Anspruch auf Nachteilsausgleich bei Betriebsstilllegung
Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 24.04.2012, 1 Ca 1520/11
Eine Einkäuferin war gleichzeitig stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Sie wurde aufgrund einer Betriebsänderung entlassen. Ein Interessenausgleich wurde nicht geschlossen und von der Arbeitgeberin nicht ausreichend versucht. Die Einigungsstelle wurde nicht angerufen. Daraus ergibt sich der Anspruch auf Nachteilsausgleich.
Nach dem Beschluss der Gesellschafter zur Betriebsstilllegung wurde der Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung informiert. Es fanden keine Beratungen über die Einzelheiten der Betriebsänderung statt. Ein Interessenausgleich erfolgte nicht.
Die Verzögerungen um die Verhandlungen zum Interessenausgleich gaben der Arbeitgeberin keine Handhabe, auf ein Einigungsstellenverfahren zu verzichten.
Das Arbeitsgericht führt aus:
Zwar kann die Betriebsänderung letztlich ohne Einigung der Betriebsparteien nach den Vorstellungen des Arbeitgebers durchgeführt werden. Dennoch ist das Einigungsstellenverfahren zum Schutz der Belange der betroffenen Arbeitnehmer sinnvoll und nicht etwa bloße Förmelei (BAG 20.11.2001 – 1 AZR 97/01 – juris Rn. 15).
Die Anrufung der Einigungsstelle darf auch nicht mit der Begründung unterlassen werden, der damit verbundene Zeitverlust würde zu weiteren Nachteilen für die Arbeitnehmer führen.
Infolge des unterlassenen Einigungsstellenverfahrens spricht das Arbeitsgericht der Einkäuferin einen Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG iVm. § 113 Abs. 1 BetrVG zu. Der Nachteilsausgleich hat Sanktionscharakter. Deshalb bleiben bei der Festsetzung des Zahlungsbetrages die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens unberücksichtigt.
Die Arbeitgeberin habe sich vorsätzlich über das Beteiligungsrecht des Betriebsrats hinweg gesetzt, erklärt das Arbeitsgericht. Die Durchführung der geplanten Betriebsänderung begann, ohne einen ausreichenden Interessenausgleich versucht zu haben.
Auf die Zahlungshöhe wirkt sich auch nicht der Umstand aus, dass die Einkäuferin bereits in ein neues Arbeitsverhältnis eingetreten ist. Mit einer Kündigung und einem verbundenen Arbeitsplatzwechsel ergeben sich zahlreiche Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer. Insbesondere besteht im neuen Arbeitsverhältnis zunächst kein Kündigungsschutz.
Das Arbeitsgericht setzte für den Nachteilsausgleich pro Beschäftigungsjahr ein halbes Bruttomonatsgehalt an zuzüglich anteiligen Urlaubsgeldes und dreizehntes Gehalt.
Gegen das Urteil wurde für beide Seiten die Berufung zugelassen.