikum durchgeführt.
Von den rund 380 Mitarbeitern der Wirtschaftsgesellschaft sind ca. 160 Mitarbeiter des Klinikums, die auf unbestimmte Zeit zur Verfügung gestellt wurden. Die übrigen ca. 220 Mitarbeiter haben einen Arbeitsvertrag mit der Wirtschaftsgesellschaft. Bewerber für die Wirtschaftsgesellschaft haben ihre Unterlagen direkt an das Klinikum zu senden, wo auch die Vorstellungsgespräche geführt werden. Dienstpläne und Urlaubsanträge werden vom Klinikum genehmigt.
Am 6. Mai 2014 wurde im Klinikum ein neuer Betriebsrat gewählt. Wahlberechtigt waren die Mitarbeiter des Klinikums sowie die meisten Mitarbeiter der Wirtschaftsgesellschaft. Passiv wahlberechtigt waren jedoch nur Mitarbeiter des Klinikums. Wenige Tage später, am 14. Mai 2014, wurde bei der Wirtschaftsgesellschaft ein neuer Betriebsrat gewählt. Die vom Klinikum gestellten Arbeitnehmer waren wahlberechtigt, aber nicht wählbar.
Mehrere Einzelpersonen als Antragsteller, die betonten, auch bei späteren Betriebsratswahlen wieder aufgestellt werden zu wollen, fochten die beiden Betriebsratswahlen an. Vor dem Arbeitsgericht wurde beantragt festzustellen, dass die Betriebsratswahl bei der Wirtschaftsgesellschaft unwirksam sei. Die Antragsteller waren der Ansicht, dass ein gemeinsamer Betrieb vorliege und nur ein einziger Betriebsrat gewählt werden durfte. Sämtliche Personalentscheidungen sowie alle organisatorischen und personellen Entscheidungen würden vom Geschäftsbereichsleiter Personal Klinikum getroffen.
Das Klinikum führte in der Klageabweisung aus, die vom Geschäftsführer der Wirtschaftsgesellschaft eingesetzte kaufmännische Leiterin hätte entsprechend der Stellenausschreibung auch Personalverantwortung getragen. Sie erhielte nur im Einzelfall Unterstützung vom Geschäftsbereichsleiter Personal Klinikum. Es sei jedenfalls spätestens zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine einheitliche Leitung in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten bei Klinikum und Wirtschaftsgesellschaft vorhanden gewesen.
Das Arbeitsgericht erklärte die Betriebsratswahl vom 06.05. 2014 für unwirksam. Klinikum und Wirtschaftsgesellschaft hätten zum Zeitpunkt der Betriebsratswahlen einen einheitlichen Betrieb gebildet. Zum Zeitpunkt der Betriebsratswahlen seinen beide einheitlich vom Geschäftsbereichsleiter Personal Klinikum in personellen und sozialen Angelegenheiten geleitet worden. Für die Wirksamkeit der Wahl komme es auf den Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsratswahl an, nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Maßgebend seien die betrieblichen Umstände zu diesem Zeitpunkt.
Klinikum, Wirtschaftsgesellschaft und die Betriebsräte legten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes beim Landesarbeitsgericht (LAG) Beschwerde ein.
Zum Zeitpunk der Wahl habe keine einheitliche Leitung durch den Geschäftsbereichsleiter Personal Klinikum bestanden. Im Rahmen des Geschäftsführerwechsels seien lediglich Aufgaben delegiert und umorganisiert worden. Zudem habe das Arbeitsgericht verkannt, dass maßgebend für die Entscheidung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei. Zu diesem Zeitpunkt hätten aber wieder zwei getrennte Betriebe existiert, es hätten zwei Betriebsräte gewählt werden müssen.
Die einzelnen Antragsteller machten geltend, es bestünde unabhängig von der konkreten Wahl ein Feststellungsinteresse, dass Klinikum und Wirtschaftsgesellschaft einen gemeinsamen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes führten, da dies für zukünftige Betriebsratswahlen relevant sei.
Klinikum, Wirtschaftsgesellschaft und die Betriebsräte vertraten die Ansicht, die gestellten Anträge seien nicht sachdienlich. Den Anträgen fehle es zudem an Befugnis, da einzelne Arbeitnehmer keine Antragsbefugnis nach § 18 Absatz 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) besäßen.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das LAG stellte fest, das Arbeitsgericht habe zu Recht die Betriebsratswahl im Klinikum vom 06. Mai 2014 für unwirksam erklärt, da der Betriebsbegriff verkannt wurde.
Nach § 19 Absatz 2 Satz 1 BetrVG seien die Einzelpersonen antragsberechtigt, da es sich um mehr als 3 wahlberechtigte Arbeitnehmer handele. Selbst Wahlberechtigte, die nicht kandidiert und nicht einmal gewählt haben, seien anfechtungsberechtigt. Sie seien berechtigt, die Beachtung der Wahlvorschriften durchzusetzen, damit ein ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat seine Arbeit aufnimmt.
Die antragstellenden Arbeitnehmer seien jedoch nicht berechtigt feststellen zu lassen, dass Klinikum und Wirtschaftsgesellschaft einen gemeinsamen Betrieb führen, für den ein einziger Betriebsrat zuständig ist. Ihr Begehren sei deshalb auf die Feststellung der maßgeblichen betriebsratsfähigen Organisationseinheit gerichtet. Antragsbefugt seien nach § 18 Absatz 2 BetrVG Arbeitgeberinnen, jeder beteiligte Betriebsrat, jeder beteiligte Wahlvorstand oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft.
Wurden in einem einheitlichen Betrieb unter Verkennung des Betriebsbegriffs statt eines Betriebsrates mehrere gewählt, so könne dieser betriebsverfassungswidrige Umstand nur durch gerichtliche Annullierung der Wahl sämtlicher Betriebsräte beseitigt werden.
Nachträgliche Organisationsänderungen bei der Wirtschaftsgesellschaft könnten nichts an dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller ändern. Das Allgemeininteresse an der Ordnungsmäßigkeit der Wahl stünde im Vordergrund.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sei von einem gemeinsamen Betrieb auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben.
Werde im Einzelfall festgestellt, der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich wird von derselben institutionellen Leitung ausgeübt, so sei dies ein Zeichen für eine Führungsvereinbarung. Die einheitliche Leitung müsse sich auf die wesentlichen Funktionen der Arbeitgeberin in personellen und sozialen Angelegenheiten erstrecken. Die Funktionen der Arbeitgeberin müssen institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. Ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz sei entscheidend für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt werde.
Die unterschiedlichen Unternehmenszwecke von Klinikum und Wirtschaftsgesellschaft schlössen die Bildung eines gemeinsamen Betriebes nicht aus. Maßgeblich sei die Einheit der Organisation. Im vorliegenden Fall stehe der Zweck der Wirtschaftsgesellschaft bereits in funktionalem Zusammenhang zum Zweck des Klinikums. Die Wirtschaftsgesellschaft soll als Servicegesellschaft das Klinikum bei der Erfüllung seiner betrieblichen Zwecke unterstützen.
Für einen gemeinsamen Betrieb spräche als starke Indizien die gemeinsame räumliche Unterbringung der Arbeitgeberinnen, die gemeinsame Personalabteilung, die betriebsübergreifenden Urlaubsgrundsätze, die Dienstplangestaltung sowie die Personenidentität in der Geschäftsführung.
Maßgebend sei die gemeinsame Personalabteilung, die von einer Person geleitet wird, die auch zum Wahlzeitpunkt für beide Unternehmen einheitlich die Entscheidungen in wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten ggf. in Zusammenarbeit mit dem personenidentischen Geschäftsführer des Klinikums und der Wirtschaftsgesellschaft treffe. Daraus lasse sich problemlos auf eine zumindest stillschweigende Führungsvereinbarung schließen. Die gemeinsame Personalleitung stelle nach der Rechtsprechung ein wesentliches Indiz für einen gemeinsamen Betrieb dar.
Die Personalabteilung sei um den Kern der personellen und sozialen Arbeitgeberfunktionen tätig, indem sie auch den Abschluss von Arbeitsverträgen, Führung von Personalakten, Abmahnungen, Anpassung der Vergütung für Arbeitnehmer und Bewerberauswahl, rundweg alle notwendigen Maßnahmen der Personalsachverwaltung für die Wirtschaftsgesellschaft übernahm.
Das Klinikum, das 100% der Anteile an der Wirtschaftsgesellschaft halte, und die Wirtschaftsgesellschaft würden im personellen Bereich einheitlich gesteuert. Der Geschäftsbereichsleiter Personal Klinikum nehme dabei eine zentrale Rolle ein. Er habe mit dem Betriebsrat über Betriebsvereinbarungen verhandelt, und war im Jahr 2013 alleiniger Ansprechpartner für den Betriebsrat auf der Arbeitgeberseite.
Die behauptete Entscheidungskompetenz der kaufmännischen Leiterin der Wirtschaftsgesellschaft in Personalangelegenheiten werde weder von der erst im laufenden Verfahren erstellten Stellenbeschreibung vom 23.10.2014 noch von den übrigen eingereichten Unterlagen gestützt. Die kaufmännische Leiterin sei zwar zur Umsetzung personal- und finanzpolitischer Entscheidungen berechtigt, aber nicht, die Entscheidungen selbst zu treffen.
Durch die Verkennung des Betriebsbegriffs sei die falsche Zahl an Betriebsräten gewählt worden und die Arbeitnehmer beider Unternehmen hätten für alle wahlberechtigten Arbeitnehmer beider Unternehmen wählbar sein müssen.