Anzahl Beisitzer Einigungsstelle
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 01.10.2020, Aktenzeichen 3 TaBV 4/20
Eine vom Regelfall abweichende Besetzung der Einigungsstelle richtet sich nach Schwierigkeit und Umfang des Regelungsgegenstandes sowie nach der Zumutbarkeit der mit einer höheren Zahl von Beisitzern entstehenden Kosten, die tatsächliche rechtliche Dimension des Regelungsgegenstandes sowie zu die zu ihrer Beilegung notwendigen Fachkenntnisse und betriebspraktischen Erfahrungen.
Die Arbeitgeberin betreibt mehrere Krankenhäuser. In einem Klinikum hat die Arbeitgeberin eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen“ angerufen.
Der Betriebsrat des Klinikums vertrat vor dem Arbeitsgericht die Auffassung, das Regelungsthema sei so komplex, dass mehr als die im Regelfall vorgesehenen zwei Beisitzer je Seite erforderlich wären. Für dieses komplexe Thema seien sowohl juristischer als auch speziell fachlicher Sachverstand notwendig. Zudem könne der Betriebsrat unabhängig von der Zahl der Beisitzer selbst entscheiden, wen er in die Einigungsstelle entsende und ob es sich dabei um interne oder externe Personen handele.
Die Arbeitgeberin hingegen argumentierte, mehr als 2 Beisitzer seien nicht notwendig. Es sei im Interesse der kostentragenden Arbeitgeberin, möglichst viele interne Personen für die Einigungsstelle einzusetzen.
Das Arbeitsgericht setzte die Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle auf jeweils zwei Personen fest.
Im Regelfall sei die Anzahl der Beisitzer auf zwei festzulegen. Die Anzahl richte sich nach der Komplexität des zu regelnden Sachverhalts, der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer, der Schwierigkeit der mit dem Thema verbundenen Rechtsfragen sowie der Zumutbarkeit der Einigungsstellenkosten. Die Effizienz und Arbeitsfähigkeit der Einigungsstelle könne unter einer zu hohen Zahl an Beisitzern leiden. Für eine höhere Zahl von Beisitzern müsse eine objektive Notwendigkeit vorliegen. Das Arbeitsgericht erkenne nicht die Notwendigkeit, auf der Seite des Betriebsrats juristischen Sachverstand vorzuhalten, wenn bereits ein Rechtsanwalt und erfahrener Einigungsstellenvorsitzender zum Vorstand der Einigungsstelle nach beiderseitiger Einigung benannt wurde, der über hinreichend juristischen Sachverstand verfüge. Zudem bestehe für die Einigungsstelle die Möglichkeit, falls erforderlich externen Sachverstand in Form eines externen Sachverständigen einzubeziehen.
Die vom Betriebsrat behauptete Komplexität des Einigungsstellenthemas falle nicht so stark ins Gewicht, dass von der Regelbesetzung abgewichen werden könne. Das Urteil berücksichtige insbesondere auch die Arbeitsfähigkeit der Einigungsstelle sowie die mit der Mehrbesetzung verbundenen Kosten.
Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Betriebsrat Beschwerde beim Landesarbeitsgericht ein.
Nach den Empfehlungen der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) bedürfe die Beurteilung von psychischen Gefährdungen einer Beratung durch entsprechendes Fachpersonal, wie etwa Arbeitspsychologen. Selbst Fachkräfte für Arbeitssicherheit sähen die Durchführung einer psychischen Gefährdungsbeurteilung als ein komplexes Thema an. Deshalb sei dem Betriebsrat zuzustehen, zusätzlich zum juristischen Sachverstand auch fachlichen Sachverstand einzubeziehen und gleichzeitig selbst Beisitzer der Einigungsstelle sein zu können. Daher seien drei Beisitzer je Seite notwendig. Bei einer zum gleichen Thema zu besetzenden Einigungsstelle in einem weiteren Betrieb der Arbeitgeberin beabsichtige diese nun auf der Arbeitgeberseite die Einigungsstelle mit einer internen Juristin und einer externen Arbeitspsychologin zu besetzen.
Das Landesarbeitsgericht entschied, die Beschwerde des Betriebsrats sei begründet. Die Zahl der Beisitzer sei auf beiden Seiten mit drei Personen festzulegen. Im Regelfall sie die Besetzung der Einigungsstelle mit zwei Personen angemessen. Die Besetzung richte sich nach Schwierigkeit und Umfang des Regelungsgegenstandes sowie nach der Zumutbarkeit der mit einer höheren Zahl von Beisitzern entstehenden Kosten. Ebenfalls zu berücksichtigen sei, dass die Effizienz und Arbeitsfähigkeit der Einigungsstelle unter einer zu hohen Zahl an Beisitzern leiden könne.
Zu berücksichtigen sei auch die tatsächliche rechtliche Dimension des Regelungsgegenstandes sowie die zu ihrer Beilegung notwendigen Fachkenntnisse und betriebspraktischen Erfahrungen.
Die Ermessensausübung des Arbeitsgerichts entspreche nicht billigem Ermessen, weil es die Erforderlichkeit juristischen Fachwissens auf Seiten der Betriebsparteien innerhalb der Einigungsstelle unzutreffend beurteilt habe. Der Betriebsrat könne nicht darauf verwiesen werden, dass der Einigungsstellenvorsitzende ein Volljurist sei, der die in der Einigungsstelle auftretenden rechtlichen Fragen beantworten könne. Die Arbeitgeberin beabsichtige den bei ihr vorhandenen juristischen Sachverstand in Form einer Beisitzerin in die Einigungsstelle einzubringen. Dem Betriebsrat sei es zu ermöglichen, juristische Fragestellungen intern und auch unter taktischen Gesichtspunkten und gegebenenfalls in Abwesenheit der Beisitzer der Arbeitgeberseite und des Einigungsstellenvorsitzenden zu erörtern. Der unparteiische Einigungsstellenvorsitzende könne dies nicht leisten.
Die Komplexität der Fragestellungen zur psychischen Gefährdungsbeurteilung und der dafür erforderlichen betriebsinternen Expertise erforderten juristischen Sachverstand und Fachwissen darüber, wie die Gefährdungsfaktoren ermittelt werden können. Deshalb sollten die Betriebsparteien nicht auf die Hinzuziehung von externen Sachverständigen angewiesen, sondern bereits auf Seite der Beisitzer mit entsprechendem Sachverstand versehen sein.
Wenn wie im vorliegenden Fall nach den betrieblichen Gegebenheiten verschiedene methodische Vorgehensweisen für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung in Betracht kommen und die Einigungsstelle ein eigenes Konzept zur Ermittlung möglicher Gefährdungen erstellen soll, bedarf es eines Fachwissens darüber, wie Gefährdungsfaktoren ermittelt werden können. In diesen Fällen sei bei Fehlen einer eigenen Expertise die Festlegung auf drei Beisitzer je Seite geboten, um den Betriebsparteien zu ermöglichen, neben dem eigenen Sachverstand über die betrieblichen Gegebenheiten auch auf externen Sachverstand zu juristischen Fragestellungen und zu arbeitspsychologischen Fragestellungen zurückgreifen zu können.
Die von der Arbeitgeberin gehegte Befürchtung, der von Betriebsratsseite vorgesehene Beisitzer habe ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse, von der Einigungsstelle den Auftrag zur Durchführung der Ermittlung der psychischen Gesundheitsgefährdung zu erhalten, könne nicht dazu führen, dass deshalb die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer verringert werde. In diesem Zusammenhang wies das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass die Betriebsparteien bei der Benennung ihrer Beisitzer zwar weitgehend aber nicht völlig frei seien. Personen scheiden dann als Beisitzer der Einigungsstelle aus, wenn unter ihrer Mitwirkung eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Einigungsstelle nicht zu erwarten sei.
Es sei nicht ersichtlich, dass die Durchführung der Einigungsstelle mit drei Beisitzern je Betriebspartei der Arbeitgeberin wirtschaftlich nicht zumutbar sei.