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Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Einführung von Desk Sharing und einer Clean Desk Policy

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.08.2024, Aktenzeichen 21 TaBV 7/24

 

Amtliche Leitsätze:

1. Die Einführung von Desk Sharing ist ebenso wie die Einführung einer Clean Desk Policy nicht als Ganzes mitbestimmungspflichtig.

2. Vorgaben des Arbeitgebers zur Einbringung persönlicher Gegenstände der Arbeitnehmer, insbesondere zur Aufbewahrung solcher Gegenstände vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende, können die Ordnung des Betriebs betreffen und infolgedessen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Dies gilt auch, wenn solche Vorgaben Teil eines vom Arbeitgeber angeordneten Konzepts zum Desk Sharing und/oder einer von ihm vorgegebenen Clean Desk Policy sind.

3. Eine Doppelwidmung derselben Betriebsfläche sowohl zu Arbeits- als auch zu Pausenzwecken („überlagernde Nutzung“) kann die Ordnung des Betriebs betreffen und infolgedessen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.

vorgehend: ArbG Heilbronn, Beschluss vom 31.05.2024 –

Mit dieser Entscheidung haben wir eine erste aktuelle Aussage eines Landesarbeitsgericht, die zumindest in Teilen die Mitbestimmung des Betriebsrats bestätigt.

Der Betriebsrat hat die Einsetzung einer Einigungsstelle bezogen auf die aus Sicht des hiesigen Gerichts gegebenen Mitbestimmungstatsbestände erreicht:

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle, deren Aufgabe die Einführung und Umsetzung eines Planungskonzepts sein soll, das die Nutzungsflächen der Büroräume neu gestaltet und definiert. Insbesondere geht es dabei um die Einführung von „Desk Sharing“ und dem damit verbundenen „Clean Desk“ in dem in C. ansässigen Betrieb der zweiten beteiligten Arbeitgeberin, für den der Beteiligte zu 1 als Betriebsrat gewählt wurde.

Das neue Konzept der Arbeitgeberin mit dem Namen „…spaces“ ist in einer Präsentation dokumentiert, die im September 2023 erstellt und im Oktober 2023 dem Betriebsrat zur Kenntnis gegeben wurde (siehe Anlage AS1 zur Antragsschrift vom 08.05.2024, Bl. 6-23 ArbG-Akte). Zuvor wurden bereits Großraumbüros eingerichtet, wobei die Arbeitsplätze jedoch fest zugeordnet waren. Außerdem gab es zumindest teilweise Trennwände zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen. Eine Gefährdungsbeurteilung für die neuen Arbeitsplätze liegt bisher nicht vor. Der Gesamtbetriebsrat der zweiten beteiligten Arbeitgeberin (fortan: Arbeitgeberin) und die Arbeitgeberin befinden sich jedoch derzeit in Verhandlungen über die Gefährdungsbeurteilung für die Arbeitsplätze im gesamten Unternehmen.

Der Betriebsrat hat  die Einsetzung der Einigungsstelle insbesondere im Hinblick auf das Desk-Sharing und die Clean-Desk-policy verlangt. Erstinstanzliche war der Betriebsrat unterlegen.

Vor dem Landesarbeitsgericht verfolgt der Betriebsrat seine Ziele weiter. Das LAG führt dazu aus:

Der zulässige Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle ist teilweise begründet; in anderen Aspekten ist er unbegründet. Zudem ist die im Antrag Nr. 2 angestrebte Festlegung der Anzahl der Beisitzer auf vier lediglich hinsichtlich von zwei Beisitzern gerechtfertigt.

Für die Einsetzung einer Einigungsstelle hinsichtlich des gesamten im Antrag Nr. 1 des Betriebsrats genannten Regelungsgegenstandes besteht keine Rechtsgrundlage. Denn nicht die vollständige Einführung und Umsetzung des Planungskonzepts „…spaces“ unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats, insbesondere nicht das Desk Sharing selbst und ebenso wenig die gesamte Clean-Desk-Policy. Das Konzept beinhaltet jedoch zwei Teilbereiche, die unabhängig vom Gesamtkonzept betrachtet werden können, ohne dass die Gesamtheit des Konzepts dadurch beeinträchtigt wird, und für die die Voraussetzungen zur Einsetzung einer Einigungsstelle gegeben sind. Es besteht kein Zweifel daran, dass auch eine Einigungsstelle über diese Teilbereiche vom Rechtsschutzantrag des Betriebsrats umfasst ist, basierend auf den eingereichten Schriftsätzen und insbesondere dem Verlauf des Beschwerdeverhandlungstermins. Die betreffenden Themen sind zum einen die „Ordnung in Bezug auf von den Arbeitnehmern mitgebrachte persönliche Gegenstände im Zusammenhang mit der Einführung und Umsetzung des Planungskonzepts …spaces“ und zum anderen die „Ordnung bezüglich des Verhaltens auf Flächen mit sogenannten überlagernden Nutzungen im Zusammenhang mit der Einführung und Umsetzung des Planungskonzepts …spaces“.

Gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG ist das Arbeitsgericht verpflichtet, den Vorsitzenden der Einigungsstelle zu bestellen, wenn die Betriebsparteien keine Einigung darüber erzielen können. Außerdem entscheidet das Arbeitsgericht, falls kein Einverständnis über die Anzahl der Beisitzer erzielt wird. Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 ArbGG dürfen Anträge aufgrund fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn die Unzuständigkeit offensichtlich ist. Im Rahmen des erzwingbaren Einigungsstellenverfahrens (§ 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG) liegt eine offensichtliche Unzuständigkeit vor, wenn bei einer fachkundigen Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht unter keinem rechtlichen Aspekt in Frage kommt. Diese enge Begrenzung der Zuständigkeitsprüfung ergibt sich aus der spezifischen Natur des Verfahrens zur Errichtung einer Einigungsstelle. Dieses Verfahren ist darauf ausgelegt, den Betriebsparteien möglichst schnell eine funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen (vgl. LAG Baden-Württemberg, 30.09.2010 – 15 TaBV 4/10 – <über die inhaltsgleiche frühere Norm des § 98 ArbGG a.F.> juris Rn. 41 mwN.; 08.12.2022 – 4 TaBV 7/22 – juris Rn. 50 mwN.).

Vor diesem Hintergrund ist die Einsetzung einer Einigungsstelle für die beiden genannten Teilbereiche notwendig, da das Vorliegen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht offensichtlich unter allen denkbaren Gesichtspunkten ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist die Möglichkeit des Bestehens dieses Mitbestimmungsrechts gegeben. Ob es tatsächlich besteht, muss von der Einigungsstelle eingehend überprüft werden. Beide im Konzept „…spaces“ vorgesehenen Regelungen oder die durch sie geschaffenen Situationen betreffen Angelegenheiten, die das sogenannte Ordnungsverhalten betreffen können und nicht eindeutig dem Arbeitsverhalten zugeordnet werden können.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die das Beschwerdegericht unterstützt, ist das Ordnungsverhalten im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betroffen, wenn eine Maßnahme des Arbeitgebers darauf abzielt, das kollektive Miteinander zu gestalten oder die vorgegebene Ordnung im Betrieb zu gewährleisten und aufrechtzuerhalten. Das Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bezieht sich auf das betriebliche Zusammenleben und die kollektive Zusammenarbeit der Arbeitnehmer. Es beruht darauf, dass die Arbeitnehmer ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber festgelegten Arbeitsorganisation erbringen und daher dessen Weisungsrecht unterliegen. Dies berechtigt den Arbeitgeber, Regelungen aufzustellen, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussen und koordinieren. Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei diesen Maßnahmen soll sicherstellen, dass die Arbeitnehmer gleichberechtigt an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens beteiligt werden. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG schränkt daher die Regelungsmacht des Arbeitgebers in Bezug auf die betriebliche Ordnung ein. Im Gegensatz dazu sind Maßnahmen, die das sogenannte Arbeitsverhalten regeln sollen, nicht mitbestimmungspflichtig (vgl. BAG 17.10.2023 – 1 ABR 24/22 – NZA 2024, 201 Rn. 17 mwN.).

Zum Arbeitsverhalten zählen Maßnahmen, die darauf abzielen, die Arbeitspflicht unmittelbar einzufordern oder zu konkretisieren (vgl. BAG 17.10.2023 – 1 ABR 24/22 – NZA 2024, 201 Rn. 17 aE.). Auch Anweisungen, die zwar nicht direkt die auszuführenden Tätigkeiten präzisieren, jedoch dennoch deren Durchführung sicherstellen sollen, fallen in den Bereich des mitbestimmungsfreien Arbeitsverhaltens (vgl. BAG 17.10.2023 – 1 ABR 24/22 – NZA 2024, 201 Rn. 20).

Wenn eine Maßnahme des Arbeitgebers sowohl das Arbeitsverhalten als auch das Ordnungsverhalten beeinflusst, ist der hauptsächlich verfolgt Regelungszweck entscheidend für die Einordnung. Dieser ergibt sich aus dem objektiven Inhalt der Maßnahme und der Art des damit zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens. Dabei ist eine qualitative Gewichtung unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers spielen dabei keine Rolle (vgl. BAG 17.10.2023 – 1 ABR 24/22 – NZA 2024, 201 Rn. 18).

Wenn eine Weisung oder ein Verbot nach ihrem objektiven Inhalt in erster Linie auf die Regulierung des Arbeitsverhaltens abzielt, spielt es keine Rolle, dass sie sich ebenfalls auf das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer auswirken kann. Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme, die beide Bereiche betrifft, der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegt, ist vielmehr der überwiegende Regelungszweck entscheidend (vgl. BAG 17.10.2023 – 1 ABR 24/22 – NZA 2024, 201 Rn. 20 und 22).

Für die beiden genannten Teilbereiche des Konzepts „…spaces“ ist nicht sofort erkennbar, dass sie in ihrem objektiven Inhalt überwiegend auf das Ordnungsverhalten abzielen.

Mit dem neuen Konzept „…spaces“ sind unter anderem Regelungen verbunden, die festlegen, welche privaten Gegenstände mitgebracht werden dürfen und wie diese vor sowie nach der Arbeitszeit, sofern sie nicht mit nach Hause genommen werden, im Betrieb aufzubewahren sind. Das Verbot, diese Gegenstände auf dem Schreibtisch, auf Betriebsmöbeln oder auf dem Fußboden des Arbeitsbereichs liegen zu lassen, betrifft zwar das Arbeitsverhalten, da es eine Anweisung zur Ordnung des Arbeitsplatzes darstellt. Diese Vorgabe kann im Rahmen des Direktionsrechts als eine tägliche Anweisung interpretiert werden, die den Arbeitstag beschließt, wodurch das Arbeitsverhalten beeinträchtigt wird. Darüber hinaus trägt die Maßnahme auch dazu bei, die Reinigung der im Eigentum des Arbeitgebers befindlichen Büroeinrichtungen sicherzustellen sowie den Schutz vertraulicher Gegenstände und Informationen zu gewährleisten (vgl. Gehrke in: Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, § 2 Desk-Sharing, Open Space und Co-Working 1. Aufl. 2022 Rn. 2.21; LAG Nürnberg 14.12.2016 – 4 TaBV 38/16 – ZTR 2018, 426 oder juris Rn. 49; Schönhöft/Einfeldt NZA 2022, 92, 93 [dort Spalte 1 Abs. 2 mwN. laut den Fußnoten 8, 9 und 10]).