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Kündigungsschutzgesetz im Kleinbetrieb nicht anwendbar

Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 02.03.2017, Aktenzeichen 2 AZR 427/16

Sind zwei Betriebsstätten mit gleicher Arbeitgeberin als eigenständige Betriebe mit jeweils weniger als 10 Mitarbeitern zu betrachten, so kann das Kündigungsschutzgesetz nicht für beide Betriebsstätten als einheitlicher Betrieb angewandt werden.

Einem Fondsmanager wurde von seiner Arbeitgeberin mit Schreiben vom 8. Februar, 21. Februar und 4. März 2014 außerordentlich gekündigt. Hilfsweise jeweils ordentlich zum 30. September 2014.

Der Fondsmanager wandte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen und erhob weitere Ansprüche. Mit einem rechtskräftig gewordenen Teilurteil des Arbeitsgerichtes wurde geklärt, die außerordentlichen Kündigungen haben das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.

Bezüglich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen erklärte der Fondsmanager, diese seien sozial ungerechtfertigt. Das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung, da die Arbeitgeberin einen einheitlichen Betrieb mit regelmäßig mehr als 10 Beschäftigten betreibe.

Das Arbeitsgericht wies die Klage bezüglich der ordentlichen Kündigungen ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab der Klage bezüglich der ordentlichen Kündigungen statt und wies den Auflösungsantrag der Arbeitgeberin zurück. Mit ihrer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) begehrte die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichtes.

Das BAG entschied, das LAG habe der Klage zu unrecht stattgegeben. Die Revision sei auf einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes zugelassen worden.

Der Kündigungsschutzantrag sei unbegründet. Bereits die erste ordentliche Kündigung vom 06. Februar 2014 habe das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2014 aufgelöst. § 23 Absatz 1 Satz 3 KschG (Kündigungsschutzgesetz) könne auf das Arbeitsverhältnis nicht angewendet werden. Das LAG habe auf einen Beweis der Arbeitgeberin verzichtet, wie viele Stunden die Mitarbeiterin am anderen Standort des Unternehmens tatsächlich wöchentlich erbracht habe. Bereits dieser Rechtsfehler führe zur Auflösung des Urteils des LAG.

Für das Überschreiten des Schwellenwertes gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG trage der Arbeitnehmer die Beweislast. Der Fondsmanager habe nicht in der erforderlichen Weise dargelegt, dass die beiden Betriebsstätten der Arbeitgeberin einen einheitlichen Betrieb darstellten. Der Schwellenwert gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG sei in den Betriebsstätten für sich genommen selbst bei voller Berücksichtigung der Mitarbeiterin in der anderen Betriebsstätte unstreitig jeweils nicht erreicht worden. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass es sich bei den beiden Betriebsstätten um eigenständige Betriebe im Sinne des § 23 Absatz 1 KSchG handele.

Bei der Beurteilung, ob eine Organisationseinheit ein Betrieb ein selbständiger oder ein unselbständiger Betriebsteil ist, stehe dem Gericht der Tatsacheninstanz ein Beurteilungsspielraum zu. Das Landesarbeitsgericht habe dem Erfordernis einer einheitlichen Leitungsmacht als Voraussetzung einer betrieblichen Einheit nicht die zutreffende Bedeutung beigemessen. Die von ihm gewürdigten Tatsachen rechtfertigen nicht die Annahme, die beiden Betriebsstätten der Arbeitgeberin hätten im Zeitpunkt der Kündigung unter einer einheitlichen institutionalisierten Leitung in Bezug auf den Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten gestanden.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liessen weder eine gemeinsame Telefonanlage noch die dargestellte enge Verbindung zwischen dem Fondsmanagement in einem Standort und dem Fondsrechnungswesen im anderen Standort oder das Abhalten einer regelmäßigen montäglichen Telefonkonferenz zwischen beiden Standorten darauf schließen, die wesentlichen Entscheidungen in personellen oder sozialen Angelegenheiten würden von einer einheitlichen Leitung getroffen.

Das LAG habe auch sonst keine Verzahnungen der beiden Betriebsstätten festgestellt, die auf die Ausübung des Kerns der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten durch eine einheitliche Leitung schließen ließen.

Es reiche in der Regel aus, wenn der Arbeitnehmer die äußeren Umstände schlüssig darlege, die für die Annahme sprächen, dass die Betriebsstätte, in der er beschäftigt ist, über keinen eigenständigen Leitungsapparat verfüge, diese vielmehr zentral gelenkt werde. Nach dem Prinzip der Sachnähe sei regelmäßig nur die Arbeitgeberin in der Lage, nähere Auskunft über die betrieblichen Führungsstrukturen zu geben.

Die Arbeitgeberin habe im Einzelnen Umstände vorgetragen, aus denen sich eine organisatorisch eigenständige Leitung der beiden Betriebsstätten in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten ergebe.

Die Arbeitgeberin habe mit dem vom LAG in Bezug genommenen Schriftsatz vom 14. Dezember 2015 behauptet, die Entscheidungen über Einstellungen, Entlassungen, Versetzungen und Urlaubsgewährung treffe der jeweils für die Betriebsstätte zuständige Geschäftsführer. Auch Personalgespräche und Personalbeurteilungen führe der jeweils zuständige Geschäftsführer durch. Ebenso werde über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen am jeweiligen Standort entschieden.

Das BAG erklärte, der Fondsmanager sei dem Vortrag der Arbeitgeberin nicht erheblich und substanziell entgegengetreten. Er habe die Zuständigkeiten der Geschäftsführer für die jeweiligen Standorte in personellen und sozialen Angelegenheiten nicht konkret bestritten. Die von der Arbeitgeberin behauptete Eigenständigkeit der beiden Geschäftsführer sei nicht widerlegt worden. Der Fondsmanager habe nicht erklärt, er könne sich mangels eigener Kenntnisse nicht näher einlassen.

Aus der Formulierung im Arbeitsvertrag, dass der Fondsmanager am Sitz der Gesellschaft an zwei Tagen im Monat persönlich verfügbar sein müsse, folgt jedenfalls nicht seine Zuordnung zu einer der beiden Betriebsstätten. Unerheblich sei auch sein Vorbringen zum Firmensitz der Beklagten sowie ihrer Eintragung im Handelsregister. Objektiv sei auch nicht ersichtlich, weshalb sich aus den gesetzlichen Vorgaben des Investmentgesetzes ergeben solle, dass die von der Arbeitgeberin behauptete Struktur mit zwei Arbeitsstätten unzulässig sein soll.

Der Betriebsbezug des § 23 Absatz 1 KSchG sei verfassungsrechtlich unbedenklich, solange dadurch nicht angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung von Kleinbetrieben bei verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher Definition zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führe.

Der Schwellenwert sei nicht schon dann überschritten, wenn sich das Unternehmen zwar in mehrere kleine, organisatorisch verselbständigte Einheiten gliedere, insgesamt aber mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftige. Damit würde sonst eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte generelle Gleichstellung von Betrieb und Unternehmen erfolgen.

Die Anwendung der Kleinbetriebsklausel sei auch nicht schon dann ausgeschlossen, wenn die als Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne zu verstehende Einheit nicht sämtliche vom Bundesverfassungsgericht als charakteristisch benannten Merkmale eines Kleinbetriebs erfülle. Das BAG habe lediglich typologische Gesichtspunkte dargestellt, die einen Kleinbetrieb bezeichnen, ohne dass diese wie eine Norm zu behandeln wären.

Maßgeblich sei eine Gesamtbetrachtung der Kleinbetriebsklausel unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls in der Hinsicht, ob ihre Anwendung nach Maßgabe des allgemeinen Betriebsbegriffs unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse dem mit ihr verbundenen Zweck und Sinn noch gerecht werde. Für eine missbräuchliche, allein auf die Verhinderung des allgemeinen Kündigungsschutzes der Beschäftigten gerichtete willkürliche Zersplitterung des Unternehmens der Arbeitgeberin in mehrere eigenständige Einheiten gebe es keine Anhaltspunkte.

Der Auflösungsantrag der Arbeitgeberin fiel nicht zur Entscheidung an, da dieser nur hilfsweise im Falle des Unterliegens der Arbeitgeberin gestellt wurde.