Einsatz einer Einigungsstelle bei ausländischer Konzernbeteiligung
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 23.02.2021, Aktenzeichen 6 TaBV 1/21
Eine Einigungsstelle ist nicht offensichtlich unzuständig, wenn die Gewährung von Boni von einem Gesellschafter einer ausländischen Konzernobergesellschaft entschieden wurde.
Die Arbeitgeberin ist Mitglied einer Unternehmensgruppe, die in einer Matrixstruktur organisiert ist. Sie ist ein hundertprozentiges Tochterunternehmen, während das Mutterunternehmen ebenfalls ein hundertprozentiges Tochterunternehmen ist. Die Muttergesellschaft des Mutterunternehmens hat ihren Sitz in Singapur. Mehrheitseigentümer der Singapurer Muttergesellschaft ist ein Unternehmen, das über seine Fonds mittelständige Unternehmen finanziert und versucht deren Marktposition nachhaltig zu entwickeln.
In diesem Zusammenhang legte das finanzierende Unternehmen ein Bonusprogramm auf, welches Mitarbeiter motivieren soll, dazu beizutragen, dass Firmenanteile gewinnbringend veräußert werden können oder wenn bis zu einem vorgegebenen Termin ein Börsengang erfolgt. Mitarbeiter die für das Unternehmen elementar waren, sollten damit für einen gewissen Zeitraum an das Unternehmen gebunden werden sowie motiviert ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten.
Positionen die als elementar für den Unternehmenserfolg galten, wurden durch den Geschäftsführer der Mutter-Mutter-Gesellschaft festgelegt. Dafür hatte er Spielraum für die Festlegung der Positionen aber nicht für die Höhe des Budgets. Insgesamt wählte er 61 Positionen aus den verschiedenen Geschäftsbereichen innerhalb des Konzerns aus. Auf das Unternehmen der Arbeitgeberin entfielen im Rahmen der Auswahl 12 Positionen. Die Unternehmensleitungen der Arbeitgeberin und ihrer Muttergesellschaft waren nicht in diesen Prozess eingebunden, versandten aber Briefe an die Mitarbeiter, welche die Bedingungen für den Bonus und die Auszahlungspflicht erläuterten.
Die Bonus-Auszahlungen erfolgten im März 2020. Als der Betriebsrat davon erfuhr, erbat er von der Arbeitgeberin zunächst Informationen über das Programm. Die Betriebsleitung übermittelte die Information, vertrat aber die Ansicht, es könne kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehen, da die Arbeitgeberin keine Einflussmöglichkeit auf das Programm habe. Sie lehnte auch den Einsatz einer Einigungsstelle ab, da diese offensichtlich unzuständig sei.
Im Dezember 2020 beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht die Bestellung eines benannten Konfliktmanagers zum Vorsitzenden der Einigungsstelle, die aus jeweils 3 Beisitzern pro Seite bestehen solle.
Durch die Festlegung welcher Mitarbeiter welche Boni erhalte sei die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit berührt. Das Mitbestimmungsrecht sei auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Sonderleistung auf die Gesellschafter zurückgehe und von diesen finanziert werde.
Die Arbeitgeberin und ihre Muttergesellschaft beantragten die Abweisung des Antrags, da die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei. Sie könnten keinen Einfluss darauf nehmen, welche Mitarbeiter von der Gesellschafterin der in Singapur ansässigen Muttergesellschaft welche Boni erhielten. Deshalb sei das Betriebsverfassungsrecht, das seinen Geltungsbereich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beziehe, nicht anwendbar.
Ohne Einflussmöglichkeit sei es ihnen unmöglich mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung zu treffen. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass sie die Zahlungen vorgenommen hätten, da dies lediglich im Auftrag der Konzernmutter mit von ihr zur Verfügung gestellten Mitteln erfolgte.
Für die Zahlungen liege auch kein kollektivrechtlicher Sachverhalt vor. Die Boni seien nicht nach Leistungskriterien gewährt worden und beträfen nur etwa 2% der Mitarbeiter.
Unabhängig von dieser Argumentation genügten jedenfalls 2 Beisitzer pro Seite für die Einigungsstelle.
Der Betriebsrat bestritt mit Nichtwissen, dass die Arbeitgeberin keine Entscheidungsmöglichkeit gehabt hätte. Es habe zumindest die Möglichkeit der Beteiligung gegeben, das reiche aus. Aus dem Anschreiben an die Empfänger der Zahlungen gehe hervor, dass es auch um die persönlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter gegangen sei, die nur unter Mitwirkung der Arbeitgeberin bekannt geworden sein konnten. Die Bonusgewährung habe keinen Bezug zu individueller Lohngestaltung. Somit sei ein ausreichender kollektiver Bezug gegeben.
Die Arbeitgeberin argumentierte, die Briefe hätten alle den gleichen Wortlaut gehabt, sie seien auf Fähigkeiten und Tätigkeiten bezogen. Es ging um den Ansporn künftige Leistungen zu erbringen, nicht um bisherige Leistungen.
Das Arbeitsgericht entschied, es sei eine Einigungsstelle mit dem vorgeschlagenen Konfliktmanager und jeweils 2 Beisitzer je Seite zu errichten. Eine Einigungsstelle sei bereits einzurichten, wenn sie nicht offensichtlich unzuständig ist.
Deutsches Betriebsverfassungsrecht sei anzuwenden, weil es um die Beteiligung des Betriebsrats in einem in Deutschland gelegenen Betrieb gehe. Der notwendige kollektive Bezug liege vor, da es eine allgemeine Regelung gab, mit einheitlichen Kriterien, welche an die Fähigkeiten und den Tätigkeitsbereich der Mitarbeiter anknüpften, wonach 12 Mitarbeitern Bonuszahlungen zugesagt worden seien.
Es lägen ausreichend Anhaltspunkte vor, dass die Arbeitgeberin auf die Auswahlentscheidungen und Vergabekriterien einwirken konnte. Es kam auf die Fähigkeiten der Mitarbeiter an, nicht nur deren abstrakte Position oder Funktion. Diese Fähigkeiten seien nur auf Unternehmensebene zu ermitteln.
Das Mitbestimmungsrecht sei auch nicht ausgeschlossen, weil die Bonuszahlungen bereits erfolgt seien. Falls erforderlich, müssten nach einer abweichenden Einigung weitere Zahlungen geleistet werden.
Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Beschwerde beim Landesarbeitsgericht ein. Die Aufnahme der einzelnen Mitarbeiter in das Bonusprogramm stelle keinen kollektivrechtlichen Sachverhalt dar.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied, die Beschwerde der Arbeitgeberin sei nicht begründet.
Das Arbeitsgericht habe zu Recht festgelegt, dass der Vorsitzende der Einigungsstelle zu bestimmen sei und die Zahl der Beisitzer mit 2 pro Seite, worüber auch kein Streit mehr bestehe. Die Einigungsstelle werde selbst festzustellen haben, ob sie letztlich zuständig sei, weil das vom Betriebsrat reklamierte Mitbestimmungsrecht zu Recht bestehe.
Das LAG gehe davon aus, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Betracht komme. Es sei unerheblich ob die Entscheidung, über die mitbestimmt werden soll und die das Mitbestimmungsrecht möglicherweise auslöst, im Ausland getroffen wurde.
Entsprechend der allgemeinen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist das Mitbestimmungsrecht auch dann anzuwenden, wenn die Arbeitgeberin bereits die Verteilung bestimmter Begünstigungen versprochen oder vorgenommen hat. Betriebsrat und Arbeitgeberin könnten die Angelegenheit genauso regeln, als hätte die Arbeitgeberin die Verteilung noch nicht vorgenommen. Es sei das Versäumnis der Arbeitgeberin, nicht rechtzeitig für eine erforderliche Beteiligung des Betriebsrats gesorgt zu haben. Daher müsse sie sich mitbestimmungsrechtlich so behandeln lassen, als hätte sie den Arbeitnehmern noch nichts verbindlich zugesagt und erst recht nicht ausgezahlt. Gegebenenfalls müsse sie entsprechend der dann erfolgten Einigung mit dem Betriebsrat noch bestimmte Beträge nachzahlen.
Das Mitbestimmungsrecht sei auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Zahlungen offensichtlich keinen kollektiven Bezug hätten. Die vorgelegten Unterlagen belegten aber, dass die Auswahl der begünstigten Mitarbeiter nichts mit ihren individuellen Merkmalen zu tun habe. Die Leistung sollte von den Positionen der Mitarbeiter und dem Inhalt ihrer Aufgaben abhängen, nicht von der Leistungsfähigkeit der betroffenen Person. Aus einer E-Mail an den CEO sei ersichtlich, dass Spielraum in der Auswahl von Personen bestand, die aufgrund ihrer Position Einfluss auf den gewünschten Zweck hätten.
Es ging um die Erfüllung allgemeiner Kriterien. Die Zahl der zu benennenden Personen war nicht festgelegt, auch nicht die Höhe der einzelnen Prämien. Lediglich die Gesamtsumme war vorgegeben und auf mehrere Mitarbeiter aufzuteilen. Das genüge für einen kollektiven Bezug, jedenfalls aber für die Feststellung, dass ein kollektiver Bezug nicht von vornherein ausgeschlossen wäre.
Das Mitbestimmungsrecht sei auch nicht von vornherein ausgeschlossen, weil die Arbeitgeberin offensichtlich keine Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Auswahl des begünstigten Personenkreises und der Höhe des versprochenen Bonus gehabt hätte.
Der Mitbestimmung stehe nicht entgegen, dass der Gesellschafter die Gesamtsumme für die Boni zur Verfügung stellte und den Zweck bestimmte. Die Gesellschaft muss sich diese Entscheidung des Gesellschafters zurechnen lassen.
Das Arbeitsgericht habe zutreffend entschieden, dass im vorliegenden Fall die Bildung einer Einigungsstelle nicht verweigert werden kann.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wurde nicht zugelassen.