Arbeitnehmerüberlassung nicht für Dauerarbeitsplätze
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31.Juli 2013, Aktenzeichen 4 Sa 18/13
Dauerarbeitsplätze dürfen nicht in Form einer Arbeitnehmerüberlassung besetzt werden. Wird dennoch ein Dauerarbeitsplatz per Arbeitnehmerüberlassung besetzt, entsteht nach § 10 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Entleiher.
Ein Busfahrer klagte vor dem Arbeitsgericht, um die Entfernung einer Ermahnung aus seiner Personalakte zu erreichen. Die Arbeitgeberin sollte die darin enthaltende Behauptung, der Busfahrer habe seine Arbeitspflicht verletzt, widerrufen. Zusätzlich forderte der Busfahrer den nicht erhaltenen Lohn für einen Streiktag.
Der Busfahrer war aufgrund einer als Kooperationsvertrag bezeichneten Arbeitnehmerüberlassung dauerhaft im Tochterunternehmen seiner Arbeitgeberin beschäftigt.
Das Tochterunternehmen der Arbeitgeberin des Busfahrers wurde auf Initiative der Gewerkschaft ver.di bestreikt, um einen Firmentarifvertrag zu erreichen. Da sich die Arbeitsstätte und die Arbeitsaktivitäten in Baden-Württemberg abspielten, sollten nicht die ungünstigeren Tarifbedingungen der bayerischen Muttergesellschaft gelten.
Trotz ausgerufenen Streik wies der Geschäftsführer der Muttergesellschaft den Busfahrer an, am Streiktag seiner ganz normalen Arbeit nachzugehen. An diesem Tag sollte der Busfahrer nicht für die Tochtergesellschaft, sondern ausnahmsweise für die Muttergesellschaft arbeiten. Der Busfahrer ignorierte die Weisung und arbeitete an diesem Tag nicht, so wie seine streikenden Kollegen.
Die Muttergesellschaft erteilte dem Busfahrer daraufhin eine schriftliche Ermahnung wegen Verletzung seiner Arbeitspflicht. Der Busfahrer forderte die Entfernung der Ermahnung aus seiner Personalakte. Er berief sich auf § 11 Abs. 5 AÜG, wonach ein Leiharbeitnehmer nicht verpflichtet ist, bei seinem Entleiher während eines Streiks tätig zu sein. Er argumentierte, es sei ihm nicht zuzumuten, als Streikbrecher den streikenden Kollegen in den Rücken zu fallen.
Das Arbeitsgericht Ulm (Urteil vom 01.02.2013, Aktenzeichen 3 Ca 304/12) gab der Klage zur Entfernung der Ermahnung aus der Personalakte statt. Die Anträge auf Widerruf der Ermahnung und Zahlung des Entgeltes für den Streiktag wurden abgewiesen. Die Arbeitgeberin legte Berufung gegen das Urteil ein.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg bestätigt das Urteil des Arbeitsgerichts.
Bereits seit 2006 habe die Muttergesellschaft ohne Unterbrechung ihre Mitarbeiter in die Tochtergesellschaft im Rahmen eines sogenannten Kooperationsvertrages verliehen. Seit 2006 ist bei der Muttergesellschaft kein Beschäftigungsbedarf vorhanden. Die Aufgabe zur Erbringung von Fahrdienstleistungen wurde komplett an die Tochtergesellschaft ausgelagert.
Die Muttergesellschaft war zum Zeitpunkt der Ermahnung nicht mehr Arbeitgeberin und deshalb auch nicht dazu berechtigt. Wegen einer unzulässigen Arbeitnehmerüberlassung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG habe das Arbeitsverhältnis mit der Tochtergesellschaft, nicht mit der Muttergesellschaft bestanden.
Für eine dauerhafte Überlassung kann nach Ansicht des LAG keine Arbeitnehmerüberlassung erteilt werden, da eine dauerhafte Überlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verhindert werden soll. Daraus folgt die Unwirksamkeit des Überlassungsvertrages. Gleichzeitig sei damit der Arbeitsvertrag mit dem Verleiher (Muttergesellschaft) ungültig, es sei ein Arbeitsverhältnis gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG mit dem Entleiher (Tochtergesellschaft) entstanden.
Zur Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung wurde mit der Gesetzesänderung vom 28. April 2011 (Bundesgesetzblatt I 2011 Nr. 18 S. 642) in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG bestimmt,
Überlassungen an einen Verleiher dürfen nur vorübergehend erfolgen. Neben dem Schutz der Leiharbeitnehmer soll damit auch eine dauerhafte Aufspaltung der Belegschaft des Entleiherbetriebes in eine Stammbelegschaft und eine entliehene Belegschaft verhindert werden.
Nach Ansicht des LAG lag eine besonders drastische Aufspaltung der Arbeitnehmer in Stammbelegschaft und entliehene Belegschaft vor. Es gab in der Niederlassung der Tochtergesellschaft rund 60 eigene Mitarbeiter und rund 130 von der Muttergesellschaft entliehene Mitarbeiter.
Das LAG räumt ein, dass bisher noch nicht geklärt sei, wann eine Arbeitnehmerüberlassung vorübergehend sei. Wird jedoch ein Arbeitnehmer ohne zeitliche Begrenzung anstelle einer Stammarbeitskraft eingesetzt, so sei der Einsatz nicht nur vorübergehend.
Eine Arbeitnehmerüberlassung sei bereits dann nicht mehr vorübergehend, wenn ein Dauerarbeitsplatz besetzt wird. Der Busfahrer und seine Kollegen hätten bereits vor dem Beginn der Arbeitnehmerüberlassung ihren Job als Dauerbeschäftigung ausgeführt. Dieselben Dauerarbeitsplätze seien nur unter anderem Weisungsrecht weitergeführt worden.
Das LAG bestätigte das richtige Verhalten des Busfahrers, der trotz Anweisung am Streiktag nicht seiner Arbeit nachging. Einem Arbeitnehmer sei es unzumutbar, seinen streikenden Kollegen in den Rücken zu fallen (BAG 25. Juli 1957 – 1 AZR 194/56). Weiter führte das LAG aus:
Die Heranziehung zur Streikbrucharbeit ist keine zulässige Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers, sondern eine unlautere Unterlaufungsstrategie…Mitarbeiter zu Streikbrucharbeit heranzuziehen, zielt im Kern gegen die Koalitionsfreiheit und die Gewerkschaften. Streikbruch dient dazu, den Streik unwirksam zu machen und der Gewerkschaft dieses Mittel aus der Hand zu schlagen oder den Gebrauch des Freiheitsrechts zu erschweren.
Diese Grundsätze gälten auch für Drittunternehmen.
Die Ermahnung muss nach dem Urteil des LAG Baden-Württemberg aus der Personalakte entfernt werden.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Themas wurde die Revision zugelassen.