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Keine Rückzahlung von Weiterbildungskosten falls Interessen nicht ausgewogen

Rückzahlung von Fortbildungskosten bei Kündigung

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 29.01.2021, Aktenzeichen 1 Sa 954/20

Eine Rückzahlungsklausel bezüglich einer Fortbildung ist nur dann ausgewogen, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, der Rückzahlungsverpflichtung durch eigene Betriebstreue zu entgehen.  

Für Fortbildungskosten entfällt eine Rückzahlungsverpflichtung auch bei Kündigung durch den Arbeitnehmer, wenn das Arbeitsverhältnis aus nicht vom Arbeitnehmer zu vertretenden personenbedingten Gründen, die bis zum Ablauf der Bleibefrist anhalten, nicht mehr fortgesetzt werden kann.

Ein Fachbereichsleiter mit Abschluss als examinierter Altenpfleger arbeitete im ambulanten Pflegedienst. Er wurde von Oktober 2017 bis Juli 2019 zur verantwortlichen Pflegefachkraft ausgebildet. Die Arbeitgeberin schloss mit ihm darüber eine Weiterbildungsvereinbarung. Darin war geregelt, dass die Arbeitgeberin die Kosten der Weiterbildung trägt und während der Dauer der Freistellung seine arbeitsvertragliche Vergütung weiterbezahlt.

Eine Verpflichtung zur Rückzahlung von Studienkosten und Freistellungsvergütung wurde für den Fall vereinbart, falls das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Mitarbeiters aus einem nicht durch die Gesellschaft zu vertretenden Grund oder durch Kündigung der Gesellschaft oder durch sonstige Vereinbarung aus einem Grund, den der Mitarbeiter zu vertreten hat, beendet wird. Der Gesamtbetrag der Rückerstattung kürzt sich für jeden Monat, währenddessen der Mitarbeiter nach Abschluss der Fortbildung bei der Gesellschaft in einem Arbeitsverhältnis steht, um ein 24-stel.

Ende August kündigte der Fachbereichsleiter zum Ende September 2019. Sein Kündigungsschreiben enthielt u.a. folgende Formulierung:

„Mir ist bewusst, dass durch meine Weiterbildung und die Vertragsvereinbarung noch Kosten offen sind. Erstellen sie mir bitte eine Rechnung der noch offenen Kosten, abzüglich des Bildungschecks, der für mich beantragt wurde.“

Im Oktober 2019 sandte die Arbeitgeberin ihm eine Rechnung über die Studiengebühren und Freistellungskosten in Höhe von annähernd 13 000 Euro. Der Fachbereichsleiter lehnte die Kostenerstattung ab.

Vor dem Arbeitsgericht klagte die Arbeitgeberin auf Kostenerstattung. Der Fachbereichsleiter argumentierte, die Rückforderungsbestimmung differenziere nicht ausreichend nach dem Grund der Kündigung und sei deshalb unangemessen benachteiligend im Sinne des § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). So verpflichte § 4 Absatz 1 der Weiterbildungsvereinbarung ihn auch dann zur Rückzahlung, wenn er aus von ihm nicht verschuldeten personenbedingten Gründen nicht mehr in der Lage sei, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten dauerhaft nachzukommen und das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund kündige.

Das Arbeitsgericht wies die Klage der Arbeitgeberin ab. In seinem Kündigungsschreiben habe der Fachbereichsleiter weder ein abstraktes noch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben, auch wenn er dort erklärte habe, sich der offenen Kosten bewusst zu sein.

Die Rückzahlungsklausel ist unwirksam, da sie den Fachbereichsleiter unverhältnismäßig benachteiligt. Er werde auch dann zur Rückzahlung verpflichtet, wenn er aus verschuldensunabhängigen personenbedingten Gründen nicht mehr in der Lage sei, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen und deshalb eine Eigenkündigung erkläre.

Gegen das Urteil legte die Arbeitgeberin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Sie argumentierte, zwischen den Parteien sei ein Schuldbestätigungsvertrag zustande gekommen. Eine Rückforderungsklausel müsse nicht die berechtigte Eigenkündigung des Arbeitsnehmers aus personenbedingten Gründen rückzahlungsfrei stellen. Für den Arbeitgeber bestünde durchaus ein Interesse, einen dauerhaft medizinisch untauglichen Mitarbeiter nicht zu kündigen, so beispielsweise im Hinblick auf § 154 SGB (Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen), wenn es sich um einen schwerbehinderten Menschen handele. Ferner dürfe das erworbene Wissen nicht einem Wettbewerber zur Verfügung gestellt werden, sollte sich zur späteren Zeit die Arbeitsfähigkeit des fortgebildeten Arbeitnehmers wieder einstellen.

In jedem Fall stünde ihr ein Zahlungsanspruch in Höhe von 1.680 € zu. Der Fachbereichsleiter sei neben 63 Fortbildungstagen in einem weiteren Umfang von 14 Tagen von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt worden, ohne dass die Weiterbildungsvereinbarung dies vorgesehen habe. Die überschießende Freistellung sei demgemäß ohne Rechtsgrund erfolgt.

Der Fachbereichsleiter erwiderte, er habe in seiner Berufungserwiderung vorsorglich die Anfechtung der Erklärung zur Rechnungsstellung in seinem Kündigungsschreiben vom 30.09.2019 erklärt. Er ist der Auffassung, diese Erklärung sei über den Inhalt einer bloßen Meinungskundgabe nicht hinausgegangen. Er habe keinen Anspruch entstehen lassen wollen, der nicht bereits bestanden habe.

Das Landesarbeitsgericht entschied, die Klage wurde vom Arbeitsgericht zurecht abgewiesen. Der eingeforderte Betrag steht der Arbeitgeberin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Der Fachbereichsleiter hat weder ein selbständiges Schuldversprechen im Sinne des § 780 BGB noch ein konstitutives abstraktes Schuldanerkenntnis im Sinne des § 780 BGB abgegeben, das die Arbeitgeberin angenommen haben könnte. Auch ein lediglich deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist nicht gegeben.

Im Schreiben benennt der Fachbereichsleiter die aus seiner Sicht gegebene Kündigungsfrist, äußert die Bitte, den Kündigungserhalt schriftlich zu bestätigen und bittet um Übermittlung eines Arbeitszeugnisses. Erst im letzten Absatz des Schreibens spricht der Fachbereichsleiter die Weiterbildung, die Vertragsvereinbarung und die insoweit noch offenen Kosten an. Im Vordergrund des Schreibens stand damit der Ausspruch der Kündigung, nachgelagert ging es dem Fachbereichsleiter um weitere Punkte, die im Rahmen der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses klärungsbedürftig erschienen. Zu diesen Punkten gehörte auch die “Vertragsvereinbarung”, die der Weiterbildung zugrunde lag. Bereits dies spricht gegen einen wie auch immer gearteten Rechtsbindungswillen, den die Arbeitgeberin in der abschließenden Erklärung im Kündigungsschreiben des Fachbereichsleiters sehen will.

Eine Auseinandersetzung zwischen den Parteien über den Rechtsgrund der Rückzahlungsforderung von Weiterbildungskosten vor Zugang des Kündigungsschreibens vom 30.08.2019 hat nicht stattgefunden, jedenfalls wurde dies nicht von der Arbeitgeberin vorgetragen. Für den Fachbereichsleiter bestand somit kein Anlass, eine seine rechtliche Positionen so deutlich verschlechternde Erklärung abzugeben, wie es für ein abstraktes Schuldversprechen oder ein konstitutives Schuldanerkenntnis gilt. Auch ein lediglich deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist nicht gegeben.

Die Dauer der auf 2 Jahre angelegten Fortbildung macht es schwer, die anfallenden Freistellungstage exakt zu bemessen. Deshalb sind nicht die im Voraus benannten, sondern die für die erfolgreiche Durchführung der Fortbildung tatsächlich zu veranschlagenden Tage zugrunde zu legen.

Die Rückzahlungsklausel in § 4 der Weiterbildungsvereinbarung gewährt der Arbeitgeberin allerdings keine Anspruchsgrundlage für die Rückforderung der verauslagten Kosten. Sie benachteiligt den Fachbereichsleiter unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB und ist damit unwirksam. Die von der Arbeitgeberin mindestens in zwei Fällen zur Grundlage einer Fortbildungsvereinbarung gemachten Klauseln der Weiterbildungsvereinbarung vom 29.09.2017 gelten als von der Arbeitgeberin vorformulierte Vertragsbedingungen, die zur Anwendung des § 307 BGB führen.

  • 4 der Fortbildungsvereinbarung benachteiligt den Kläger gemäß § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Die Klausel ist daher unwirksam und entfällt ersatzlos. Sie ist auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung mit einem zulässigen Inhalt aufrechtzuerhalten.

Vorformulierte Rückforderungsklauseln sind nach § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB dann unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu beachten und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren.

Einzelvertragliche Vereinbarungen, die den Arbeitnehmer zu einer Beteiligung an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Fortbildung für den Fall verpflichten, dass er aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sind grundsätzlich zulässig. Unwirksam sind sie dann, wenn die grundgesetzlich über Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 GG (Grundgesetz) garantierte arbeitsplatzbezogene Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers unzulässig eingeschränkt wird.

Auf Seiten der Arbeitgeberin ist zunächst das Interesse beachtenswert, eine vom Arbeitnehmer erworbene und von der Arbeitgeberin finanzierte Qualifikation grundsätzlich für ihren Betrieb nutzen zu können. Dies lässt es berechtigt erscheinen, einen auf Kosten der Arbeitgeberin fortgebildeten Arbeitnehmer im Falle eines Ausscheidens aus dem Betrieb an den Kosten zu beteiligen. Dem steht das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber, seinen Arbeitsplatz frei wählen zu können, ohne mit der Last einer Kostenerstattung konfrontiert zu sein.

Es bestehen keine Zweifel, dass die dem Fachbereichsleiter eingeräumte Fortbildung zum Pflegedienstleiter eine bis zu zweijährige Bindung rechtfertigt, wie sie hier vorgesehen ist. Der deutlich erweiterte Betätigungs- und Aufgabenkreis, den der Beklagte durch die gewährte Weiterbildung erlangt hat, verbessert seine Arbeitsmarktchancen und wird erwartungsgemäß mit einer erhöhten Vergütung einhergehen, wie sie ihm auch von der Klägerin zugesagt worden ist.

Durch das Bundesarbeitsgericht ist jedoch höchstrichterlich entschieden, dass es nicht zulässig ist, eine Rückzahlungspflicht einschränkungslos an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen.

Eine Rückzahlungsklausel bezüglich einer Fortbildung ist nur dann ausgewogen, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, der Rückzahlungsverpflichtung durch eigene Betriebstreue zu entgehen.

Entsprechend der Risikoverteilung zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer, trägt die Arbeitgeberin die Verluste von Investitionen die nachträglich wertlos werden. Müsste der Arbeitnehmer die in seine Aus- und Weiterbildung investierten Betriebsausgaben auch dann zurückzahlen, wenn die Ursachen einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses alleine dem Verantwortungs- und Risikobereich des Arbeitgebers entstammen, hätte es die Arbeitgeberin entgegen der das Arbeitsrecht prägenden Risikoverteilung in der Hand, den Arbeitnehmer mit den Kosten einer fehlgeschlagenen Investition zu belasten. Eine Klausel, die auch für einen solchen Fall eine Rückzahlungspflicht vorsieht, würde ausschließlich die Interessen der Arbeitgeberin berücksichtigen und damit den Arbeitnehmer mangels ausreichender Beachtung der wechselseitigen Interessen unangemessen im Sinne des § 307 Absatz 1 BGB benachteiligen.

Nicht ausreichend differenzierend und damit unangemessen benachteiligend ist jedoch die in der Weiterbildungsvereinbarung geregelte Auflösungssituation. Danach bleibt der Arbeitnehmer zur Rückzahlung verpflichtet, wenn das Arbeitsverhältnis durch seine arbeitnehmerseitige Kündigung aus einem Grund beendet wird, den die Arbeitgeberin nicht zu vertreten hat.

Für die Situation einer personenbedingte Eigenkündigung, deren Gründe der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat, bleibt der Arbeitgeberin hingegen eine Anspruchsgrundlage erhalten. Denn das Arbeitsverhältnis würde in einer solchen Situation “durch Kündigung des Mitarbeiters aus einem nicht durch die Gesellschaft zu vertretenden Grund” enden. Solche personenbedingten Gründe wären weder von der Arbeitgeberin noch vom Arbeitnehmer zu vertreten.

Das Berufungsgericht hat bereits entschieden, dass eine Klausel, die die Rückzahlungsverpflichtung von Fortbildungskosten auch für den Fall einer berechtigten personenbedingten Eigenkündigung des Arbeitnehmers entstehen lässt, nicht ausreichend nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert.

Sie benachteiligt den beklagten Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen im Sinne des § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB und ist damit unwirksam. So kann das Landesarbeitsgericht kein Interesse der klagenden Arbeitgeberin erkennen, welches gerechtfertigt erscheinen lassen könnte, einen Arbeitnehmer auch für den Fall, dass er aus berechtigten personenbedingten Gründen – etwa bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit – nicht mehr in der Lage ist, der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit bis zum Ablauf der Rückforderungsfrist nachzukommen, durch den mit der Rückforderungsklausel verbundenen Bleibedruck zu zwingen, am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Bindungsdauer festzuhalten.

Der Arbeitnehmer muss die vorzeitige Lösung des Arbeitsverhältnisses beeinflussen können und es damit in der Hand haben, der Erstattungspflicht durch eigene Betriebstreue zu entgehen.

Ist der Arbeitnehmer aus nicht zu vertretenden personenbedingten Gründen bis zum Ablauf der Bleibefrist nicht mehr in der Lage, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, hat er es auch nicht mehr in der Hand, den berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers zu entsprechen, die in die Fortbildung getätigten Investitionen nutzen zu können. Eine Rückzahlungsklausel in einer Fortbildungsvereinbarung muss, um nicht unangemessen benachteiligend im Sinne des § 307 Absatz 1 BGB zu sein, u.a. vorsehen, dass eine Rückzahlungsverpflichtung auch dann entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis aus unverschuldeten personenbedingten Gründen, die bis zum Ablauf der Bleibedauer anhalten, vom Arbeitnehmer durch Ausspruch einer Kündigung oder aufgrund einer entsprechenden Auflösungsvereinbarung beendet wird.

Das Risiko, dass der Arbeitnehmer aus verschuldensunabhängigen, personenbedingten Gründen das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Bleibefrist nicht fortsetzen kann und deshalb die Ausbildungsinvestition verloren ist, ist alleine der arbeitgeberseitigen Sphäre zuzuweisen. Mangels ausreichender Differenzierung nach dem zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Eigenkündigung des beklagten Arbeitnehmers führenden Grundes ist die Rückzahlungsklausel in § 4 der Weiterbildungsvereinbarung demnach unwirksam.

Eine Revision seitens der Arbeitgeberin gegen dieses Urteil wurde zugelassen.