Zugriff auf dienstliches E-Mail-Postfach darf nicht verweigert werden
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.02.2011, 4 Sa 2132/10
Eine Verkaufsberaterin in der Automobilindustrie wollte den dienstlichen Zugriff auf ihr E-Mail-Postfach durch die dienstlich vorgesetzte Person verweigern. In geringem Umfang waren im Betrieb private E-Mails erlaubt.
Die annähernd zwei Monate arbeitsunfähig krankgeschriebene Verkaufsberaterin wurde mehrfach aufgefordert, das passwortgeschützte E-Mail-Postfach freizugeben, um E-Mails von Kunden bearbeiten zu können. Unter Beteiligung des Datenschutzbeauftragten und eines Betriebsratsmitgliedes wurde das E-Mail-Postfach geöffnet, geschäftliche E-Mails bearbeitet. Dagegen klagte die Verkaufsberaterin.
Die Verkaufsberaterin argumentierte, jede Öffnung des E-Mail-Postfaches ermögliche den Zugriff auf private E-Mails. Sie forderte, an sie gerichtete E-Mails nicht ohne ihre vorherige Einwilligung zur Kenntnis zu nehmen, zu öffnen, zu lesen, zu kopieren, zu speichern, auszudrucken und/oder weiterzuleiten.
Zum Beginn ihrer Krankheitszeit richtete die Verkaufsberaterin im E-Mail-Programm einen kurzeitig gültigen Abwesenheitsassistenten ein. Die einst eingerichtete Stellvertreterfunktion wurde hingegen nicht aktiviert. Der Stellvertreter hatte keinen Zugriff auf das passwortgeschützte E-Mail-Postfach. Es war im normalen Betriebsablauf nicht möglich zu kontrollieren, welche Kundenpost dringend beantwortet werden muss. Mehrere Versuche, die Verkaufsberaterin während ihrer krankheitsbedingten Abwesenheit telefonisch und per E-Mail zu erreichen, blieben erfolglos.
Nach knapp zweimonatiger krankheitsbedingter Abwesenheit ließ die Personalabteilung das E-Mail-Postfach, das der E-Mail-Adresse der Verkaufsberaterin zugeordnet war, von der IT-Abteilung öffnen. Zur Weiterbearbeitung wurden dienstliche E-Mails geöffnet und ausgedruckt. Für den Zugriff auf das E-Mail-Postfach war der Datenschutzbeauftragte, ein Mitglied des Betriebsrates sowie auf Wunsch der Verkaufsberaterin die Sozialbetreuerin des Werkes anwesend. Die Sozialbetreuerin sollte Datenschutz und Persönlichkeitsrecht wahren und darauf achten, dass das E-Mail-Fach wieder geschlossen wird.
Das LAG Berlin stellt klar:
Der Arbeitgeber, der lediglich seinen Arbeitnehmern auch die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts gestattet, ist nach herrschender Auffassung, der sich auch das Arbeitsgericht anschloss, kein Dienstanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes. Die Arbeitgeberin erbringt weder geschäftsmäßig Telekommunikationsleistungen noch wirkt sie an diesen mit. Das Berufungsgericht folgt damit den Ausführungen des Arbeitsgerichtes.
Gestattet ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern, den Arbeitsplatzrechner auch zum privaten E-Mail-Verkehr zu nutzen, unterliegt der Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter auf diese Datenbestände nicht den rechtlichen Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses.
Das während der Öffnung des E-Mail-Postfaches anwesende Betriebsratsmitglied legte in einem Gedächtnisprotokoll dar, dass private E-Mails weder geöffnet noch ausgedruckt wurden. Nur geschäftliche E-Mails, die anhand von Kopf und Betreffzeile identifiziert werden konnten, wurden weiter verarbeitet.
Generell gilt, dienstliche E-Mails sind nicht der Person der Arbeitnehmerin, sondern allein der Arbeitgeberin zuzuordnen.
Die Verkaufsberaterin erhielt die E-Mails in ihrer Funktion als Arbeitnehmerin des Automobilunternehmens. Die E-Mails waren somit an die Arbeitgeberin, nicht an die Klägerin als Privatperson gerichtet. Es handelte sich damit um Daten, die für die Arbeitgeberin bestimmt waren (§ 202 a StGB).
Zum Persönlichkeitsrecht argumentiert das LAG:
Es erscheint der Kammer bereits nicht unzweifelhaft, ob die Beklagte in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Persönlichkeitsrechts eingegriffen hat.
Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete, allgemeine Persönlichkeitsrecht ist allerdings auch im Privatrechtsverkehr und insbesondere im Arbeitsverhältnis zu beachten (BAG 27. März 2003 – 2 AZR 51/02 – BAGE 105, 356). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis nicht nur vor einer technischen Überwachung am Arbeitsplatz, sondern auch vor anderen Eingriffen (BAG 13. Dezember 2007 – 2 AZR 537/06 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 20 = AP Nr. 210 zu § 626 BGB).
Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis wird nicht schrankenlos gewährleistet. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können durch Wahrnehmung überwiegend schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Interessen des Arbeitgebers ist somit durch eine Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Vorrang verdient.
Das Interesse der Arbeitgeberin an der Aufrechterhaltung des ungestörten Arbeitsablaufes überwiegt das durch Art. 14 GG geschützte Interesse der Verkaufsberaterin, dass kein Zugriff auf ihren E-Mail-Account erfolgt.
Das LAG argumentiert weiter:
Zur Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs war der Zugriff auf den dienstlichen E-Mail-Account der Klägerin auch erforderlich und verhältnismäßig.