Mitbestimmung des Betriebsrats an Bildschirmarbeitsplätzen
Landesarbeitsgericht, Urteil vom 11.01.2017, Aktenzeichen 13 TaBV 109/15
Basierend auf der Bildschirmarbeitsverordnung besteht objektiv eine gesetzliche Handlungspflicht, die wegen fehlender zwingender Vorgaben eine betriebliche Umsetzung verlangt. Trifft die Arbeitgeberin betriebliche Regelungen über den Gesundheitsschutz, etwa für die Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen, und es verbleiben Handlungsspielräume, hat der Betriebsrat mitzubestimmen.
Vor dem Arbeitsgericht erzielten Arbeitgeberin und Betriebsrat einen Vergleich. Daraus resultierte der Einsatz einer Einigungsstelle zum Thema Gesundheitsschutz. Die Einigungsstelle sollte unter anderem die Gefährdungsbeurteilung, die Unterweisung sowie die Gestaltung der Arbeitsbedingungen gemäß den gesetzlichen Vorgaben in § 4 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz) und dem Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) regeln.
Die Arbeitgeberin erbringt IT-Dienstleistungen für Drittunternehmen. Von 97 Arbeitnehmern arbeiten 94 regelmäßig beim Kunden, teilweise auch von zu Hause aus. Ausnahmsweise und unregelmäßig sind die Mitarbeiter des Außendienstes in den Betriebsräumlichkeiten der Arbeitgeberin tätig. Falls diese Mitarbeiter in den Räumen der Arbeitgeberin arbeiten, dann meist für einen ganzen Arbeitstag.
Es gibt 3 Arbeitsplätze, die bestimmten Mitarbeitern zugewiesen sind. Diese Mitarbeiter sind betrieblich mit Laptop, externer Tastatur und Maus ausgestattet. Alle anderen Mitarbeiter der Arbeitgeberin müssen sich einen freien Arbeitsplatz suchen, wenn sie nicht beim Kunden eingesetzt sind oder von zu Hause aus arbeiten. Zusätzlich bestehen bei der Arbeitgeberin 60 Büroarbeitsplätze mit jeweils einem leeren, manuell höhenverstellbaren Arbeitstisch (160 cm x 80 cm) und Arbeitsstuhl. 30 Arbeitsplätze sind der Arbeitgeberin zugeordnet. Im Rahmen des E-Place-Konzepts sind diese Arbeitsplätze auch für Beschäftigte anderer Standorte des Konzerns verfügbar.
Ein Drittel der Arbeitstische der Arbeitgeberin ist mit einem Monitor von mindestens 22 Zoll Bildschirmdiagonale ausgerüstet. Nahezu gleichviel Schreibtische können bis Stehhöhe angepasst werden. Für die Nutzung von Notebooks sind höhenverstellbare, dreh- und kippbare Auflageflächen vorhanden.
In den Arbeitsräumen der Kunden herrschen unterschiedliche Arbeitsbedingungen. Teilweise wird ein fester Raum mit Hardware zur Verfügung gestellt. Teilweise müssen die Arbeiten beim Kunden mit mitgebrachter Hardware (Laptop) in wechselnden Räumen ausgeführt werden. Kundeneinsätze dauern in der Regel zwischen mehreren Wochen und mehreren Jahren.
Nach einer Begehung der Arbeitsplätze fasste die Einigungsstelle einen Teilspruch zur Gestaltung der Arbeitsplätze. Unter anderem wurden Arbeitstische gefordert, die 100 cm tief sind, statt bisher 80 cm und dem Nutzer eine ergonomisch günstige Haltung ermöglichen. Monitore sollen mindestens eine Bildschirmdiagonale von 24 Zoll aufweisen. Die Arbeitgeberin solle den Arbeitnehmern, die zur Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben beim Kunden Arbeitsmittel mit sich führen, geeignete Behältnisse wie Rucksack oder Rollkoffer zur Verfügung stellen.
Für jeden Nutzer sei ausreichend Raum für wechselnde Arbeitshaltungen und störungsfreies Arbeiten einzuplanen. Räume und Arbeitsplätze seien so zu beleuchten, dass für den einzelnen Beschäftigten die Ziffern 3,4,15,16 des Anhangs BildschirmarbV erfüllt sind und damit die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten unterstützt werde. Die Arbeitgeberin habe auch beim Einsatz in anderen Betrieben sicherzustellen, dass die Anforderungen des Einigungsstellenspruches an Arbeitsmittel und Arbeitsumgebung erfüllt werden.
Die Arbeitgeberin beantragte beim Arbeitsgericht, die Unwirksamkeit des Teilspruches feststellen zu lassen. Der Spruch der Einigungsstelle sei schon deshalb unwirksam, weil die Gestaltung der Arbeitsplätze ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung geregelt wurde. Für Arbeitstische bestehe kein Mitbestimmungsrecht. Die Arbeitstische im Betrieb genügten den Anforderungen der Bildschirmarbeitsverordnung. Die im Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung festgelegten Anforderungen seien so präzise gefasst, dass kein Spielraum offenbleibe. Damit scheide ein Mitbestimmungsrecht aus.
Die verpflichtende Bereitstellung zusätzlicher Monitore in der vorgegebenen Größe lasse sich nicht aus dem Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung entnehmen und entspreche nicht gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen. Es bestehe die Möglichkeit, tätigkeitsbezogen besondere Bildschirmgrößen zu erhalten, falls diese von der zuständigen Führungskraft bestätigt wurde. In der Praxis legten die Mitarbeiter gar keinen Wert auf einen externen Monitor.
Aus der Bildschirmarbeitsverordnung ergebe sich keine Verpflichtung zur Bereitstellung geeigneter Transportbehälter. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats erstrecke sich auch nicht auf außerbetriebliche Arbeitsplätze bei den Kunden.
Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit des Teilspruchs der Einigungsstelle hinsichtlich der Regelungen zur Maus, Raum für wechselnde Arbeitshaltungen, Beleuchtung und Transportbehältnissen fest.
Die Arbeitgeberin legte Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Ohne Regelung über die Gefährdungsbeurteilung könne keine Regelung über die Gestaltung der Arbeitsplätze erfolgen. Aus der Gefährdungsbeurteilung ergäben sich die notwendigen Maßnahmen nach der Bildschirmarbeitsverordnung und der Betriebssicherheitsverordnung.
Weiter argumentierte die Arbeitgeberin, der Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung enthalte keine Aussage zur Höhenverstellbarkeit der Arbeitstische. Die Mindestgröße der Arbeitstische sei nach freiem Ermessen, nicht nach arbeitswissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen festgelegt worden und damit ermessensfehlerhaft. Bezüglich der Tastaturen enthalte der Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung keinen ausfüllungsbedürftigen Rahmen. In Bezug auf die Arbeitsstühle werde im Einigungsstellenbeschluss nur der Wortlaut des Anhangs der Bildschirmarbeitsverordnung ohne Konkretisierung wiederholt.
Es sei lebensfremd anzunehmen die Arbeitgeberin könne die Ausstattung von Arbeitsplätzen bei Kunden im Rahmen von Vertragsgesprächen steuern. Mit einer entsprechenden Verpflichtung laufe sie Gefahr, Aufträge gar nicht erst zu erhalten oder zu verlieren.
Die Arbeitgeberin beantragte beim LAG feststellen zu lassen, dass der Teilspruch der Einigungsstelle zur Gestaltung der Arbeitsplätze insgesamt unwirksam sei.
Der Betriebsrat argumentiert in seiner Klageabweisung, es bedürfe keiner Gefährdungsbeurteilung für die Feststellung, dass die normativen Anforderungen an Bildschirmarbeitsplätze durch leere Tische nicht erfüllt werden.
Die höhenverstellbaren Tische verminderten nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen die Belastung der Wirbelsäule. Diese Regelung sei notwendig, da die meisten Beschäftigten nicht über einen eigenen Arbeitsplatz verfügten. Die festgelegte Größe der Arbeitsfläche ergebe sich aus der Art der Tätigkeit und in diesem Zusammenhang benötigten Arbeitsmitteln.
24 Zoll sei mittlerweile eine normale Größe für Monitore. Arbeitswissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Ausgestaltung der Hardware seien neben der Bildschirmarbeitsverordnung auch der Norm ISO 9241 zu entnehmen. Das gelte auch für die Tastaturen.
Die Begehung der Arbeitsplätze durch die Einigungsstelle habe ergeben, die Arbeitsstühle entsprechen nicht den Anforderungen des Anhangs der Bildschirmarbeitsverordnung. Die Arbeitgeberin sei verpflichtet, für die Erfüllung der Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes und der Bildschirmarbeitsverordnung beim Einsatz ihrer Beschäftigten Drittunternehmen zu sorgen. Dies könne im Rahmen der Vertragsgestaltung mit den Kunden geschehen.
Die von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Computermäuse entsprächen nicht den speziellen ergonomischen Anforderungen zur Tätigkeit an einem Notebook bzw. Bildschirmgerät. Die Regelungen der Einigungsstelle über ausreichenden Raum für wechselnde Arbeitshaltungen konkretisieren den Planungsansatz des § 4 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz).
Durch den Bezug auf die Ziffern im Anhang der Bildschirmarbeitsverordnung erhalte die Regelung zur Beleuchtung eine ausreichende Konkretisierung. Transportmittel seien notwendig, da die Arbeitnehmer Arbeitsmittel wie Notebook, Tastatur, Maus, Ladegerät, Smartphone, Schreibgerät und Unterlagen in Papier zum Kunden transportieren. Der ausfüllungsbedürftige Rechtsrahmen ergebe sich aus der Betriebssicherheitsverordnung.
Das LAG hielt den Antrag für teilweise begründet. Bezüglich einzelner Regelungen habe die Einigungsstelle die Grenzen billigen Ermessens nach § 76 Absatz 5 Satz 3 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) überschritten. Der Einigungsstellenspruch sei damit teilweise unwirksam.
Die Einigungsstelle sei befugt, in den Angelegenheiten nach § 87 Absatz 1 BetrVG eine Regelung zu treffen. Ihre Kompetenz reiche dabei soweit wie das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
In diesem Fall beschränke sich die Mitbestimmung des Betriebsrats auf § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG. Trifft die Arbeitgeberin betriebliche Regelungen über den Gesundheitsschutz und es verbleiben Handlungsspielräume, hat der Betriebsrat mitzubestimmen. Das bedeutet, es muss objektiv eine gesetzliche Handlungspflicht bestehen, die wegen fehlender zwingender Vorgaben eine betriebliche Umsetzung verlangt.
§ 4 Absatz der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) in Verbindung mit den Regelungen des Anhangs (in der Fassung gültig bis 03.12.2016) sei eine ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschrift. Begriffe wie „ausreichend groß“, „ausreichender Raum“, geeignete Lichtschutzvorrichtung“ vermitteln verbleibende Handlungsspielräume, die durch Konkretisierungen auszufüllen sind.
Als Bildschirmarbeitsplatz gelten die Arbeitsplätze, die mit einem Bildschirm ausgerüstet sind, im Gegensatz zu den weiteren Arbeitsplätzen mit Schreibtischen, die leer angeboten werden.
Es bestehe keine Verpflichtung zur vorherigen Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung im Sinne von §§ 5 Absatz 1 ArbSchG, um Maßnahmen im Sinne von § 4 Absatz 1 BildscharbV zu treffen. Das gebe der Wortlaut der Vorschrift nicht her. Maßnahmen nach der BildscharbV seien auch nach wesentlichen Änderungen des Arbeitsplatzes zu treffen, ohne dass eine Gefährdungsbeurteilung erwähnt werde. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Arbeitgeberin ihre Erkenntnisse durch Begehung des Arbeitsplatzes und Mitarbeiterbefragung erhalte und geeignete Maßnahmen im Sinne von § 4 Absatz 1 BildscharbV einleite oder unabhängig von konkreten Erkenntnissen auf technische Normen und Handlungshilfen zurückgreife.
Die Ausführungen der Einigungsstelle zu Größe und Höhenverstellbarkeit der Arbeitstische und den Raum für eine ergonomisch günstige Haltung enthielten keinen Ermessensfehler. Die Bestimmung der Bildschirmgröße liege ebenfalls im Ermessen der Einigungsstelle. Hingegen sei die Anzahl der Bildschirme, in Abhängigkeit der auszufüllenden Aufgaben, von der Arbeitgeberin festzulegen.
Die Regelungen zu den Tastauren seien bereits ausreichend vom Anhang der BildscharbV berücksichtigt und durch Verweise auf technische Normen hinreichend konkretisiert.
Bildschirmarbeitsplätze in Kundenbetrieben unterfallen nicht dem Mitbestimmungsrecht. Deshalb war die Einigungsstelle nicht befugt, eine entsprechende Regelung zu treffen. Die Arbeitgeberinnen der Kundenbetriebe seien eigenständig für die Umsetzung der BildscharbV verantwortlich. Es bestehe lediglich eine Pflicht zur wechselseitigen Abstimmung über die Durchführung von Sicherheits- und Gesundheitsbestimmungen.
Aus der BildscharbV ergebe sich keine Notwendigkeit, die Verwendung einer Maus zu regeln. Eine unmittelbare, objektive Gesundheitsgefahr durch die Verwendung der bisher verwendeten Mäuse sei nicht vorgetragen worden.
Mit der bloßen Wiederholung der Rahmenvorschrift komme die Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag nicht nach. Deshalb ist die Ausführung der Einigungsstelle zu ausreichend Arbeitsraum unwirksam. Bezüglich der Transportbehältnisse bilde der Anhang zur BildscharbV keine Grundlage. Es sei keine unmittelbare objektive Gefahr für die Gesundheit durch fehlende geeignete Transportbehältnisse zu erkennen.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes wurde teilweise abgeändert. Die Einigungsstelle habe bezüglich einzelner Regelungen die Grenzen billigen Ermessens nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) überschritten. Dies führte zur teilweisen Unwirksamkeit des Einigungsstellenbeschlusses. Der Einigungsstellenbeschluss blieb in seinen übrigen Punkten weiterhin wirksam.
Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.
Hinweis: Im Dezember 2016 wurde die Novellierung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) in Kraft gesetzt. Die Bildschirmarbeitsverordnung wurde in den Anhang zur ArbStättV als Punkt 6 „Maßnahmen zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen“ eingefügt.