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Insolvenzgeld wegen Annahmeverzug

Anspruch auf volles Insolvenzgeld wegen Annahmeverzug

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 23.05.2012, L 18 AL 385/10

Ein Veranstaltungsunternehmen beschäftigte für die Aufführung eines Musicals befristet einen Schauspieler. Die Generalprobe wurde abgebrochen, es musste ein anderer Veranstaltungsort gefunden werden. Im Laufe der Zeit zeigte sich, der Veranstalter war nicht in der Lage einen neuen Aufführungsort zu bestimmen. Damit kam das Veranstaltungsunternehmen in Verzug, weil es die vereinbarte Arbeitsleistung nicht in Anspruch nahm. Durch den entstandenen Annahmeverzug, der von einer Insolvenz begleitet war, mussten dem Schauspieler vereinbarte Auftritte vergütet werden, obwohl die Veranstaltungen nicht stattfanden.

Ein Schauspieler und Musical-Darsteller schloss über seine Künstleragentur einen Arbeitsvertrag für eine Musicalproduktion vom 01.05.2009 bis 31.07.2007 mit einem Veranstaltungsunternehmen. Im Vertrag wurden dem Schauspieler 14 Vorstellungen garantiert. Zu den Vorstellungen kam es nicht, weil bereits die Generalprobe am 07. Juni 2007 abgebrochen werden musste. Die Musiker verweigerten unter Hinweis auf ausstehende Zahlungen ihre Mitarbeit. Der Betreiber der Aufführungsstätte untersagte dem Veranstaltungsunternehmen darauf hin die weitere Nutzung des Veranstaltungsortes. 

Einen Monat später, am 07. Juli 2007, kündigte der Veranstalter den Arbeitsvertrag mit sofortiger Wirkung. Die Kündigung enthielt den Hinweis auf die sofortige Einstellung des Betriebes und die Insolvenz. Im Rahmen der vom Schauspieler erhobenen Kündigungsschutzklage einigten sich beide Parteien auf ein Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31.07.2007.

Der Veranstalter stellte am 10. Juni einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht. Im Oktober des gleichen Jahres wurde der Insolvenzantrag mangels Masse vom Arbeitsgericht zurückgewiesen.

Dem Schauspieler wurden vom Veranstalter Entgelte für den Zeitraum vom 01. Mai bis 18. Juli bewilligt. Für den Zeitraum vom 19. Juli bis 31.Juli wollte der Veranstalter kein Insolvenzgeld gewähren. Die Begründung: Das Arbeitsverhältnis habe mit dem Zugang der Kündigung zum 18. Juli geendet.

Im Klageverfahren wurde, mit Bescheid der Veranstalterin vom Dezember 2008, der Insolvenzgeldzeitraum bis zum 31.07.2007 ausgedehnt. Der Schauspieler verlangte jedoch, dass 100% der Gagen dem Insolvenzgeld (Insg) zugrunde gelegt werden, nicht wie im Bescheid mitgeteilt, lediglich 50%. Die 50% waren vertraglich für ausgefallene Veranstaltungen geregelt.

Das Landesarbeitsgericht sah in diesem Fall bereits die Voraussetzungen für die Durchführung der Veranstaltungen nicht gegeben. Es gab weder Termine noch einen Veranstaltungsort, an dem der Schauspieler seine Leistungen hätte erbringen können.

Dem Schauspieler steht aus § 615 Satz 1 BGB ein Anspruch auf volle Vergütung von 14 im Insolvenzzeitraum vorgesehenen Vorstellungen zu. Begründet wird der Anspruch mit dem Annahmeverzug des Veranstalters.

Annahmeverzug nach § 615 Satz 1 BGB bedeutet:

 

  1. Es muss ein erfüllbares Arbeitsverhältnis bestehen.
  2. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit und den Willen haben, die Arbeitsleistung zu erbringen.
  3. Der Arbeitgeber nimmt die Leistungen nicht an.

Es ist die Pflicht des Veranstaltungsunternehmens, dem Schauspieler die Leistungserbringung zu ermöglichen. Das Veranstaltungsunternehmen hat für jeden (potenziellen) Arbeitstag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Per E-Mail kündigte das Veranstaltungsunternehmen an, einen neuen Veranstaltungsort zu finden. Dem Schauspieler wurde aber nie ein neuer Ort mitgeteilt. Die fehlende Angabe eines konkreten Arbeitsortes, sowie fehlende zeitliche Angaben für geplante Veranstaltungen genügten, dass der Veranstalter sich selbst in Annahmeverzug setzte. Der Schauspieler bekam keine Gelegenheit, seine vertraglich geregelten Aufgaben zu erbringen. 

Ansprüche aus Annahmeverzug des Arbeitgebers nach § 615 BGB sind insolvenzgeldgeschützte Arbeitsentgeltansprüche (vgl. Krodel, in Niesel, SGB III, 4. Aufl. § 183 Rn. 66). Nach dieser Vorschrift kann der Verpflichtete für die infolge eines Annahmeverzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.

Das Landesarbeitsgericht urteilt:

Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung zu ermöglichen. Dazu muss er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf.

Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger sich nach § 315 Satz 2 BGB den Wert desjenigen anrechnen lassen müsste, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Dementsprechend hat der Kläger aus § 615 BGB Anspruch auf Berechnung des Insg auf der Grundlage des vollen Arbeitsentgeltes von insgesamt 14 garantierten Vorstellungen.