Altersdiskriminierung bei Gewährung altersabhängiger Schichtfreizeitzulage
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.04.2017, Aktenzeichen 6 AZR 119/16
Die Festschreibung einer altersabhängigen Regelung darf nicht zur Ungleichbehandlung zwischen vergleichbaren Mitarbeitern führen.
Ein Croupier war im Schichtdienst beschäftigt. Im Manteltarifvertrag zwischen den Gewerkschaften und der Arbeitgeberin trat 1994 ein neuer Manteltarifvertrag in Kraft und regelte den Urlaubsanspruch neu. Die Anzahl zusätzlicher Urlaubsfreitage wurde altersabhängig geregelt.
Im neuen Manteltarifvertrag von 2005 waren die zusätzlichen Ansprüche auf Schichtfreizeit für neu eintretende Mitarbeiter nicht mehr vorgesehen. Für die bisherigen Mitarbeiter wurde der zusätzliche Anspruch auf Schichtfreizeit als Besitzstand festgeschrieben. Die Schichtfreizeittage wurden wie Urlaubstage vergütet. Die Besitzstandsregelung wurde auch im Manteltarifvertrag von 2012 festgeschrieben.
In einem Schreiben vom September 2013 machte der Croupier geltend, ihm stünden für das Jahr 2013 nicht nur 6, sondern 12 Schichtfreizeittage zu. Die Arbeitgeberin lehnte die Forderung ab.
Der Croupier argumentierte, die altersabhängigen Besitzstandregelungen seien altersdiskriminierend. Durch eine Anpassung nach oben sei die Altersdiskriminierung zu beseitigen.
Daher stehe ihm der höchstmögliche Anspruch von 12 Schichtfreizeittagen je Kalenderjahr zu. Die Anknüpfung an das Lebensalter wirke unmittelbar benachteiligend und sei unter dem Gesichtspunkt beruflicher Anforderungen nicht gerechtfertigt.
Die Staffelung der Schichtfreizeittage knüpfe nicht an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingung ihrer Ausübung an. Die Schichtfreizeitregelung sei auch nicht gerechtfertigt, um die Gesundheit älterer Mitarbeiter zu schützen oder ein altersbedingtes Erholungsbedürfnis zu bedienen.
Vor dem Arbeitsgericht beantragte der Croupier, ihm sechs zusätzliche Freizeittage für das Jahr 2013 zu gewähren. Die Arbeitgeberin sei verpflichtet, ihm jährlich 12 Schichtfreizeittage zu gewähren.
Die Arbeitgeberin beantragte, die Klage abzuweisen. Die Bindung der Schichtfreizeittage an das Lebensalter stamme aus einer Zeit vor der Geltung des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Dieses System sei noch vor Inkrafttreten des AGG mit dem MTV 2005 abgeschafft worden. Die bei der Beklagten bestehende Übergangsregelung für „tarifliche Altlasten“ könne deshalb nicht am AGG gemessen werden. Das auf das Lebensalter abstellende System sei durch den MTV 2005 aufgegeben worden. Die Zusatzvereinbarungen knüpften nicht an das Lebensalter, sondern an die Betriebszugehörigkeit zu einem bestimmten Stichtag an.
Eine „Anpassung nach oben“ scheide mit Blick auf die diskriminierungsfreien Regelungen der Manteltarifverträge 2005 und 2012 aus. Die vom Kläger beanstandete Benachteiligung wegen des Alters könne dadurch verhindert werden, dass die Besitzstandsregelung nicht mehr angewandt werde und kein Arbeitnehmer mehr Schichtfreizeittage erhalte.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung zurück. Vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte der Croupier seine Klage weiter. In der Revision stellte er einen zusätzlichen Leistungsantrag für das Jahr 2015.
Das Bundesarbeitsgericht hielt die Revision für begründet. Der Croupier habe einen zusätzlichen Freizeitanspruch von 6 weiteren Schichtfreizeittagen je Kalenderjahr. Der Antrag für 6 zusätzliche Freizeittage für das Jahr 2013 sei basierend auf einem Schadenersatzanspruch erfolgreich.
Ansprüche auf Schichtfreizeit konnten nur bis zum Jahr 2005 entstehen. Diese Ansprüche wurden mit den Manteltarifverträgen aus den Jahren 2005 und 2012 für die Zukunft festgeschrieben.
Zum Stichtag am 31.Dezember 1993 habe der Croupier nicht das Mindestalter von 35 Jahren für den Freizeitanspruch erreicht. Da er erst das 26. Lebensjahr vollendete. Nach dem Manteltarifvertrag standen ihm deshalb nur 6 Schichtfreizeittage zu.
Der Anspruch auf insgesamt zwölf Schichtfreizeittage für das Jahr 2013 beruhe jedoch darauf, dass die Altersstaffeln für die Schichtfreizeittage im MTV 1994 sowie der Stichtag des 31. Dezember 1993 gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Absatz 1 in Verbindung mit. § 1 AGG verstoßen. Sie seien deshalb nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Schichtfreizeitansprüche seien „nach oben“ anzupassen. Der Kläger sei zu behandeln, als hätte er in den maßgeblichen Zeitpunkten bereits das Lebensalter aufgewiesen, das erforderlich war, um in die jeweils höchste Altersstufe zu fallen.
Entscheidend sei der Zeitpunkt des benachteiligenden Verhaltens. Das AGG findet Anwendung, wenn eine Benachteiligungshandlung nach seinem Inkrafttreten stattfindet, auch wenn sie auf eine Tarifregelung gestützt werde, die älter sei als das AGG.
Die Altersdiskriminierung werde über die Besitzstandsregelungen in Abs. 1 der Zusatzvereinbarungen zum MTV 2005 und MTV 2012 fortgeschrieben. Die Altersstaffeln und der Stichtag verstießen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Absatz 1 AGG.
Um eine unmittelbare Benachteiligung handele es sich, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Die Ansprüche auf Schichtfreizeitzulage standen dem Croupier gemäß Manteltarifvertrag von 1994 nur deshalb nicht zu, weil er nicht das Lebensalter erreicht hatte, um in die höchste Altersstufe zu fallen. Ein hinreichend älterer Arbeitnehmer hätte dagegen Anspruch auf die vom Kläger geforderten Schichtfreizeittage gehabt und eine günstigere Behandlung erfahren. Diese Benachteiligung wirke über die Besitzstandsregelungen in Abs. 1 der Zusatzvereinbarungen zum MTV 2005 und MTV 2012 fort.
Die Benachteiligung beruhe ausschließlich und unmittelbar auf dem Alter. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts stellen die anspruchsbegründenden Regelungen auf das Lebensalter ab und nicht auf die Betriebszugehörigkeit. Die unmittelbare Benachteiligung folge aus einem Vergleich des Croupiers mit der Gruppe von Arbeitnehmern, die vor Geltung des MTV 1994 eingestellt wurden und bei Inkrafttreten des MTV 2005 alt genug waren, um die Höchstzahl der möglichen Schichtfreizeittage zu erwerben.
Vor Inkrafttreten des MTV 2005 konnten Schichtfreizeitansprüche nach dem MTV 1994 nur in Abhängigkeit vom Alter erworben werden. MTV 2005 und MTV 2012 schrieben diese unmittelbar an das Alter anknüpfende Regelung über die Geltungsdauer des MTV 1994 hinaus fort. Darin liege keine altersneutrale Regelung. Der Croupier werde aufgrund seines Alters unmittelbar benachteiligt, obwohl die Tarifvertragsparteien vom Lebensalter abhängige Schichtfreizeitansprüche seit dem MTV 2005 nicht mehr vorgesehen haben.
Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist nach § 10 Satz 1 AGG zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Zu den legitimen Zielen in diesem Sinn gehöre der Schutz älterer Beschäftigter. Der Schutz könne erreicht werden, wenn besondere Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen festgelegt werden. Dazu können zusätzliche Urlaubstage in Abhängigkeit vom Lebensalter gehören. Notwendig sei jedoch, dass mit zunehmendem Alter ein erhöhtes Erholungsbedürfnis entstehe, das durch die konkrete Regelung der Urlaubsansprüche gefördert werde.
Den Besitzstand einer Personengruppe zu wahren, könne ein Ziel sein, das eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters rechtfertige. Werde eine altersdiskriminierende Regelung abgeschafft, könne es gerechtfertigt sein, den begünstigten Arbeitnehmern die bisher aus ihr folgenden Vorteile für einen Übergangszeitraum zu belassen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH könne das Ziel der Besitzstandswahrung dagegen keine Maßnahme rechtfertigen, mit der eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festgeschrieben werde. Eine solche Maßnahme sei, auch wenn sie die Wahrung des Besitzstands und den Schutz des berechtigten Vertrauens der vom früheren System begünstigten Arbeitnehmer sicherstellen könne, nicht geeignet, für die vom früheren System benachteiligten Arbeitnehmer ein diskriminierungsfreies System zu schaffen.
Für den Croupier werde der altersdiskriminierende Ausschluss von weiteren Schichtfreizeitansprüchen nach den Vorschriften des MTV 1994 ohne zeitliche Beschränkung durch Abs. 1 der Zusatzvereinbarungen zum MTV 2005 und MTV 2012 fortgeschrieben. Die Schichtfreizeitansprüche bleiben stets unverändert.
Die Fortschreibung der Altersstaffelungen des MTV 1994 durch Abs. 1 der Zusatzvereinbarungen zum MTV 2005 und MTV 2012 sei auch nicht durch den Schutz älterer Arbeitnehmer gerechtfertigt.
Ungeachtet seines fortschreitenden Lebensalters blieb es für ihn ab dem 1. März 2005 bei den bis dahin erworbenen sechs Schichtfreizeittagen. Der Schutz des behaupteten Erholungsbedürfnisses älterer Arbeitnehmer hätte eine weiterhin mit dem Lebensalter ansteigende Zahl an Schichtfreizeittagen erfordert.
Die Arbeitgeberin habe nicht vorgetragen, dass die Staffelung der Schichtfreizeitansprüche gleichwohl den Schutz älterer Arbeitnehmer bezwecke. Sie habe sich auf die pauschale Behauptung beschränkt, ältere Arbeitnehmer seien erholungsbedürftiger. Damit habe sie ihrer Vortragslast für einen Rechtfertigungsgrund nach § 10 AGG nicht genügt.
Die nicht gerechtfertigte unmittelbare Benachteiligung des Croupiers führt zu einer Anpassung nach oben. Tarifliche Regelungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Absatz 1 AGG verstoßen, seien nach § 7 Absatz 2 AGG unwirksam.
Solange keine Maßnahmen getroffen worden sind, um die Gleichbehandlung wiederherzustellen, könne der Gleichbehandlungsgrundsatz in einem solchen Fall nur dadurch gewahrt werden, indem den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden, wie diejenigen, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekommen.
Der Croupier habe seine weiteren Schichtfreizeittage rechtzeitig von der Arbeitgeberin verlangt. Das führe zu einem Schadensersatzanspruch auf Nachgewährung von sechs Schichtfreizeittagen für die Jahre 2013, 2014 und 2015.