Landesarbeitsgericht Niedersachsen (15. Kammer), Urteil vom 30.09.2024, Aktenzeichen 15 s 787/23
Amtlicher Leitsatz:
Ehrverletzende Äußerungen über den Arbeitgeber oder Kollegen in einem privaten W… App Chat können geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, wenn die Voraussetzungen für eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Äußernden nicht vorliegen.
Tatbestand:
Seit 2014 gehörte der Kläger einer Chatgruppe an, die ursprünglich aus ihm sowie den Mitarbeitern der Beklagten, Dr. B., G., H. und F. bestand. Der Mitarbeiter G. schied jedoch zwischenzeitlich aus der Gruppe aus. Vom 19. November 2020 bis zum 17. Januar 2021 war er erneut Teil der Gruppe, obwohl er während dieses Zeitraums nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten stand. Die Mitglieder der Gruppe verbindet eine langjährige Freundschaft, und die Mitglieder G. sind Brüder. Unter dem Gruppennamen „HLTeam“ tauschten die Mitglieder über den Messengerdienst WhatsApp Nachrichten auf ihren privaten Smartphones aus.
Im Zuge von Gesprächen über einen Arbeitsplatzkonflikt mit dem Mitarbeiter der Beklagten, S., zeigte das Gruppenmitglied G. ihm den Verlauf des WhatsApp-Chats auf seinem Smartphone. Der Mitarbeiter S. kopierte daraufhin den Chatverlauf auf sein eigenes Gerät. Am 7. Juli 2021 informierte der Vorsitzende des bei der Beklagten gegründeten Betriebsrats, G., den Personalleiter L. während dessen Urlaubsabwesenheit über die Existenz der WhatsApp-Gruppe „HLTeam“ und berichtete über den Inhalt des Chats. Im Anschluss an dieses Gespräch übersandte er ein 316-seitiges Word-Dokument, das den Chatverlauf vom 19. November 2020 bis zum 17. Januar 2021 dokumentierte. In diesem Chatverlauf fanden sich unter anderem folgende Äußerungen des Klägers:
„Drecks L. stellt es so hin als würden wir hier alle nur rausfliegen weil die Piloten geblockt haben
Was kann denn das Gebäude dafür? Sollen diese Leute besser den F. aufsuchen und zusammenschlagen …
Ich komme her … reiß mir aber kein Arm aus … aber bin da …werde ja schließlich noch bezahlt. Rest interessiert mich nicht
Und der ganze Rest von dieser drecksfirma
Drecksladen
Der soll bloß abhauen der Knecht
F. geht unter … aber ist mit egal alles
Ich hasse ihn und den ganzen Laden
Lächerlicher Laden
G. war mal gut zum blasen … das war‘ s
M. dicke Titten .. das wars
Covidioten sollten vergast werden (…)
KZ oder so
F. hasse ich am meisten
Ich will alle anderen aber auch ficken
Lasst uns das letzte Jahr noch mal richtig ficken … haben eh nix zu verlieren
S. und M. schicke ich in toolshop … mal gucken
F. darf fegen jeden Tag … auf Knie
Unsere Piloten müssten alle vergast werden
Bomben platzieren?
Nie wieder t. fliegen
Steckt ein was geht
C. habe ich direkt gesagt:
Wollen die mich verarschen? Wenn sie bläst überlege ich es mir nochmal
Diese Firma ist ein Behinderten und Pflegeheim zugleich
Ich sehne den tag herbei wo diese Bude anfängt zu brennen
Und wir wollte nach Steinhude und die Boote von G. versenken
Anbrennen
Wie damals im Reich
Anschlag auf BR wenn das alles so kommt
Vernichten müssen wir sie alle
Gewöhnt Euch dran. Mit Türken an der Spitze wird das nix mit dieser Stadt und diesen verein“
Das Landesarbeitsgericht entschied, dass ehrverletzende Äußerungen über den Arbeitgeber oder Kollegen in einem privaten WhatsApp-Chat eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können, wenn der Äußernende keine berechtigte Erwartung an Vertraulichkeit hat.
Die Berufung der Beklagten wurde für zulässig und begründet erachtet. Der Feststellungsantrag des Klägers war unbegründet, da das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2021 wirksam beendet wurde. Diese Kündigung war weder nach § 102 Abs. 1 BetrVG noch nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB konnte festgestellt werden, da die Äußerungen des Klägers im Gruppenchats einen solchen Grund darstellten. Die Pflichtverletzung des Klägers ist so gravierend, dass eine Hinnahme durch die Beklagte für den Kläger offensichtlich ausgeschlossen war. Der Kläger hat sich in einer sexistischer, gewaltverherrlichender und menschenverachtender Weise sowie in beleidigender Form über die Beklagte geäußert.
Die Äußerungen unterlagen keinem Verwertungsverbot. Sie waren geeignet, einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung darzustellen und waren nicht durch die Meinungsfreiheit des Klägers geschützt. Eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers bestand nicht, da er nicht darlegen konnte, weshalb er eine solche Erwartung hatte. Auch nach einer umfassenden Interessenabwägung rechtfertigten die Äußerungen die außerordentliche Kündigung. Eine vorherige Abmahnung war nicht erforderlich, da die Pflichtverletzung des Klägers so gravierend war, dass eine Hinnahme durch die Beklagte für ihn erkennbar ausgeschlossen war. Darüber hinaus war auch der Zahlungsantrag des Klägers unbegründet, da das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet wurde und ihm daher keine Ansprüche auf Entgeltfortzahlung zustanden.