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Betriebsvereinbarung – Kündigung nach Betriebsübergang

Kündigung einer Betriebsvereinbarung im Zuge eines Betriebsübergangs

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 30.05.2018, Aktenzeichen 6 Sa 55/18

Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung kann nach einem Betriebsübergang auch dann wirksam an den Betriebsrat gerichtet werden, wenn die Vereinbarung nach dem Übergang individualrechtlich weiter gilt.

In dem Betrieb eines Konzerns war in Rahmen einer Betriebsvereinbarung geregelt, dass Arbeitnehmer zinslose Kleindarlehen von ihrer Arbeitgeberin erhalten können. Das Darlehen musste vom Antragsteller begründet werden, war aber an keinen bestimmten Zweck gebunden. Die Darlehenshöhe durfte sich im Bereich von 1 000 € bis 2 450 € bewegen. Nach vollständiger Tilgung des Darlehens bestand die Möglichkeit, ein weiteres zinsloses Darlehen zu beantragen.

Die Betriebsvereinbarung (BV) trat im August 2007 in Kraft. Sie konnte mit einer dreimonatigen Frist zum Ablauf eines Kalenderjahres, frühestens zum Ablauf des Jahres 2012 gekündigt werden.

Die Betriebsorganisation des Betriebes wurde im Jahr 2009 aufgelöst. Mit dem Betriebsrat wurde ein Interessenausgleich abgeschlossen. Die Abteilung Absatzportfolio-Management wurde, gemeinsam mit Abteilungen anderer Betriebe des Konzerns, in einen neuen Betrieb abgespalten. Entsprechend einer Vereinbarung des neuen Unternehmens mit dem neu gebildeten Betriebsrat galten die kollektivrechtlichen Regelungen aus dem bisherigen Unternehmen weiter.

Im Februar 2012 und Januar 2014 gewährte das neue Unternehmen einem Mitarbeiter, der als Referent tätig war, jeweils einen zinslosen Kredit. Das Darlehen vom Januar 2014 wurde mit der letzten Rate im Mai 2016 vollständig zurückgezahlt. Mit Schreiben vom Mai 2015 kündigte das neue Unternehmen die Betriebsvereinbarung Kleindarlehen gegenüber dem Gesamtbetriebsrat sowie dem Betriebsrat des neuen Unternehmens. Der Gesamtbetriebsrat veröffentlichte über die Kündigung der BV Ende Mai 2015 ein Schreiben, durch das der Referent davon Kenntnis erlangte.

Im März 2016 beantragte der Referent ein Kleindarlehen auf Basis der BV Kleindarlehen zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Die Arbeitgeberin lehnte den Antrag unter Hinweis auf die Kündigung der BV Kleindarlehen ab.

Zum 1. April 2016 ging das Arbeitsverhältnis des Referenten durch Betriebsübergang auf die jetzige Arbeitgeberin über. Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht beantragte er die Feststellung, dass die Betriebsvereinbarung Kleindarlehen weiterhin zwischen den Parteien Anwendung finde. Das erforderliche Feststellungsinteresse folge daraus, dass die zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage, ob die BV Kleindarlehen weiterhin Anwendung finde, durch das Verfahren abschließend geklärt werden könne. Auf die konkrete Darlehensgewährung komme es ihm nicht an, sodass eine Leistungsklage nicht vorrangig sei. Die Arbeitgeberin könne sich nicht darauf berufen, dass er die Anforderungen für die Darlehensgewährung nicht erfülle. Es sei nicht richtig, dass im gesamten Konzern keine Kleindarlehen mehr gewährt werden.

Im Jahr 2009 sei das Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Betriebsüberganges fortgeführt worden. Im Rahmen des Betriebsübergangs im April 2016 sei der Betriebsteil, in dem er beschäftigt war, nicht identitätswahrend fortgeführt worden. Die fortgeltende Betriebsvereinbarung sei nicht wirksam gekündigt worden.

Die Arbeitgeberin argumentierte in ihrer Klageerwiderung, der Referent erfülle weder die in der BV Kleindarlehen festgesetzten Voraussetzungen noch sei die BV Kleindarlehen weiterhin auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Aufgrund der angespannten finanziellen Lage des Konzerns und weil die Arbeitnehmer wegen der allgemeinen Zinslage nicht mehr auf zinslose Darlehen der Arbeitgeberin angewiesen seien, habe sich die Arbeitgeberin entschlossen, keine Kleindarlehen mehr zu gewähren. Bereits aus diesem Grund sei sie berechtigt, eine Darlehensgewährung zu verweigern.

Die Kündigung der Betriebsvereinbarung gegenüber dem Betriebsrat sei berechtigt gewesen. Durch die individualrechtliche Fortgeltung der BV Kleindarlehen sei eine Kündigung nicht ausgeschlossen, zumal auch die Betriebsveräußerin die BV Kleindarlehen unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist hätte kündigen können. Der Bestand individualrechtlich fortgeltender Normen sei nicht weiter geschützt als bei kollektivrechtlicher Weitergeltung. Eine andere Sichtweise würde zu einer gesetzlich nicht gewollten Besserstellung der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer führen.

Das Recht sich auf die Betriebsvereinbarung zu berufen sei zudem verwirkt, da die Arbeitgeberin nach einem Zeitraum von über einem Jahr nach der Kündigung nicht mehr mit einer Geltendmachung von Ansprüchen aus der BV rechnen müsse.

Das Arbeitsgericht wies die Klage mit Urteil vom November 2016 ab. Die BV Kleindarlehen sei von der Arbeitgeberin wirksam zu Ende Dezember 2015 gekündigt worden. Der Referent legte gegen das Urteil Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.

Im Zuge des Betriebsübergangs im Jahr 2009 habe der Betriebsteil seine Identität verloren, es sei eine völlig neue Einheit entstanden, sodass kollektivrechtliche Normen Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden seien. Die individualrechtlich als arbeitsvertragliche Einheitsregelung fortgeltende BV Kleindarlehen habe, nach Ablauf der Veränderungssperre von einem Jahr, entweder durch eine andere Kollektivvereinbarung abgelöst oder gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern gekündigt werden können, wobei die Arbeitgeberin diesbezüglich § 2 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) zu beachten hätte.

Das LAG wies die Berufung zurück. Die begehrte Feststellung sei nicht geeignet, den Streit der Parteien beizulegen. Sie betreffe lediglich eine vorgreifliche Rechtsfrage. Die Pflicht der Arbeitgeberin zur Gewährung eines Darlehens sei damit nicht geklärt. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet. Selbst bei Transformation der Normen nach § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) würden diese ihren kollektiv-rechtlichen Charakter behalten. Daher verbleibe es bei den Änderungs- und Kündigungsmöglichkeiten, die beim Veräußerer bestanden hätten.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hob das Urteil des LAG auf und verweis die Sache zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück. Nunmehr argumentierte der Referent, ein Prüfrecht und eine Gewährung nach billigem Ermessen hätten die Betriebsparteien bei Abschluss der BV Kleindarlehen nicht vorgesehen. Hierfür bedürfe es nicht des Abschlusses eines Darlehensvertrages. Der Anspruch auf Auszahlung des Darlehens ergebe sich einzig aus der BV Kleindarlehen. Anderenfalls könne die Arbeitgeberin durch Verweigerung des Abschlusses eines Darlehensvertrags die Ansprüche des Referenten ausschließen. Zumindest aber habe der Referent einen Anspruch auf Abschluss eines Darlehensvertrages.

Es sei zulässig, dass der Referent seinen ursprünglichen Feststellungsantrag nunmehr als Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO weiter verfolge. Der Streit um die Anwendbarkeit der BV Kleindarlehen sei ein vorgreifliches, streitiges und damit feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.

Das LAG urteilte, die Berufung sei unbegründet. Der Referent habe weder Anspruch auf Abschluss eines Darlehensvertrages noch auf Auszahlung eines Darlehens. Die begehrte Feststellung könne nicht getroffen werden, da die BV Kleindarlehen nicht anwendbar sei. Der Referent habe zwar mit E-Mail vom 07.03.2016 der Arbeitgeberin ein Angebot zum Abschluss eines Darlehensvertrages unterbreitet, dieses habe sie allerdings nicht angenommen, sondern einer Darlehensgewährung ausdrücklich widersprochen. Entgegen der Auffassung des Referenten enthalte die BV Kleindarlehen keine antizipierte Annahmeerklärung der Beklagten. Dies ergebe die Auslegung der BV Kleindarlehen.

Betriebsvereinbarungen seien wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen sei danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn seien der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel gebühre derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führe.

Nach diesen Grundsätzen bestehe ein Auszahlungsanspruch erst nach Abschluss eines Darlehensvertrags. Die BV Kleindarlehen enthalte keine antizipierte Annahmeerklärung der Arbeitgeberin. Basis für die Auszahlung sei der Abschluss eines Darlehensvertrages, der eine Abtretungserklärung enthalte. In der BV Kleindarlehen habe sich die Arbeitgeberin ein Prüfungsrecht vorbehalten. Unabhängig davon, was Inhalt dieses Prüfungsrechts sein soll, schließe dies aus, dass bereits mit dem Antrag des Arbeitnehmers ein Vertrag zustande kommt.

Mangels Annahmeerklärung der Arbeitgeberin sei kein Vertrag über eine Darlehensgewährung zwischen den Parteien zustande gekommen, aus dem sich ein Zahlungsanspruch des Referenten ergeben könnte.

Der Referent habe auch keinen Anspruch auf Abschluss eines Darlehensvertrags gegen die Arbeitnehmerin aufgrund seines Antrags. Aufgrund des Antrags des Referenten vom März 2016 wären die Voraussetzungen zum Abschluss eines Darlehensvertrages zwar grundsätzlich erfüllt, jedoch finde die BV Kleindarlehen auf das Arbeitsverhältnis des Referenten keine Anwendung mehr.

Ein Recht des Referenten, Ansprüche aus der BV Kleindarlehen geltend zu machen, wäre nicht verwirkt. Jedenfalls aber seien keine besonderen Umstände im Verhalten des Referenten ersichtlich, die bei der Arbeitgeberin den Eindruck hätten erwecken können, der Referent werde keine Rechte mehr aus der BV Kleindarlehen geltend machen. Ein Vortrag der Arbeitgeberin zu solchen Umständen sei nicht erfolgt.

Der Referent habe dennoch keinen Anspruch auf Abschluss eines Darlehensvertrags. Aufgrund der Kündigung der Arbeitgeberin vom Mai 2015 gegenüber dem bei ihr bestehenden Betriebsrat könne der Referent keine Ansprüche mehr aus der BV Kleindarlehen herleiten.

Es sei bereits deshalb von einem Betriebsteilübergang auszugehen, weil diese Rechtstatsache zwischen den anwaltlich vertretenen Parteien unstreitig ist. Für einen Betriebsübergang spräche insbesondere der Interessenausgleich vom Juni 2009 sowie das Informationsschreiben vom Juli 2009 und die darin beschriebenen Maßnahmen, die unstreitig umgesetzt worden sind.

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin sei die Kündigung der BV Kleindarlehen ausschließlich gegenüber dem Betriebsrat und dem Gesamtbetriebsrat, nicht aber gegenüber dem Referenten erklärt worden. Die Kündigungen waren ihrem Wortlaut nach nicht an den Referenten, sondern an den Betriebsrat bzw. den Gesamtbetriebsrat gerichtet. Der Referent ist lediglich durch den Gesamtbetriebsrat über die Kündigung informiert worden. Er musste daher nicht davon ausgehen, die Kündigung solle auch ihm persönlich gegenüber ausgesprochen werden.

Durch die Abspaltung von Betriebsteilen und Zusammenfassung verschiedener Betriebsteile unterschiedlicher Unternehmen zu einem neuen Betrieb sind Organisation und Arbeitsabläufe und damit die Identität der bisherigen Betriebsteile aufgelöst worden. Es wurden zwar dieselben Tätigkeiten verrichtet, dies allerdings in andere Organisation und personeller Zusammensetzung. Der Betriebsteil, in dem der Referent zuvor tätig war, hatte daher seine Selbstständigkeit innerhalb der Struktur des Konzerns verloren. Somit galt die BV Kleindarlehen nach dem Betriebsübergang nicht kollektivrechtlich, sondern individualrechtlich. In beiden Fällen war der Arbeitgeberin eine Kündigung der Betriebsvereinbarung möglich. Bei kollektivrechtlicher Weitergeltung ergebe sich dies bereits aus der in der BV Kleindarlehen vereinbarten Kündigungsmöglichkeit bzw. aus § 77 Absatz 5 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz).

Auch bei individualrechtlicher Fortgeltung nach § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB muss der Erwerber berechtigt sein, die Betriebsvereinbarung zu beenden. Die nunmehr individualrechtlich als Inhalt des Arbeitsverhältnisses geltenden kollektivrechtlichen Regelungen seien inhaltlich nicht weiter geschützt, als sie es bei einem Fortbestand beim Erwerber wären. Die Transformation der kollektivrechtlichen Regelungen als Inhalt des Arbeitsverhältnisses führe nicht dazu, dass die transformierten Regelungen nunmehr individualvertraglichen Vereinbarungen gleichrangig sind. Der kollektiv-rechtliche Charakter der transformierten Norm bleibe erhalten und bedinge deren Stellung beim Erwerber.

Bedingt durch den kollektivrechtlichen Ursprung der fortgeltenden Vereinbarungen kann eine Kündigung dieser nur nach den ursprünglich geltenden Beendigungsregelungen erfolgen. Bei einer Betriebsvereinbarung gegenüber dem neuen Betriebsrat und in betriebsratslosen Betrieben einheitlich gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern. Dies sei geboten, um den vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer nicht besser zu stellen, als dies ohne den Betriebsübergang der Fall sei.

Im Falle der individualrechtlichen Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen kann diese Kündigung allerdings, anders als bei Tarifverträgen, nicht mehr zwischen den ursprünglich vertragsschließenden Parteien erfolgen. Grundsätzlich käme daher in Betracht, die individualrechtlichen Regelungen wie Betriebsvereinbarungen in einem Betrieb zu behandeln, in dem kein Betriebsrat mehr existiert. In diesem Fall wäre eine Kündigung gegenüber allen Arbeitnehmern möglich.

Es erscheint jedoch einzig sachgerecht, eine Kündigung der Arbeitgeberin gegenüber einem in dem neuen Betrieb gebildeten Betriebsrat auch hinsichtlich lediglich individualrechtlich fortgeltender Regelungen aus früheren Betriebsvereinbarungen als zulässig zu erachten. Der neue Betriebsrat übernimmt damit die Eigenschaft des alten Betriebsrats als Adressat der Kündigung. Würde man eine Kündigung gegenüber allen Arbeitnehmern verlangen, könnte die Arbeitgeberin lediglich unter erschwerten Voraussetzungen kündigen.

Nach diesen Grundsätzen habe die Arbeitgeberin die BV Kleindarlehen ordnungsgemäß gegenüber dem Betriebsrat gekündigt. Aufgrund der Kündigung der Arbeitgeberin finde die BV Kleindarlehen keine Anwendung mehr auf das Arbeitsverhältnis des Referenten.

Die Revision zu dieser Entscheidung wurde zugelassen.