Arbeitsverhältnis trotz Werkvertrag
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 01.08.2013, Aktenzeichen 2 Sa 6/13
Beschäftigte, die über einen Werkvertrag entsandt wurden, gelten als Mitarbeiter, wenn sie überwiegend direkte Arbeitsanweisungen des Unternehmens erhalten, in dem sie beschäftigt sind.
Zwei freie Mitarbeiter eines IT-Systemhauses waren über einen Zeitraum von rund 10 Jahren im Rahmen eines Werkvertrages bei der Daimler AG beschäftigt. Das IT-Systemhaus war ein Subunternehmen eines führenden IT-Dienstleisters, der die freien Mitarbeiter ausschließlich bei der Daimler AG im Rahmen eines Werkvertrages einsetzte. Sie waren im Rahmen des IT-Supports für die Funktionsfähigkeit von Computerarbeitsplätzen verantwortlich.
Die freien Mitarbeiter beantragten beim Arbeitsgericht die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses mit der Daimler AG. Da sie in den Betrieb der Daimler AG eingegliedert waren und deren Weisungen zu folgen hatten, seien sie Arbeitnehmer der Daimler AG.
In erster Instanz wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Die freien Mitarbeiter hatten beantragt anzuerkennen, dass sie im Arbeitsverhältnis zur Daimler AG stehen und die fristlose Kündigung, die gegenüber ihrem Auftraggeber ausgesprochen wurde und von der sie direkt betroffen waren, unwirksam ist. Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg wurde die Klage auf die Anerkennung eines Arbeitsverhältnisses reduziert.
Die Daimler AG hingegen argumentierte, dass durch die vertragliche Gestaltung der Auftragsverteilung über ein Ticket-System ausgeschlossen wurde, dass eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegen könnte.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hingegen vertritt die Auffassung, der Einsatz der beiden freien Mitarbeiter erfolgte im Rahmen der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung und nicht im Rahmen eines Werkvertrages.
Für die Unterscheidung ob ein Werkvertrag oder eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt sei entscheidend, ob die Arbeitnehmer in den Betrieb des beauftragenden Unternehmens eingegliedert waren und von Dritten Arbeitsanweisungen erhielten.
Die Vertragsparteien könnten zwingende Schutzvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht durch anderslautende vertragliche Regelungen außer Kraft setzen. Ein Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus vertraglichen Vereinbarungen als auch aus der praktischen Umsetzung ergeben.
Ergeben sich Widersprüche, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend. Die praktische Ausführung des Vertrages lässt am deutlichsten erkennen, was die beiden Vertragsparteien tatsächlich beabsichtigt haben. Der so ermittelte Wille bestimmt den Geschäftsinhalt und den Vertragstyp. (Siehe auch BAG, Urteil vom 18.01.2012, Aktenzeichen 7 AZR 793/10)
Zur Unterscheidung zwischen Werksvertrag und Arbeitnehmerüberlassung wird in der aktuellen Rechtsprechung zwischen personenbezogenen und objektbezogenen Anweisungen unterschieden. Ein Werksvertrag entwickelt sich in der Praxis zur Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Gegenstand der zu erfüllenden Leistung erst durch die konkreten Anweisungen vor Ort beim Auftraggeber bestimmt wird.
Weisungen die sich auf Zeit, Ort, Ausführungstempo und Inhalt der Arbeitsleistung beziehen sind ein Indiz für Arbeitnehmerüberlassung. Werkbezogene Anweisungen hingegen beschreiben Fertigungsmethoden, Qualitätsanforderungen, Reihenfolge und Stückzahl.
Zeitlich-örtliche Vorgaben, die mit einem formalen Weisungsrecht verbunden sind, sind dem arbeitsrechtlichen Weisungsbereich zuzuordnen. Die Verantwortungsstruktur für die auszuführenden Arbeiten gilt ebenfalls als Unterscheidungsmerkmal.
Die Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten ist ein Indiz für einen Werksvertrag. Wird trotz eingetretener Mängel keine Gewährleistung beansprucht, so sei das ein deutliches Zeichen für einen Scheinwerkvertrag.
Das LAG leitet bereits aus der Gestaltung des Vertrages her, dass keine Beschäftigung als freie Mitarbeiter, sondern als Arbeitnehmer erfolgte. Zu klären war lediglich, ob die Daimler AG oder das als Vertragspartner dienende IT-Unternehmen als Arbeitgeber anzusehen sei.
Die Gestaltung des Vertrages spiele keine Rolle. Ausschlaggebend seien ausschließlich die tatsächlichen Verhältnisse am Arbeitsplatz. Das vereinbarte Ticket-System sei in der Praxis häufig nicht angewandt worden. Über das Ticket-System sollten IT-Aufträge von Daimler-Mitarbeitern an die freien Mitarbeiter weitergeleitet werden. In der Praxis wurden die Aufträge von vielen Daimler-Mitarbeitern direkt ausgesprochen.
Die freien Mitarbeiter waren in der Praxis durch ihre Arbeit in den Betriebsräumen der Auftraggeberin mit Betriebsmitteln der Auftraggeberin in den Betriebsablauf der Daimler AG eingegliedert. Sie haben von der Auftraggeberin viele arbeitsrechtliche Weisungen erhalten. Sie konnten ihre Arbeitszeit nicht selbst bestimmen, sondern waren in den Arbeitszeitprozess der Daimler AG eingebunden. Art, Ort und Zeitpunkt der Arbeitsleistung konnten sie nicht selbst bestimmen.
Während einer von der Daimler AG innerbetrieblich angeordneten Arbeitszeitverkürzung wurden die beiden freien Mitarbeiter angewiesen, dieser Arbeitszeitverkürzung zu folgen.
Die Daimler AG argumentierte, jeder einzelne Auftrag, der an das externe IT-Unternehmen vergeben wurde, sei ein Werksvertrag für sich. Also jede einzelne Störungsbeseitigung, jede Einrichtung eines Druckertreibers usw..
Würde es sich tatsächlich um Werksverträge handeln, hätten bei der Vielzahl der Aufträge zumindest in einigen Fällen Gewährleistungsansprüche gestellt werden müssen, da es sehr unwahrscheinlich erscheine, dass rund 9.000 Aufträge absolut fehlerfrei abgearbeitet wurden. Im Verfahren wurde jedoch klar, dass die Vergütung immer vollständig gezahlt wurde, frei von Gewährleistungsansprüchen.
Da es sich um eine durchgehend ausgeübte Praxis der direkten Beauftragung handelte, ist nach Ansicht des LAG von einem Scheinwerkvertrag nach § 10 Abs. 1 Satz AÜG und einer Unwirksamkeit des Vertrages nach § 9 Nr. 1 AÜG auszugehen.
Die Daimler AG entlieh sich die beiden freien Mitarbeiter ohne Vorliegen einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach §1 AÜG. Deshalb ist zwischen den freien Mitarbeitern und der Daimler AG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.