Anspruch auf Teilzeitarbeit im Schichtbetrieb
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.10.2021, Aktenzeichen 5 Sa 707/21
Grundsätzlich hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz, selbst wenn es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Arbeitszeitverringerung handelt.
Im Betrieb der Arbeitgeberin besteht ein 5-Schichtsystem rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.
Ein Maschineneinrichter arbeitete 39 Stunden pro Woche. Im März 2021 beantragte er, ab Juli 2021 eine Arbeitszeit von 36 Stunden pro Woche mit ausschließlichem Einsatz in der Schicht “E”, wobei kein Einsatz an Sonntagen erfolgen soll. Für zusätzliche Einbringschichten wolle er nicht mehr zur Verfügung stehen. Zwei weitere Beschäftigte stellten zeitnah ähnliche Anträge.
Die Arbeitgeberin lehnte den Antrag im Mai 2021 schriftlich ab, ebenso die Anträge der weiteren Beschäftigten.
Der Maschineneinrichter verfolgte seinen Antrag vor dem Arbeitsgericht weiter. Er führte aus, ihm stünden bei unveränderter Arbeitszeit unter Abzug seiner in der Schicht „E“ verplanten und im Übrigen in den Sommerurlaub einzubringenden Arbeitsstunden im Jahr noch 184 Stunden im Jahr zur freien Verfügung. Hiermit und durch Springer könne die Arbeitgeberin die aufgrund der angestrebten Arbeitszeitverringerung entfallenden Kapazitäten abdecken. Ferner könne die Arbeitgeberin hierfür neue Arbeitskräfte oder Leihkräfte einstellen, die nach einer ca. 4 Wochen dauernden Einarbeitung einsetzbar seien.
Die Arbeitgeberin hat vorgetragen, aufgrund der vom Maschineneinrichter und einer weiteren Beschäftigten der Schicht „E“ angestrebten Arbeitszeitverringerungen im Umfang von 143 Personenstunden im Jahr (Maschineneinrichter) und 212 Personenstunden im Jahr (weitere Beschäftigte) käme es in dieser Schicht zu einer Unterdeckung von 87 Personenstunden im Jahr, die weder durch den Einsatz der voll ausgelasteten Reserve-Operatoren, durch Leihkräfte, noch durch Neu-Einstellungen ausgeglichen werden könne.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Arbeitgeberin habe die Entscheidung getroffen, die bei ihr installierte Anlagen rund um die Uhr laufen zu lassen, woran das Schichtsystem gebunden sei. Es sei nicht zu beanstanden, dass Ausfälle neben dem Einsatz von Springern auch durch Einbringschichten kompensiert werden sollten.
Rechnerisch stehe ihr nach diesem Konzept in der Schicht „E“ ein freies Stundenvolumen zur Verfügung, mit dem die durch die Teilzeitverlangen des Maschineneinrichters und einer weiteren in der Schicht „E“ beschäftigten Arbeitnehmerin verringerten Stundenkapazitäten nicht ausgeglichen werden könnten. Zudem müsse bei Stattgabe dieser Anträge mit weiteren Verringerungsverlangen mit dem Ziel gerechnet werden, die Einbringschichten zu umgehen. Durch das gehäufte Verlangen auf Arbeitszeitverringerung komme es auch zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Organisationskonzepts, das einen flexiblen Arbeitskräfteeinsatz bedinge.
Der Maschineneinrichter legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung beim Landesarbeitsgericht ein. Er trug vor, die Absenkung der tariflichen Arbeitszeit bei den Beschäftigten ab 55 Jahren habe zur Verringerung der Personalkapazitäten geführt. Die Arbeitgeberin halte zu wenig Personal vor, so dass ihr Konzept ohnehin nicht umsetzbar sei. Hinzu komme, dass die tarifliche Arbeitszeit ab 2022 erneut abgesenkt werde. Im Hinblick auf die Richtlinie EG 97/81 dürfe ein Schichtmodell mit festen Schichtzeiten nicht als hochheiliges Organisationsmodell angesehen werden, wenn dadurch Teilzeitarbeit von vornherein konterkariert werde.
Das Landesarbeitsgericht entschied, der Maschineneinrichter hat gemäß § 8 Absatz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) keinen Anspruch auf Zustimmung der Arbeitgeberin zur Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit von 39 auf 36 Stunden und der Verteilung der Arbeitszeit auf die Schicht E.
Das Landesarbeitsgericht hält das Teilzeitverlangen des Maschineneinrichters für rechtsmissbräuchlich und bereits deshalb für erfolglos, weil er damit tatsächlich das Ziel einer dem Organisationskonzept der Arbeitgeberin widersprechenden Arbeitszeitverteilung verfolgt. Allein für den Zweck, eine gewünschte Verteilung der Arbeitszeit zu erreichen, darf er seine Rechte aus dem TzBfG nicht geltend machen. Durch das vordergründige Verlangen auf eine verhältnismäßig geringfügige Arbeitszeitverringerung in genau den Einbringstunden entsprechendem Umfang will der Maschineneinrichter erreichen, in den Einbringschichten nicht mehr eingesetzt zu werden.
Aufgrund der angestrebten Arbeitszeitverringerung muss der Maschineneinrichter eine Vergütungsreduzierung von nicht einmal 10 % hinnehmen. Dass er diese Verringerung auch nur deshalb anstrebt, weil er die Einbringstunden nicht mehr leisten möchte, lässt sich daraus schließen, dass die Arbeitszeitverringerung mit 3 Wochenstunden genau dem Umfang der auf die Wochenarbeitszeit entfallenden Einbringstunden entspricht. Damit liegen hier besondere Umstände vor, die die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens rechtfertigen. Der Anspruch aus § 8 TzBfG, der nur zweitrangig auch die Neuverteilung der Arbeitszeit umfasst, darf nicht dazu eingesetzt werden, erstrangig und unter Hinnahme einer unwesentlichen Verringerung der Arbeitszeit und Vergütung die Entbindung von einer ungeliebten Schicht zu erreichen.
Da der Klageantrag darauf hinausläuft, die geänderte Arbeitszeit auf die Schicht „E“ zu verteilen, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass der Einsatz in Einbringschichten nicht mehr erfolgen kann. Dem damit verfolgten Arbeitszeitverringerungsbegehren stehen betriebliche Gründe im Sinne von § 8 Absatz 4 Satz 1 TzBfG entgegen.
Der Antrag des Maschineneinrichters war in diesem Sinne als einheitlicher Antrag auf Vertragsänderung zu verstehen. Aus dem Schreiben geht hervor, dass es dem Maschineneinrichter gerade auch um die Entbindung von den Einbringschichten geht. Diesen Antrag konnte die Arbeitgeberin nur insgesamt annehmen oder ablehnen. Damit entfällt der in § 8 Absatz 1 TzBfG geregelte Anspruch schon dann, wenn allein dem Arbeitszeitverringerungswunsch betriebliche Gründe entgegenstehen.
Ein entgegenstehender betrieblicher Grund liegt gemäß § 8 Absatz 4 Satz 2 TzBfG insbesondere vor, wenn die Umsetzung des Arbeitszeitverlangens die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Insoweit genügt es, wenn die Arbeitgeberin rational nachvollziehbare, hinreichend gewichtige Gründe hat, der Verringerung der Arbeitszeit nicht zuzustimmen.
Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der von der Arbeitgeberin als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht bei der Ablehnungsentscheidung das bei der Arbeitgeberin geltende Organisationskonzept zugrunde gelegt hat. Da es nach den vorgenannten Grundsätzen auf diesen Zeitpunkt ankommt, ist es unerheblich, dass das Konzept im Hinblick auf das Lebensalter der Beschäftigten und eine bevorstehende tarifliche Arbeitszeitabsenkung zukünftig möglicherweise nicht mehr umgesetzt werden kann.
Die aus diesem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung steht dem Arbeitszeitverlangen des Maschineneinrichters tatsächlich entgegen, weil mit ihm fast zeitgleich eine ebenfalls planmäßig in der Schicht des Maschineneinrichters eingesetzte Beschäftigte die Reduzierung ihrer Arbeitszeit um 5 Wochenstunden beantragt hat und mit Vereinbarung der von beiden Beschäftigten gewünschten Arbeitszeitverringerungen eine Kapazitätsunterdeckung an dieser Anlage entstünde.
Dem Maschineneinrichter ist zwar darin zuzustimmen, dass die bloße Befürchtung, dass es bei einer Häufung von Teilzeitverlangen zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Organisationskonzepts kommen könnte, die Ablehnung eines Antrages nach § 8 Absatz 4 Satz 2 TzBfG nicht rechtfertigen kann. Hingegen ist es möglich, dass durch eine tatsächliche Häufung von Teilzeitverlangen eine Überforderung der Arbeitgeberin eintreten kann, die insgesamt mit ihrem Organisationskonzept nicht in Einklang gebracht werden kann.
Bereits die fast zeitgleich eingetretene Häufung von Arbeitszeitverringerungsbegehren zweier in derselben Schicht eingesetzter Beschäftigter führt zum Ausfall der vorgehaltenen Personalkapazität in einem Umfang, der mit im Rahmen des Organisationskonzeptes verbleibenden Kapazitäten nicht ausgeglichen werden kann. Die eingesetzten Reserve-Operatoren können die auch bei Berücksichtigung ihrer Personalkapazitäten entstehende Unterdeckung ohne überobligatorische Leistung nicht ausgleichen.
Das betriebliche Organisationskonzept der Arbeitgeberin wird durch die von dem Maschineneinrichter gewünschte Arbeitszeitverringerung wesentlich beeinträchtigt. Dem unstreitigen Vortrag der Arbeitgeberin zum Einsatz der Beschäftigten in regulären Schichten und Einbringschichten sowie als Reserve-Operatoren lässt sich das Ziel entnehmen, vorhersehbare und nicht vorhersehbare Ausfälle von Beschäftigten ohne das Erfordernis überobligatorischer Leistungen durch den Einsatz eigenen Personals auszugleichen und nicht auf Fremdpersonal zurückzugreifen.
Durch Neueinstellungen kann die Arbeitgeberin den durch die beiden Arbeitszeitverringerungsanträge entstehende Unterkapazität nicht ohne wesentliche Beeinträchtigung ihres Organisationskonzeptes ausgleichen.
Die Einstellung von Vollzeitkräften zum Ausgleich der durch die Verringerungsanträge bedingten Unterdeckung konnte von der Arbeitgeberin nicht verlangt werden. Von der Arbeitgeberin sollen keine Maßnahmen gefordert werden, die mehr von ihr verlangen, als den eintretenden Arbeitszeitausfall auszugleichen oder die so geschaffene Situation zu regeln.
Auch der Ausgleich durch Rückgriff auf Leiharbeit würde eine wesentliche Beeinträchtigung des Organisationskonzeptes darstellen. Unabhängig davon stellt es eine wesentliche Beeinträchtigung des Organisationskonzeptes dar, eine Tätigkeit, die selbst nach Vortrag des Maschineneinrichters einer vierwöchigen Einarbeitung bedarf, an circa 9 Arbeitstagen im Jahr auf Fremdpersonal übertragen zu müssen.
Der Maschineneinrichter kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die jährliche Personalunterdeckung im Umfang von nicht einmal 100 Personenstunden sei unwesentlich. Wenn es keine praktikablen Möglichkeiten gibt, auch eine solche verhältnismäßig geringe Unterdeckung im Rahmen des bestehenden Organisationskonzeptes auszugleichen, müsste es geändert werden oder müssten andere Beschäftigte entsprechend überobligatorische Leistungen erbringen. Dies stellt jeweils eine wesentliche, der Arbeitgeberin nicht abzuverlangende Beeinträchtigung ihres Organisationskonzeptes dar.
Eine Revision zu dieser Entscheidung wurde nicht zugelassen.