Mitbestimmung des Betriebsrats bei Attest-Auflagen
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.06.2012, 3 TaBV 2149/11
Die Arbeitgeberin verlangte von einzelnen Arbeitnehmern in bestimmten Fällen die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Dieses Recht der Arbeitgeberin ist in einem Manteltarifvertrag verankert. Der Betriebsrat machte sein Mitbestimmungsrecht gelten. Da es sich um mehrere Fälle mit weitgehend gleichem Hintergrund handele, seien die Auflagen der Arbeitgeberin mitbestimmungspflichtig.
Die Arbeitgeberin verlangte von insgesamt 12 Mitarbeitern die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung zur Arbeitsbefreiung bereits vom ersten Tag an.
Der Paragraph 21 des betrieblichen Manteltarifvertrages regelt u. a.:
In begründeten Fällen ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung vom Arbeitnehmer bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an zu verlangen.
Die aufgeforderten Arbeitnehmer haben mindestens vier Mal innerhalb von 12 Monaten die betriebliche Regelung in Anspruch genommen, eine Krankheit zwar am ersten Tag anzuzeigen, aber erst für den vierten Tag ein ärztliches Attest vorlegen zu müssen. Wird spätestens am 4. Tag die Arbeit wieder aufgenommen entfällt die zwingende Vorlage eines ärztlichen Attests.
Der Betriebsrat wurde nicht an diesen Aufforderungen beteiligt. Die Arbeitgeberin argumentierte, es handele sich hier um Einzelfälle. Der Betriebsrat argumentierte, die Arbeitgeberin habe durch die Attest-Auflagen eine kollektive Regelung geschaffen. Die betroffenen Arbeitnehmer bilden eine vergleichbare Gruppe. Die Arbeitnehmer seien alle in einem vergleichbaren Zeitraum vier Mal arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitgeberin habe mit ihrem Verhalten zum Ausdruck gebracht, dass sie Attest-Auflagen immer dann erteilen möchte, wenn eine bestimmte Anzahl von Krankmeldungen erreicht wurde. Zusätzlich sei eine abstrakte Regelung erreicht worden, weil die zeitliche Lage der Krankmeldungen an bestimmten Wochentagen berücksichtigt wurde.
Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin auf, keine weitere Attest-Auflagen zu erteilen, da diese mitbestimmungspflichtig seien. Erteilte Attest-Auflagen sollten zurückgenommen werden.
Das LAG Berlin-Brandenburg urteilte:
Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Erteilung von Attest-Auflagen zu.
Einen kollektiven Tatbestand sieht das LAG Berlin-Brandenburg immer dann, wenn eine Regelung zu erstellen ist, die über den Einzelfall hinaus geht und das kollektive Interesse berührt.
Die erteilten Auflagen betrafen das Ordnungsverhalten von Arbeitnehmern im Betrieb. Innerhalb eines halben Jahres hat die Arbeitgeberin in 12 Fällen die Auflage erteilt, mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ein ärztliches Attest zu erbringen.
Das LAG führt weiter aus:
Die Arbeitgeberin brachte insoweit zum Ausdruck, dass sie ein mehrmaliges Krankmelden, welches sich auf Einzeltage oder Kurzzeiträume bezieht, zum Anlass für Attest-Auflagen nimmt, insbesondere wenn aus ihrer Sicht noch Besonderheiten, nämlich Fehlzeiten an bestimmten Wochentagen, hinzukommen. Damit hat sie für eine Gruppe von Arbeitnehmern, die aus solchen Arbeitnehmern besteht, die sich mindestens vier Mal für einzelne Tage oder für kurze Zeiträume krankgemeldet haben, eine bestimmte Verhaltensanordnung aufgestellt.
Es gilt als unerheblich, dass die Fehlzeiten der einzelnen Arbeitnehmer unterschiedlich waren und bei einigen Personen bestimmte Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Krankmeldung vorlagen. Mit den erteilten Auflagen berührt die Arbeitgeberin, wie sich Arbeitnehmer zu verhalten haben, wenn sie sich für Einzeltage oder Kurzzeiträume krankmelden.
Für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer hatte die Arbeitgeberin in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung eine kollektive Regelung in Aussicht gestellt. Damit hat sich die Arbeitgeberin dazu bekannt, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt und eine kollektive Lösung anzustreben ist.
Zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ist im Rahmen des Mitbestimmungsrechts zu regeln, ob und welchen Fällen ein ärztliches Attest vorzulegen ist, wenn die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr als drei Tage beträgt.