BLOG RECHTSPRECHUNG

Betriebsbedingte Kündigung – Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung infolge des Wegfalls eines Großauftrags

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Kammer), Urteil vom 15.01.2025, Aktenzeichen 3 Slalom 156/24

Leitsatz:

Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG besteht, wenn eine unternehmerische Entscheidung auf der Grundlage außerbetrieblicher Umstände zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfes im Betrieb führen.

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil auf ihre Kosten zurückgewiesen und auch die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand: 

In der Berufungsinstanz streiten die Parteien weiterhin über die Rechtswirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die der Klägerin am 15.04.2024 fristgerecht zugegangen ist und zum 31.05.2024 wirksam werden soll. 

Die Klägerin war seit dem 15.01.2021 in einem Vollzeitarbeitsverhältnis (40 Stunden pro Woche) als Disponentin bei dem Beklagten beschäftigt und erhielt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von 2.400 €. Der Beklagte betreibt ein Unternehmen für Taxi- und Mietwagenfahrten und beschäftigte zum Zeitpunkt der Kündigung insgesamt 23 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einschließlich der Klägerin.

Von 16.03.2023 bis 15.03.2024 befand sich die Klägerin in Elternzeit.

Bis zum 31.10.2023 führte der Beklagte aufgrund eines Vertrages vom 14.05.2018 mit der Verkehrsgesellschaft L.-P. mbH (VLP) nahezu den gesamten Rufbusverkehr im Landkreis Ludwigslust-Parchim als Exklusivdienstleistung durch. Während für die festgelegten Fahrten keine Disposition erforderlich war, benötigten die verbleibenden Taxi-, Kranken- und Rufbusfahrten aufgrund kurzfristiger Aufträge eine zeitnahe Disposition. Teil der Verpflichtung des Beklagten im Rahmen des Auftrags zur Abwicklung des Rufbusverkehrs war es, rund um die Uhr für die Annahme von Rufbusaufträgen erreichbar zu sein. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, stellte der Beklagte die Klägerin für die Disposition von Rufbusaufträgen ein, die zwischen 20 Uhr und 6 Uhr eingingen. Neben der Klägerin waren vier weitere Disponentinnen beim Beklagten beschäftigt, darunter Frau P., die während der Elternzeit der Klägerin deren Aufgaben übernahm. Frau P. befand sich ab dem 01.11.2023 in einem Beschäftigungsverbot und brachte am 05.05.2024 ihr Kind zur Welt.

Der ursprünglich bis zum 31.10.2026 befristete Vertrag mit der VLP endete aufgrund einer außerordentlichen Kündigung seitens der VLP am 11.09.2023 vorzeitig zum 31.10.2023, was zu einem erheblichen Rückgang der Umsätze und disponierbaren Fahrten führte. Kurz- und mittelfristig war keine Verbesserung der Auftragslage in Sicht. Bis zum 31.10.2023 erzielte der Beklagte mit den Rufbusfahrten einen Jahresumsatz von etwa 3 Millionen Euro; mit Taxi- und Krankenfahrten sowie Fahrten für die Post belief sich der Umsatz auf ca. 600.000 Euro jährlich. Vor dem Stichtag mussten monatlich durchschnittlich etwa 6.000 Rufbusfahrten sowie 750 Taxi- und Krankenfahrten disponiert werden; ab dem 01.11.2023 fielen täglich nur noch etwa 20 bis 30 Fahrten an.

Infolgedessen entschloss sich der Beklagte im November 2023, den drei anderen Disponentinnen – also allen außer Frau P. und der Klägerin – jeweils ein Angebot zur Fortführung ihres Arbeitsverhältnisses als Fahrerin zu unterbreiten, was diese ab Dezember 2023 auch annahmen; die Klägerin selbst besitzt jedoch keine Fahrerlaubnis.

Darüber hinaus entschied der Beklagte, infolge des Wegfalls des Großauftrags die verbleibenden Disponententätigkeiten (durchschnittlich 20 bis 30 pro Tag) von der Büromitarbeiterin R. durchführen zu lassen oder diese selbst zu übernehmen, falls R. verhindert sein sollte. Zu den Aufgaben der Mitarbeiterin R. gehören unter anderem das Ausstellen von Transportscheinen, die Erstellung von Rechnungen, die Anfertigung von Schichtplänen, die Buchhaltung sowie die Einteilung der Fahrerinnen und Fahrer. Diese Tätigkeiten betrafen bis zum 31.10.2023 im Durchschnitt 67 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; ab dem 01.11.2023 waren es noch 23. 

Zusätzlich hat der Beklagte aufgrund des Wegfalls des Großauftrags seine Arbeitsorganisation so angepasst, dass im Falle der Abwesenheit von Büromitarbeiterin R. anstehende Fahrten selbst durchgeführt werden, ohne dass eine vorherige Disposition erfolgt. Alternativ wird der Bestellanruf mittels Rufumleitung direkt an den jeweiligen Fahrer oder die Fahrerin weitergeleitet, die dann den Auftrag ohne vorherige Disposition ausführt, sofern freie Kapazitäten vorhanden sind. Andernfalls wird eine angeforderte Fahrt nicht angenommen.

Der Beklagte hat zudem seinen Vortrag aus der ersten Instanz dahingehend präzisiert, dass seit November 2023 eine Disposition von Fahrten nur bis 18 Uhr erfolgt. Nach diesem Zeitpunkt ist unstreitig ein Bereitschaftsdienst eingerichtet, der von einem Fahrer übernommen wird, der eingehende Anrufe annimmt und die Fahrten dann ohne Disposition direkt selbst ausführt, sofern freie Kapazitäten vorhanden sind.

Am 15.04.2024 übergab der Beklagte der Klägerin persönlich die betriebsbedingte Kündigung.

Gegenüber Mitarbeiterin P. sprach der Beklagte keine Kündigung aus und verwies dabei auf den bestehenden Sonderkündigungsschutz.

In seinem Urteil vom 15.07.2024 wies das Arbeitsgericht die Klage der Klägerin gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ab.

Gegen diese Entscheidung, die der Klägerin am 12.08.2024 zugestellt wurde, richtet sich ihre Berufung.

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die Kündigung des Beklagten verstößt nicht gegen § 1 KSchG. Angesichts des Sach- und Streitstands liegen dringende betriebliche Erfordernisse vor, die dazu führen, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin mit Ablauf der Kündigungsfrist weggefallen ist. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin auf einem anderen freien Arbeitsplatz beim Beklagten ist nicht gegeben. Zudem scheitert die Kündigung nicht an einer fehlerhaften Sozialauswahl.

Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen.

Dringende betriebliche Erfordernisse sind gegeben, wenn eine unternehmerische Entscheidung die Grundlage für eine Beschäftigungsmöglichkeit entzieht. Beschränkt sich der Arbeitgeber darauf, äußeren Sachzwängen zu folgen, muss er im Prozess darlegen, dass der behauptete außerbetriebliche Grund tatsächlich in dem von ihm angegebenen Umfang vorliegt und sich direkt oder indirekt auf den Arbeitsplatz der gekündigten Arbeitnehmerin auswirkt (BAG v. 23.02.2012 – 2 AZR 548/10). Bei betriebsbedingten Kündigungen müssen die Tatsachen, die sie rechtfertigen sollen, zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung gegeben sein. Im Falle einer gebundenen Unternehmerentscheidung reicht es aus, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose rechtfertigt, dass bis zum Ende der Kündigungsfrist das erwartete Ereignis eintritt und die Arbeitnehmerin nicht mehr benötigt wird (BAG v. 23.02.2012, a.a.O., juris Rn 17; LAG M-V v. 14.07.2022 – 5 Sa 293/21). Gemessen an diesen Grundsätzen ist die streitgegenständliche Kündigung des Beklagten durch dringende betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt. Die unternehmerische Entscheidung des Beklagten aufgrund des Wegfalls des Großauftrags hat zum Verlust des Arbeitsplatzes der Klägerin geführt.

Angesichts des unbestrittenen Sachvortrags ist die Entscheidung des Beklagten, ab dem 01.11.2023 keine Disponentinnen mehr zu beschäftigen, nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich. Der Wegfall des Großauftrags hat die Anzahl der monatlich zu disponierenden Fahrten von durchschnittlich 6.750 auf nur noch etwa 750 reduziert, was einem täglichen Durchschnitt von lediglich etwa 25 Fahrten entspricht. Nach den zutreffenden Feststellungen in der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt sich daraus eine Reduzierung der Disponententätigkeiten auf durchschnittlich nur noch 0,42 Stellenanteile (AKA). Wenn ein Arbeitgeber bei einem solch drastischen Rückgang an Arbeitsaufkommen beschließt, einen bestimmten Arbeitsbereich (hier die Disposition) nicht mehr vorzuhalten und stattdessen verbleibende Tätigkeiten durch organisatorische Maßnahmen abzudecken, ist dies nach Ansicht der Kammer nachvollziehbar.

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Beklagte auch plausibel dargelegt, wie er seine organisatorischen Maßnahmen umsetzen kann. Das Arbeitsgericht hat dies korrekt erkannt und ausgeführt:

„Der Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass die verbleibenden Fahrten so auf die übrigen Mitarbeiter verteilt werden können, dass diese ohne überobligatorische Mehrarbeit erledigt werden können. Dass Frau R., die Bürokraft, zeitlich in der Lage ist, ihre Büroaufgaben neben den zu disponierenden Fahrten zu bewältigen, ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass ihr administrativer Aufwand nach dem Wegfall der Rufbusaufträge deutlich gesunken ist. Zwar hat die Klägerseite zu Recht eingewandt, dass eine einzelne Person nicht rund um die Uhr disponieren kann; jedoch hat der Beklagte durch seine Berechnung auf Basis einer sieben Tage Woche gezeigt, dass weiterhin an jedem Tag disponiert wird. Im Falle von Frau R.s Abwesenheit wird das Telefon auf die Fahrer oder den Beklagten selbst umgeleitet; dies führt zwar zu einer erhöhten Belastung für die Fahrerinnen und Fahrer, jedoch liegt dies angesichts der geringen Anzahl an Fahrten im Bereich des Möglichen.“

Diese Argumentation unterstützt die Kammer trotz der Einwände seitens der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich nach den unbestrittenen Ergänzungen des Sachvortrags durch den Beklagten in der Berufungsinstanz der Arbeitsaufwand für Frau R., hinsichtlich ihrer Schichtpläne und Arbeitseinteilungen ab November 2023 von ursprünglich 67 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf nur noch 23 reduziert hat.

Soweit die Klägerin argumentiert, dass das Internetangebot des Beklagten einen Rundumdienst rund um die Uhr anbietet, steht dies den Ausführungen des Beklagten nicht entgegen; denn auch mit einem Bereitschaftsdienst ab 18 Uhr bleibt dieser werbende Internetauftritt nachvollziehbar.Die Behauptung der Klägerin, dass eine Änderungskündigung Vorrang vor einer ordentlichen Kündigung habe und somit rechtsunwirksam sei, kann das Gericht nicht unterstützen. Der Beklagte hat sich gerade nicht darauf beschränkt festzustellen, dass aufgrund des Wegfalls des Großauftrags eine anteilige Reduzierung bei den Disponentinnen vorgenommen werden sollte; vielmehr hat er entschieden keine Disponentinnen mehr zu beschäftigen.

Auf Grundlage des Vortrags beider Parteien sind keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin bei dem Beklagten ersichtlich.

Schließlich ist die streitgegenständliche Kündigung auch nicht gemäß § 1 Abs.3 KSchG unwirksam; es lässt sich keine fehlerhafte Sozialauswahl feststellen.

In Bezug auf Frau P., welche von der Klägerin als weniger schutzwürdig bezeichnet wurde, verweist die Kammer auf das zutreffende Urteil des Arbeitsgerichts; zudem trat die Klägerin in der Berufungsinstanz den Argumenten dortiger Ausführungen weder faktisch noch rechtlich entgegen.

Soweit die Klägerin Frau R. als weniger sozial schutzwürdig anspricht, kann dem nicht gefolgt werden.

Das Arbeitsgericht stellte rechtsfehlerfrei fest, dass aufgrund ihrer Tätigkeitsbeschreibung keine Vergleichbarkeit mit den arbeitsvertraglichen Pflichten der Klägerin besteht.

Unabhängig davon ergibt sich auch unter Berücksichtigung sozialer Daten bezüglich Frau R., dass ihre soziale Schutzbedürftigkeit nicht geringer ist als jene von Frau P.; beide sind ledig; während jedoch die Klägerin drei Kinder unterhalten muss und Frau R. nur eines betreuen muss; zudem ist Frau R. älter und länger im Unternehmen beschäftigt als die Klägerin.

Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden.