Leiharbeitnehmer zählen häufig als Belegschaft
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.10.2011, 1 AZR 335/10
Leiharbeitnehmer, die länger als 3 Monate im Betrieb beschäftigt sind, zählen nach § 111 Satz 1 BetrVG für die maßgebliche Ermittlung der Unternehmensgröße.
Einem Bodenlegerhelfer wurde gemeinsam mit 10 anderen Beschäftigten betriebsbedingt gekündigt. Der Betriebsrat wurde zuvor über die Kündigungen informiert. Einen Interessenausgleich lehnte die Arbeitgeberin ab.
Der Bodenlegerhelfer verlangte einen Nachteilsausgleich, da die Arbeitgeberin aufgrund der Betriebsgröße einen Interessenausgleich hätte vornehmen müssen.
Die Arbeitnehmerin argumentierte, es seien regelmäßig nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt worden. Leiharbeitnehmer müssten für die Ermittlung der Anzahl der Beschäftigten nicht berücksichtigt werden.
Das Arbeitsgericht sprach dem Bodenlegerhelfer eine Abfindung zu, die etwa einem Drittel eines Monatsgehaltes pro Abfindungsjahr entspricht. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufungsklage ab. Vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte der Bodenlegerhelfer sein Begehren auf Nachteilsausgleich weiter.
Die Arbeitnehmerin beschäftigte regelmäßig 20 Arbeitnehmer. Zum Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrates zur geplanten Kündigung war auch eine Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Die Leiharbeitnehmerin war zu diesem Zeitpunkt bereits länger als 6 Monate im Unternehmen beschäftigt. Ein Ende ihrer Tätigkeit war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Damit war die Leiharbeitnehmerin für die maßgebliche Ermittlung der Betriebsgröße nach § 111 Satz 1 BetrVG zu berücksichtigen. Das Unternehmen verfügte somit über mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer.
Das BAG betont:
Die betriebsbedingte Kündigung von elf Arbeitnehmern stellt eine Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG dar. Hierdurch wurden die Zahlen- und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG deutlich überschritten. Die Beklagte war deshalb auch verpflichtet, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu versuchen.
Leiharbeitnehmer, die länger als 3 Monate im Betrieb beschäftigt sind, sind für die Ermittlung des Schwellenwertes von 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern mitzuzählen. Dabei spielt es keine Rolle, dass Leiharbeitnehmer nicht im direkten Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin stehen. Leiharbeitnehmer unterliegen dem Weisungsrecht des entleihenden Betriebes und besetzen betriebliche Arbeitsplätze. Das Arbeitsentgelt für Leiharbeitnehmer fließt als Entgelt für die Arbeitnehmerüberlassung an den Verleiher-Betrieb. Der Arbeitgeberin entstehen durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern personenbedingte Personalkosten.
Ob Arbeitsplätze mit eigenem Personal oder mit fremdem Personal (Leiharbeitnehmer) besetzt werden, ist unerheblich. Es zählt allein die Anzahl der als Arbeitnehmer beschäftigten Personen.
Mit dieser Betrachtungsweise werden die Rechte des Betriebsrates und der betriebsangehörigen Arbeitnehmer bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberin ausreichend berücksichtigt.
Das BAG urteilt:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung als Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG. Die Beklagte hat mit der Entlassung von elf Arbeitnehmern eine Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG durchgeführt, ohne hierüber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich versucht zu haben.
Für die Höhe der Abfindung sind Lebensalter und Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, dessen Arbeitsmarktchancen sowie das Ausmaß des betriebsverfassungsrechtlichen Fehlverhaltens der Arbeitgeberin zu berücksichtigen. Zugunsten der Arbeitgeberin war zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt ihrer unternehmerischen Entscheidung ungeklärt war, ob Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Belegschaftsstärke nach § 111 Satz 1 BetrVG mitzuzählen sind.
Entgegen dem Urteil des Arbeitsgerichtes wurde für die Bemessung der Abfindung, unter Berücksichtigung aller Umstände, der Regelwert, ein halbes Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr, angesetzt.