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Jahresurlaub – finanzielle Vergütung nach dem Tod

Bezahlter Jahresurlaub nach dem Tod des Arbeitnehmers

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 6.November 2018, Aktenzeichen C 569/16 und C 570/16

Der Rechtsnachfolger eines Arbeitnehmers hat gegenüber der Arbeitgeberin Anspruch auf finanzielle Vergütung für vor dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub.

Als alleinige Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes beantragte die Witwe eine Abgeltungsvergütung für 32 Tage nicht genommenen Jahresurlaubs gegenüber einem privaten Arbeitgeber. Ihr Ehemann war die letzten 6 Monate vor seinem Tod arbeitsunfähig erkrankt.

Eine weitere Witwe beantragte die Abgeltungsvergütung für 25 Tage bezahlten Jahresurlaubes gegenüber der Stadt Wuppertal, der früheren Arbeitgeberin ihres verstorbenen Mannes.

In beiden Fällen wurde den Anträgen jeweils vom Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) stattgegeben. Die Arbeitgeber legten jeweils Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein.

Das BAG fasste beide Fälle in einer Vorabanfrage an den Europäischen Gerichtshof zusammen.

Das BAG erläuterte, gemäß § 7 Absatz 4 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) in Verbindung mit § 1922 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) gehe der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub mit seinem Tod unter, sodass er weder in einen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung umgewandelt noch Teil der Erbmasse werden könne. Jede andere Auslegung dieser Bestimmungen wäre contra legem (gegen das Recht) und komme daher nicht in Betracht.

Das BAG führte aus, in einem Urteil aus dem Jahr 2011 habe der Europäische Gerichtshof anerkannt, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf von 15 Monaten seit dem Ende des Bezugsjahrs erlöschen könne, da dann der mit ihm verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nicht mehr verwirklicht werden könne. Dieser Zweck könne nach dem Tod des Arbeitnehmers ebenfalls nicht mehr erreicht werden. Daher fragt sich das BAG, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht auch in diesem Fall untergegangen sein könnten. Andernfalls bedeutete dies, dass der durch die Richtlinie 2003/88 und durch die europäische Charta gewährleistete bezahlte Mindestjahresurlaub auch den Schutz der Erben des verstorbenen Arbeitnehmers bezwecke.

Es stelle sich die Frage, ob die Arbeitgeberin den Erben eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen habe, selbst wenn dies von nationalen Bestimmungen ausgeschlossen werde.

Der EuGH führte aus, das Recht jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sei als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die in der Richtlinie 2003/88 selbst ausdrücklich gezogen werden.

Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub besteht aus zwei Komponenten. Zum einen der Anspruch auf Jahresurlaub, zum anderen auf Bezahlung des Jahresurlaubs. Das bedeutet, das Entgelt ist während dieser Ruhe- und Entspannungszeit des Jahresurlaubs weiter zu zahlen.

Der Jahresurlaub soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen.

Im Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2003/88 ist vorgesehen, dass der bezahlte Jahresmindesturlaub nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Als Ausnahmefall zu dieser Regelung gilt lediglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Damit soll gewährleistet werden, dass der Arbeitnehmer tatsächlich über die Ruhezeit verfügen kann und ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und Gesundheit besteht. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses ist es dem Arbeitnehmer nicht mehr möglich, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Damit der Arbeitnehmer dennoch den Urlaubsanspruch wahrnehmen kann, ist ein Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht beanspruchte Urlaubstage vorgesehen.

Voraussetzungen für den Anspruch auf finanzielle Vergütung sind die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie der Umstand, dass der Arbeitnehmer nicht den gesamten bezahlten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Für den Anspruch auf finanzielle Vergütung des bezahlten Jahresurlaubs spielt es keine Rolle, aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis geendet hat.

Der EuGH betonte, es sei nicht anzunehmen, dass der Tod rückwirkend zum vollständigen Verlust des einmal erworbenen Anspruchs führt. Selbst unter dem Blickwinkel, dass der Arbeitnehmer unvermeidlich keine Gelegenheit mehr hat, die Entspannungs- und Erholungszeiten wahrzunehmen, beruhe der Urlaubsanspruch weiterhin auf dem Aspekt der Bezahlung.

Der Anspruch auf Bezahlung des Jahresurlaubs sei finanziell rein vermögenstechnisch zu betrachten. Der Anspruch sei dafür bestimmt, in das Vermögen des Arbeitnehmers überzugehen. Der tatsächliche Zugriff auf diesen vermögensrechtlichen Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub und dessen Übergang im Wege der Erbfolge könne nicht durch den Tod des Arbeitnehmers rückwirkend entzogen werden. Andernfalls würde das Recht auf bezahlten Jahresurlaub in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Daher erweise sich, wenn das Arbeitsverhältnis durch Tod des Arbeitnehmers geendet hat, ein finanzieller Ausgleich als unerlässlich, um die praktische Wirksamkeit des dem Arbeitnehmer zustehenden Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sicherzustellen.

Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub habe als Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union nicht nur besondere Bedeutung, sondern ist auch in Artikel 31 Absatz 2 der europäischen Charta ausdrücklich verbürgt. Bereits dem Wortlaut von Artikel 31 Absatz 2 der europäischen Charta sei zu entnehmen, dass in dieser Bestimmung das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub verankert ist.

Der Anspruch auf Jahresurlaub stelle nur einen der beiden Aspekte des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub als wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union dar, der in Artikel 7 der Richtlinie 93/104 und in Artikel 7 der europäischen Richtlinie 2003/88 zum Ausdruck kommt und inzwischen ausdrücklich in Art. 31 Absatz 2 der Charta als Grundrecht verankert ist. Dieses Grundrecht umfasse somit auch einen Anspruch auf Bezahlung und den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union können nicht von dem Grundsatz abweichen, wonach ein erworbener Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen.

Die Mitgliedstaaten dürfen auch nicht entscheiden, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod rückwirkend zum vollständigen Verlust des vom Arbeitnehmer erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führt, da dieser Anspruch über den Urlaubsanspruch als solchen hinaus einen zweiten Aspekt von gleicher Bedeutung umfasst, nämlich den Anspruch auf Bezahlung, der es rechtfertigt, dass dem Arbeitnehmer oder seinen Rechtsnachfolgern eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub gewährt wird.

Die Mitgliedstaaten dürfen keine Regelung erlassen, die für den Arbeitnehmer dazu führt, dass sein Tod ihm rückwirkend die zuvor erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub und damit seinen Rechtsnachfolgern die finanzielle Vergütung nimmt, die als vermögensrechtliche Komponente dieser Ansprüche an deren Stelle tritt.

Somit ergibt sich im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers aus Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2003/88, sowie aus Artikel 31 Absatz 2 der Charta, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub im Wege der Erbfolge auf seine Rechtsnachfolger übergehen kann, da andernfalls der erworbene grundrechtlich relevante Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einschließlich seiner vermögensrechtlichen Komponente rückwirkend entfallen würde.

Artikel 7 der Richtlinie 2003/88 und Artikel 31 Absatz 2 der Charta stehen einer nationalen Regelung entgegen, nach der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers der von ihm gemäß diesen Bestimmungen erworbene Anspruch auf vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub untergeht, ohne dass ein Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf die Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers übergehen könnte.