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Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen

Abbruch einer Betriebsratswahl

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 20.05.2022, Aktenzeichen 5 TaBVGa 2/22

Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maß verstoßen wurde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Einzelhandelsgeschäft und beschäftigt insgesamt 26 wahlberechtigte Mitarbeiter. Antragsgegner ist der 3-köpfige gewählte Wahlvorstand. Bisher bestand kein Betriebsrat im Betrieb der Arbeitgeberin, eine Betriebsratswahl wurde vom Wahlvorstand vorbereitet.

Mit Beschluss vom 04. Mai 2022 setzte der Wahlvorstand die Betriebsratswahl für den 20. Mai 2022 fest. Wahlvorschläge mussten bis zum 12.05.2022 14.00 Uhr eingereicht werden.

Zwei Wahlvorschläge, die am 12.05.2022 fristgerecht eingereicht wurden, lehnte der Wahlvorstand als ungültig ab, da sie nicht von den Wahlbewerbern unterschrieben waren, und teilte seine Entscheidung erst nach Ablauf der Einreichungsfrist mit.

Am Vormittag des Folgetages wurden die Wahlvorschläge nunmehr unterschrieben, erneut eingereicht. Der Wahlvorstand lehnte diesmal die Vorschläge mit der Begründung ab, die Wahlvorschläge seien wegen nicht fristgerechter Einreichung unheilbar ungültig.

Die Arbeitgeberin machte mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend, die laufende Betriebsratswahl müsse abgebrochen werden. Deren weitere Durchführung sei nichtig.

Die vom Wahlvorstand angesetzten Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen seien zu kurz bemessen. Die Fristen seien offensichtlich so gewählt worden, um nur wohlgesonnene Kollegen und Kolleginnen zur Wahl zuzulassen.

Dem Wahlvorstand sei bekannt gewesen, dass ein Wahlbewerber bis zum 11.05.2022 im Urlaub war. Eine Wahlbewerberin war erst ab 11.05.2022 14.00 Uhr wieder im Betrieb anwesend. Die fehlenden Unterschriften hätten vor Fristablauf von den Wahlbewerbern eingeholt werden können. Das sei bewusst nicht erfolgt, um diese bewusst als Wahlkandidaten zu verhindern.

Der Wahlvorstand entgegnete, die Zeit für die Wahlvorschläge sei nicht zu kurz bemessen. Nach der Rechtsprechung komme der Abbruch einer Betriebsratswahl nur in Betracht, wenn die Wahl nichtig ist. Verfahrensmängel, die lediglich die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge hätten, würden nicht ausreichen.

Das Arbeitsgericht gab dem Antrag statt und untersagte, die derzeit laufende Betriebsratswahl fortzusetzen. Die Betriebsratswahl sei wegen offensichtlicher Verstöße gegen zwingende Wahlvorschriften nichtig. Nach § 14a BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) sei die Wahl zwingend im vereinfachten zweistufigen Verfahren durchzuführen, da bislang im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

Der Wahlvorstand habe nicht nur lediglich gegen einzelne Wahlvorschriften im Rahmen des vereinfachten Wahlverfahrens verstoßen, er habe dieses zwingend einzuhaltende Verfahren völlig ignoriert und sich am Regelverfahren orientiert. Die Durchführung der Wahl im unzutreffenden Verfahren stelle einen eklatanten und offensichtlichen Verstoß gegen zwingende Wahlvorschriften dar.

Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts legte der Wahlvorstand noch am gleichen Tag Beschwerde ein. Ein Grund für die Nichtigkeit der Betriebsratswahl liege nicht vor, lediglich für deren Anfechtbarkeit. Zu berücksichtigen sei, dass die Arbeitgeberin erst ca. einen Monat nach der ersten Aufforderung die erforderlichen Daten zur Erstellung der Wählerliste übermittelt habe.

Die Arbeitgeberin hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben und ist auch nicht zur Anhörung erschienen.

Das Landesarbeitsgericht entschied, die Beschwerde ist begründet. Auch wenn im Rahmen des Wahlverfahrens deutliche Fehler gemacht wurden, insbesondere das falsche Wahlverfahren, seien diese nicht ausreichend, das Wahlverfahren als nichtig zu erklären. Selbst bei einer sicher erfolgreichen Anfechtbarkeit der Wahl hat ein Abbruch zu unterbleiben.

Der Abbruch eines Wahlverfahrens zur Betriebsratswahl darf nur erfolgen, wenn bei summarischer Prüfung, die Nichtigkeit der Wahl im Falle der weiteren Durchführung zu erwarten sei. Ansonsten könne bei ausreichend sicherer Anfechtbarkeit ein Antragsteller mit dem gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen Unterlassungsantrag mehr erreichen, als mit einer gesetzlich vorgesehenen Wahlanfechtung. Mit dem Wahlabbruch im Falle bloßer Anfechtbarkeit würde im Einzelfall verhindert, dass zumindest vorläufig eine Arbeitnehmerinteressenvertretung gewählt würde. Ein betriebsratsloser Zustand würde geschaffen oder aufrechterhalten, wie er nur bei einer nichtigen Wahl auftreten dürfte.

Eine voraussichtliche Nichtigkeit sei im vorliegenden Wahlverfahren bei summarischer Prüfung nicht erkennbar.

Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maß verstoßen wurde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt.

Die unstreitige Verwendung des falschen Wahlverfahrens stellt zwar einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften dar und kann mit einiger Wahrscheinlichkeit auch das Wahlergebnis beeinflussen, führt aber nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl.

Bei der Verwendung der falschen Verfahrensregeln liegt grundsätzlich ein geordnetes Verfahren vor, das nicht gegen die allgemeinen Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl offensichtlich verstößt.

Es spricht viel dafür, dass die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen zu kurz bemessen war. Es kommt auch ein Verstoß des Wahlvorstandes in Betracht, wenn er bei den nicht unterzeichneten Wahlanträgen nicht rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass dies behoben werden könne.

Handelt es sich bei den einzelnen Verstößen um Mängel, die jeder für sich genommen, zwar die Anfechtung der Betriebsratswahl rechtfertigen, aber nicht deren Nichtigkeit, kann weder die addierte Summe der Fehler noch eine Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit führen.