Tariflicher Mehrurlaub verfällt nach sehr langer Krankheit
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2012, 9 AZR 618/10
Ein Beschäftigter einer technischen Universität wurde arbeitsunfähig. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nach einer Klage des Mitarbeiters erfolgte die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs und des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen. Die Forderung zur Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs wurde damit nicht bedient. Die teilweise Fortführung der Klage verfolgte die Auszahlung des wegen Krankheit nicht beanspruchten tariflichen Mehrurlaubs.
Der Beschäftigte erkrankte im Oktober 2007. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bestand bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2009 fort.
Das Arbeitsgericht München wies die Klage auf Erstattung für nicht in Anspruch genommenen Mehrurlaub des Beschäftigten ab. Das Landesarbeitsgericht München hingegen bestätigte die Gültigkeit von 10 Tagen Mehrurlaub für die Jahre 2007 und 2008, sowie anteilig drei Tage für das bis Ende März 2009 bestehende Arbeitsverhältnis.
Das Bundesarbeitsgericht beschied der zugelassenen Revision teilweisen Erfolg.
Der Mehrurlaub für das Jahr 2007 wurde nicht anerkannt. Für die Jahre 2008 und 2009 sind hingegen Ausgleichszahlungen für nicht beanspruchten tariflichen Mehrurlaub zu leisten.
Der tarifliche Mehrurlaub für die Mitarbeiter der Technischen Universität basiert auf dem Tarifvertrag Länder (TV-L), geltend für Beschäftigte im öffentlichen Dienst der deutschen Bundesländer. Nach TV-L kann, abweichend vom Bundesurlaubsgesetz, Urlaub aus dem Vorjahr bis zum 31.Mai angetreten werden, falls dies aus betrieblichen oder gesundheitlichen Gründen bis zum 31. März nicht möglich war.
Der tarifliche Mehrurlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 2007 ist gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L am 31. Mai 2008 verfallen und war damit bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2009 nicht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
Das BAG führt aus:
Nach § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 TV-L muss der Erholungsurlaub im Falle der Übertragung in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L bis zum 31. Mai anzutreten. Da der Kläger wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit den tariflichen Mehrurlaub aus dem Kalenderjahr 2007 weder in diesem Jahr noch bis zum Ablauf des zweiten Übertragungszeitraums am 31. Mai 2008 antreten konnte, ist dieser Urlaub verfallen.
Die vom Europäischen Gerichtshof bestätigte Regelung, dass Krankheit während des Urlaubs nicht den Urlaubsanspruch kürzt, bezieht sich auf den zu gewährenden Mindesturlaub von 4 Wochen. Regelungen für zusätzlichen Urlaub können in einzelnen europäischen Ländern und zwischen den Tarifparteien frei gestaltet werden.
Im TV-L wurden in § 26 Abs. 2 TV-L hinsichtlich der Befristung und Übertragung und damit mittelbar auch zugleich bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende, eigenständige Regelungen getroffen. Die Tarifvertragsparteien des TV-L haben sich von der gesetzlichen Fristenregelung gelöst, indem sie die Befristung und Übertragung und damit auch den Verfall des Urlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz eigenständig geregelt haben.
Die Tarifvertragsparteien haben anders als der Gesetzgeber im Bundesurlaubsgesetz einen zweiten Übertragungszeitraum bis zum 31. Mai des Folgejahres festgelegt und auf diese Weise ein eigenständiges, vom Bundesurlaubsgesetz abweichendes Fristenregime geschaffen. Dabei ist es unerheblich, dass § 26 TV-L – anders als § 47 Abs. 7 BAT – bei Fristablauf nicht ausdrücklich den Verfall des Urlaubsanspruchs vorsieht.
Das BAG entschied, der tarifliche Mehrurlaub des Mitarbeiters für die Jahre 2008 und 2009, insgesamt 13 Urlaubstage, ist abzugelten.
Das BAG erläutert:
Gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L ist der Urlaub bis zum 31. Mai des folgenden Kalenderjahres anzutreten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden konnte. Der tarifliche Mehrurlaub von zehn Arbeitstagen für das Jahr 2008 war damit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2009 aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Klägers noch nicht verfallen. Dies gilt auch für den anteiligen tariflichen Mehrurlaub von drei Tagen für die Monate Januar bis März 2009. Für diesen Anspruch ist es unerheblich ob und wann der Mitarbeiter seine Arbeitsfähigkeit wieder erlangt hat.
§ 26 Abs. 2 Einleitungssatz TV-L ordnet ausdrücklich die Geltung des Bundesurlaubsgesetzes an, soweit der Tarifvertrag nicht andere Regelungen enthält. Die Urlaubsabgeltung ist im TV-L nicht geregelt. Damit richtet sich nicht nur die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, sondern auch die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs nach § 7 Abs. 4 BUrlG. Nach dieser Vorschrift hat auch der arbeitsunfähige Arbeitnehmer einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung (vgl. BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 21, BAGE 134, 196).
Das BAG stellt den Tarifparteien jedoch generell frei, ausschließende Regelungen für die Inanspruchnahme von Mehrurlaub für erkrankte Mitarbeiter zu vereinbaren. Sie können regeln, dass der den Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigende tarifliche Mehrurlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht oder nur dann abzugelten ist, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist.