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Keine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen möglich

Außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen unzulässig

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2013, Aktenzeichen 2 AZR 295/12

Eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen ist gegenüber einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer unzulässig.

Ein Schlosser bat nach einem Schlaganfall um die Versetzung aus dem Schichtbetrieb in die Tagschicht. Das vorgelegte ärztliche Attest belegte, eine geregelte Arbeitszeit am Tage sei zur Genesung notwendig. Nach etwa 1,5-jähriger Tätigkeit im Tagdienst erhielt der Schlosser von der Arbeitgeberin eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen, mit einer Auslauffrist zum Ende März des Folgejahres. Hilfsweise kündigte sie ordentlich zum selben Termin und zusätzlich hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.

Der Schlosser legte vor dem Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage ein. Nach seiner Argumentation läge für die außerordentliche Kündigung kein wichtiger Grund nach § 626 BGB vor. Die Arbeitgeberin habe nicht dargelegt, dass es keine Möglichkeit gebe, ihn sinnvoll weiter zu beschäftigen. Die ordentliche Kündigung sei bereits durch § 4.4 Satz 1 MTV (Manteltarifvertrag) ausgeschlossen.

Der Schlosser beantragte, die Unwirksamkeit der Kündigungen feststellen zu lassen, sowie seine Weiterbeschäftigung als Betriebsschlosser bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits.

Das Arbeitsgericht Ulm (Urteil v. 14.09.2010, Aktenzeichen 8 Ca 525/09) und das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil v. 9. Dezember 2011, Aktenzeichen 20 Sa 85/10) entsprachen der Kündigungsschutzklage. Die Arbeitgeberin verfolgte vor dem Bundesarbeitsgericht weiterhin die Abweisung der Klage.

Der Arbeitsplatz des Schlossers sei weggefallen, da sich durch Stilllegung einer Maschine der Reparatur- und Instandhaltungsaufwand um 330 Stunden reduziert habe, argumentierte die Arbeitgeberin. Zudem sollten nur noch Schlosser eingesetzt werden, die ausschließlich im Schichtdienst tätig seien und uneingeschränkt an sämtlichen Anlagen im Werk arbeiten könnten. Der Beschäftigungsbedarf für die beiden in der Tagschicht tätigen Schlosser sei damit entfallen. Die übrig bleibenden Arbeiten aus der Tagschicht seien wegen der Überkapazitäten im Instandhaltungsbereich ohne Anstrengungen von den Schlossern im Schichtdienst zu erledigen.

Eine Sozialauswahl sei für diese Entscheidung nicht notwendig. Wegen seines Gesundheitszustandes sei der Schlosser nicht mit seinem Kollegen im Schichtbetrieb vergleichbar. Er sei nicht in der Lage an allen Anlagen zu arbeiten und nicht im Schichtbetrieb einsetzbar. Die altersberücksichtigende tarifvertragliche Regelung sei nicht anwendbar, da dem Lebensalter im Verhältnis zur Betriebszugehörigkeit eine zu hohe Bedeutung zugemessen wird.

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen.

Außerordentliche Kündigung

Das BAG erklärt die außerordentliche Kündigung für unwirksam und begründet:

Eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen ist gegenüber einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer grundsätzlich unzulässig. Solche Gründe machen dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist regelmäßig nicht unzumutbar. Ihm ist es selbst im Insolvenzfall zuzumuten, die Kündigungsfrist einzuhalten (BAG 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 13; 18. März 2010 – 2 AZR 337/08 – Rn. 16).

Die Arbeitgeberin habe nicht erläutert, dass keine dauerhafte Einsatzmöglichkeit für den Schlosser bestand. Es sei nicht erkennbar, dass nach zumutbaren organisatorischen Änderungen überhaupt keine sinnvolle Einsatzmöglichkeit für den Schlosser gegeben wäre.

Für eine außerordentliche Kündigung müsste ein wichtiger Grund nach § 626 Abs.1 vorliegen. Der wichtige Grund müsste so bedeutend sein, dass es dem Kündigenden unter Abwägung aller Interessen beider Seiten, nicht zumutbar wäre, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

Generell könne sich ein wichtiger Grund aus dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit wegen innerbetrieblicher Maßnahmen des Arbeitgebers ergeben. Es ergeben sich jedoch erhöhte Anforderungen zur Darlegung des wichtigen Grundes, im Falle einer Änderung des Anforderungsprofils für Arbeitsplätze, die mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Die Arbeitgeberin könne nicht durch verschärfte Anforderungen an den Arbeitsplatz, die keine sachliche Grundlage haben, den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers umgehen.

Die Arbeitgeberin müsste zur Begründung der außerordentlichen Kündigung zusätzlich darlegen, dass es überhaupt keine Möglichkeit mehr gebe, den Arbeitnehmer sinnvoll im Betrieb zu beschäftigen. Sie hätte zu prüfen ob die Weiterbeschäftigung mit Umschulungsmaßnahmen oder zu geänderten Konditionen möglich wäre. Die Arbeitgeberin sei verpflichtet im Einzelnen darzulegen, ob das geänderte unternehmerische Konzept tatsächlich eine Kündigung erzwinge.

Die Arbeitsaufgaben des Schlossers seien mit der Stilllegung der Maschine nur zu 15% entfallen, alle anderen Aufgaben, zu deren Erledigung der Schlosser trotz eingeschränkter Gesundheit durchaus in der Lage war, seien nur auf andere Schlosser umverteilt worden.

Das berechtigte Interesse der Arbeitgeberin an einer Erledigung der Arbeiten ausschließlich im Rahmen der Schichtarbeit, sei keine Begründung dafür, den Schlosser nicht mehr mit diesen Aufgaben zu betrauen. Er könne Aufgaben im Rahmen seines Leistungsvermögens während der regulären Frühschicht zwischen 6.00 Uhr und 13.00 Uhr erbringen. Es seien keine Umstände erkennbar, die eine Beschäftigung des Schlossers in der Frühschicht ausschlössen.

Der Behauptung der Arbeitgeberin, die Herausnahme des Schlossers aus der rollenden Schichtarbeit führe zu Unruhen und Diskussionen vermochte das BAG nicht zu folgen, da nicht dargelegt wurde, mit welcher Intensität die Störungen befürchtet würden.

Nach § 6 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 ArbZG (Arbeitszeitgesetz) kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, im Rahmen von Schichtarbeit auf gesundheitliche Belange einzelner Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen. Das Interesse der Gesamtbelegschaft an einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der sich aus dem Schichtbetrieb ergebenden Belastungen muss demgegenüber in der Regel zurücktreten.

Im Fall der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung müsste die Arbeitgeberin für den Fall einer Konkurrenzsituation die Sozialauswahl beachten.

Ordentliche Kündigung

Das Arbeitsverhältnis wurde auch nicht durch die ordentliche Kündigung aufgelöst.

Die ordentliche Kündigung ist wegen § 4.4 Satz 1 MTV (Manteltarifvertrag) unwirksam. Dort wird geregelt, dass Arbeitnehmer die älter als 53 Jahre sind und noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben, nicht ordentlich gekündigt werden dürfen. § 4.4 Satz 1 MTV verstoße nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung und sei verfassungskonform.

Nach § 10 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) Satz 1 und 2 ist die unterschiedliche Betrachtung von Arbeitnehmern anhand ihres Alters gestattet, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung des Zieles angemessen und gerechtfertigt sind.

§ 4.4 Satz 1 MTV könne eine unmittelbare Benachteiligung von Arbeitnehmern hervorrufen, die länger als drei Jahre beschäftigt sind, aber nicht das Mindestalter erreicht haben. Die Arbeitgeberin habe jedoch keine Situation aufgezeigt, die eine Benachteiligung nach § 4.4 Satz 1 MTV ergeben würde.

Das BAG stellt infrage, ob sich die Arbeitgeberin auf die Unwirksamkeit der Regelungen nach § 7 Abs. 2 AGG  im MTV berufen kann. Die Regelungen im AGG bezögen sich auf den Schutz von Benachteiligten. Das AGG verlange nicht, eine fehlerhafte Regelung in einer Situation nicht anzuwenden, in der sie nicht zur Ungleichbehandlung führen kann. Arbeitnehmer aufgrund ihres Alters von der Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung auszuschließen sei als legitimes Ziel gerechtfertigt, solange das Ziel nicht zu einer grob fehlerhaften Sozialauswahl führt.

Das im MTV verfolgte sozialpolitische Ziel diene dazu, ältere Arbeitnehmer möglichst effektiv vor einer Entlassung zu schützen. Nach Auffassung des BAG ist die Regelung objektiv und angemessen und zur Erreichung des Ziels erforderlich. Die Chancen älterer Arbeitnehmer seien auf dem Arbeitsmarkt deutlich geringer als diejenigen jüngerer Arbeitnehmer.

Die Tarifparteien hätten nach § 1 TVG die Kompetenz die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu ordnen. Dazu gehöre im Rahmen der Typisierung die Beurteilung der Vermittlungschancen älterer Arbeitnehmer. Dafür sei die Anknüpfung an das Lebensalter notwendig. Das BAG sieht einen Auslegungsspielraum für den § 4.4 Satz 1 MTV. Der Schutz der älteren Arbeitnehmer sei beabsichtigt, aber nicht bedingungslos. Nach der Auslegung soll der Schutz älterer Arbeitnehmer nicht Fälle übertrumpfen, in denen andere Arbeitnehmer ohne Zweifel höhere Schutzansprüche haben. Der Auslegungsspielraum hatte in diesem Fall keine Bedeutung, sodass er nicht überprüft werden brauchte.

Das Arbeitsverhältnis des Schlossers wurde durch die Kündigungen nicht aufgehoben. Das Arbeitsverhältnis blieb bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits bestehen.