Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats beim Gesundheitsschutz
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.07.2017, Aktenzeichen 1 ABR 59/15
Die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegt grundsätzlich dem von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsrat. Der Gesamtbetriebsrat ist nur für Angelegenheiten zuständig, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können.
Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Unternehmen in der Postbranche. Innerhalb des Unternehmens bestehen bundesweit 12 regionale Betriebe und der „Betrieb Management“, mit jeweils einem gewählten Betriebsrat. Zusätzlich besteht ein Gesamtbetriebsrat.
Der Gesamtbetriebsrat schloss mit der Arbeitgeberin eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Tragen von Unternehmensbekleidung ab. Für den regionalen Betrieb Stuttgart, mit über 80 Filialen in Bayern und Baden-Württemberg, wurde eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Gesundheitsschutz/Raumklima eingerichtet. Die Einigungsstelle beschloss eine Betriebsvereinbarung Klima, in der Maßnahmen während des Über- bzw. Unterschreitens von Raumtemperaturen geregelt wurden.
Die Arbeitgeberin beantragte vor dem Arbeitsgericht, den Spruch der Einigungsstelle in den Teilen unwirksam zu erklären, die Regelungen zur Dienstkleidung beinhalten. Das betreffe bei Kältebelastungen das Tragen von Pullovern oder Westen, die der Dienstkleidung angepasst sind. Bei Temperaturen über 30°C erlaube die Betriebsvereinbarung das Lockern der Dienstkleidung einschließlich des Verzichts von Krawatten.
Die Regelungszuständigkeit für die unwirksam zu erklärenden Teile komme auch unter Einbeziehung des Gesundheitsschutzes ausschließlich dem Gesamtbetriebsrat zu. Für den fraglichen Regelungsgegenstand bestehe kein zwingendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nummer 7 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Darüber hinaus hätte die Einigungsstelle ihren Regelungsauftrag nicht erfüllt. Sie habe sich auf eine bloße Wiederholung der Rahmenvorschriften des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes beschränkt.
Das Arbeitsgericht entsprach dem Antrag der Arbeitgeberin. Der zuständige Betriebsrat legte Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Nach Anhörung des Gesamtbetriebsrats wies das LAG den Antrag der Arbeitgeberin ab. Vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte die Arbeitgeberin mit ihrer Rechtsbeschwerde weiterhin ihren Antrag.
Das BAG bestätigte das Urteil des Landesarbeitsgerichts. Die Regelungen des Einigungsstellenspruchs zum Tragen von Dienstkleidung seien wirksam.
Die von der Arbeitgeberin begehrte Entscheidung betreffe die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Gesamtbetriebsrats, da sie sich auf die fehlende Regelungskompetenz des örtlichen Betriebsrats berufe.
Die Vorinstanzen hätten es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Betriebsräte der weiteren regionalen Betriebe sowie des „Betriebes Management“ zu hören, denn die Frage der Regelungszuständigkeit betreffe auch deren betriebsverfassungsrechtliche Stellung. Das BAG gab deshalb diesen Betriebsräten die Möglichkeit sich zum Antrag der Arbeitgeberin zu äußern.
Abschließend urteilte das BAG, die angegriffenen Regelungen im Einigungsstellenspruch seien wirksam.
Die Einigungsstelle sei befugt, in Angelegenheiten, die dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegen, eine Regelung zu treffen. Das Mitbestimmungsrecht beziehe sich auf Maßnahmen der Arbeitgeberin zur Verhütung von Gesundheitsschäden. Die Maßnahmen konkretisieren Rahmenvorschriften. Das Mitbestimmungsrecht setze ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv bestehe und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich sei, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen.
Die angegriffenen Regelungen gestalten die Pflichten der Arbeitgeberin nach § 3a Absatz 1 Satz 1 ArbStättV (Arbeitsstättenverordnung) näher aus. Die Verpflichtung der Arbeitgeberin beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten sei eine ausfüllungsbedürftige, die Mitbestimmung des Betriebsrats auslösende Rahmenvorschrift. Die Mitbestimmung sei nicht auf das Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage beschränkt, knüpfe aber an vorliegende oder festgestellte konkrete Gefährdungen.
Von Gefährdungen sei im vorliegenden Fall auszugehen. Die Arbeitgeberin habe nur beantragt zu prüfen, ob die von der Einigungsstelle beschlossenen Maßnahmen der Regelungszuständigkeit des Gesamtbetriebsrats unterfallen. Entsprechend habe die Arbeitgeberin den Spruch der Einigungsstelle nicht insgesamt, sondern nur partiell angefochten. Eine nähere Aufklärung zu feststehenden oder festgestellten Gefährdungen sei daher in den Instanzen nicht veranlasst.
Die Arbeitgeberin verlange nunmehr in der Begründung zu ihrer Rechtsbeschwerde pauschal eine zum Gesundheitsschutz durchgeführte Gefährdungsbeurteilung, die als Voraussetzung für die Annahme eines zwingenden Mitbestimmungsrechts notwendig sei. Hierbei handele es sich um neuen Sachvortrag, der in der Rechtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig sei.
Für die angegriffenen Regelungen sei der örtliche Betriebsrat zuständig. Der Gesamtbetriebsrat sei nur für Angelegenheiten zuständig, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch einzelne Betriebsräte geregelt werden können. Allein der Wunsch der Arbeitgeberin nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, ihr Kosten- oder Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügten nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zustimmung des Gesamtbetriebsrats zu begründen.
In Unternehmen mit mehreren Betrieben sind im Bereich des § 87 Absatz 1 Nummer 7 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) regelmäßig die Einzelbetriebsräte für die Regelung der davon erfassten Angelegenheiten zuständig. Der Gesamtbetriebsrat ist nur zuständig, wenn die Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eine überbetriebliche Angelegenheit betreffen und diese durch die einzelnen Betriebsräte nicht geregelt werden können. Eine einheitliche mitbestimmungspflichtige Angelegenheit könne nicht in Teile aufgespalten werden, die in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fallen, und solche, für welche die örtlichen Betriebsräte zuständig sind.
Das BAG entschied, die einheitliche Unternehmensbekleidung betreffe die betriebliche Ordnung und sei Gegenstand der Mitbestimmung.