Mitbestimmung bei Urlaubsgewährung im Einzelfall
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.06.2021, Aktenzeichen 26 TaBV 785/21
Die Gewährung des Urlaubs hat regelmäßig auch dann Auswirkungen auf sonstige Belegschaftsmitglieder, wenn es nur um die Bewilligung für ein konkretes Belegschaftsmitglied geht und ist deshalb auch im Einzelfall mitbestimmungspflichtig.
Ein Erzieher im sozialpädagogischen Bereich bekam von seiner Arbeitgeberin eine Ablehnung seines Urlaubsantrages. Urlaub im Umfang von 30 Tagen könnte außerhalb der Ferien nicht gewährt werden, sondern müsse in den Schulferien oder im Zeitraum zwischen Weihnachten und Neujahr genommen werden. Auch einen weiteren Urlaubsantrag des Erziehers lehnte die Arbeitgeberin ab. Sie begründete unter anderem, es sei ungünstig den überwiegenden Teil des Urlaubs in die zweite Jahreshälfte zu verlegen, da am Ende des Schuljahres eine Klassenabgabe bevorstehe.
Weitere Bemühungen des Erziehers um Verständigung über die Urlaubsgewährung, sowie eine durch den Betriebsrat an die Arbeitgeberin gerichtete Beschwerde, blieben erfolglos.
Vor dem Arbeitsgericht beantragte der Betriebsrat die Einrichtung einer Einigungsstelle zur zeitlichen Lage des Urlaubs des Erziehers einzuberufen. Dem Betriebsrat stehe ein Mitbestimmungsrecht auch in Bezug auf die zeitliche Lage des Urlaubs einzelner Mitarbeiter zu. Die Arbeitgeberin habe sich zudem selbst darauf bezogen, dass sie in diesem Zeitraum bereits einem anderen Mitarbeiter Urlaub bewilligt habe. Somit gehe es also auch um konkurrierende Urlaubsansprüche unter den Belegschaftsmitgliedern.
Die Arbeitgeberin argumentierte, der Betriebsrat habe nicht in jedem Einzelfall mitzubestimmen. Es handele sich nicht um einen generellen kollektiven Tatbestand. Der einzelne Arbeitnehmer sei hinreichend durch § 7 Absatz 1 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) geschützt. Ihr sei auch nicht klar, welchem anderen Mitarbeiter bereits Urlaub gewährt worden sein soll. Dem Betriebsrat käme in solch einer Konstellation nur ein Mitbeurteilungsrecht aber kein Mitbestimmungsrecht zu.
Die Einigungsstelle wurde vom Arbeitsgericht mit der Begründung eingesetzt, das Mitbestimmungsrecht bestehe selbst dann, wenn kein Konflikt mit den Urlaubsansprüchen anderer Belegschaftsmitglieder bestehe und allein die zeitliche Lage des Urlaubs zwischen der Arbeitgeberin und dem Arbeitnehmer streitig sei.
Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Der Gegenstand der Beschwerde des Betriebsrats sei ein Rechtsanspruch, über den der Betriebsrat nicht die Einigungsstelle anrufen könne. Allenfalls bestehe ein Mitbeurteilungsrecht.
Der Betriebsrat erwiderte vor dem LAG, eine offensichtliche Unzuständigkeit des Betriebsrats liege nicht vor. Es entspreche der überwiegenden Ansicht in der Literatur, dass in dieser Konstellation auch dann ein Mitbestimmungsrecht vorliege, wenn es keinen Konflikt mit den Urlaubswünschen anderer Mitarbeiter gebe.
Das Landesarbeitsgericht hielt die Beschwerde der Arbeitgeberin für unbegründet. Der Antrag auf Einrichtung einer Einigungsstelle könne nur zurückgewiesen werden, wenn diese offensichtlich unzuständig wäre.
Offensichtliche Unzuständigkeit liege jedoch nur vor, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar sei, dass das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage komme.
Im Bedarfsfall solle bei auftretenden Meinungsverschiedenheiten möglichst schnell eine formal funktionierende Einigungsstelle eingesetzt werden können. Dafür sei ein unkompliziertes Bestellverfahren ohne zeitraubende Prüfung schwieriger Rechtsfragen erforderlich. Dem entspreche das vereinfachte gerichtliche Verfahren ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter unter Ausschluss der Rechtsbeschwerde. Die Einigungsstelle habe ihre Zuständigkeit auch selbst zu prüfen und könne sich gegebenfalls für unzuständig erklären. Dabei sei die Klärung auf die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle beschränkt. Die endgültige Klärung der Zuständigkeit der Einigungsstelle sei einem gesonderten Beschlussverfahren vor der vollbesetzten Kammer vorbehalten.
Nach ganz überwiegender Auffassung in der Literatur bestehe das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 5 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) in jedem Einzelfall. Die Gewährung des Urlaubs habe regelmäßig auch dann, wenn es um die Bewilligung für ein konkretes Belegschaftsmitglied geht, Auswirkungen nicht nur bezogen auf den konkreten Einzelfall, sondern auch auf sonstige Belegschaftsmitglieder. Ein kollektiver Bezug bestehe auch dadurch, dass die Arbeitgeberin generell Urlaubswünschen außerhalb der Ferienzeiten nicht nachkommen möchte. Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin bestehe die Notwendigkeit der Mitbeurteilung durch den Betriebsrat auch im Einzelfall.