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Betriebsratssitzung kann über unvollständige Tagesordnung beschliessen

Betriebsratssitzung ist ohne vorherige Tagesordnung beschlussfähig

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 22.02.2014, Aktenzeichen 7 AS 6/13

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) revidierte in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung. Der Betriebsrat ist nun auch dann beschlussfähig, wenn der Tagesordnungspunkt nicht vorher in der Einladung erwähnt wurde und nicht alle Betriebsratsmitglieder zur Beschlussfassung anwesend sind.

 

Betriebsratssitzungen müssen den Anforderungen des § 33 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) gerecht werden. Darin ist geregelt, dass die Beschlüsse des Betriebsrats mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder gefasst werden müssen. Der Betriebsrat ist nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder teilnimmt.
 
In einem Rechtsverfahren vor dem 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sollte festgestellt werden, dass ein Beschluss des Betriebsrats selbst dann gültig ist, wenn die Einladung keine Tagesordnung enthielt (Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 09.07.2013, Aktenzeichen 1 ABR 2/13). Voraussetzung sollte jedoch sein, dass der Betriebsrat beschlussfähig war und die anwesenden Mitglieder einstimmig beschlossen haben über das zu regelnde Thema zu beraten und abzustimmen. Eine vollständige Anwesenheit aller Betriebsratsmitglieder sei jedoch nicht notwendig.

Da diese Feststellung von der laufenden Rechtsprechung abweicht, befragte der 1. Senat des BAG den 7. Senat des BAG, ob er an seiner Rechtsprechung vom Oktober 2007 festhält ((10. Oktober 2007 – 7 ABR 51/06).

 Der 7. Senat hält nicht mehr an seiner Auffassung fest, dass eine Beschlussfassung zu einem nicht in der Tagesordnung aufgeführten Punkt nur dann einstimmig gefasst werden kann, wenn alle Betriebsratsmitglieder anwesend sind.

§ 29 Abs. 2 BetrVG enthält die Formulierung, dass die Mitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung zu laden sind.
Wird die Tagesordnung nicht mitgeteilt, so stelle dies einen Verfahrensmangel dar. Der Verfahrensmangel könne geheilt werden, indem alle Betriebsratsmitglieder, einschließlich Ersatzmitglieder rechtzeitig geladen werden und die beschlussfähig erschienenen Mitglieder einstimmig eine Ergänzung oder Erstellung der Tagesordnung beschließen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass alle Betriebsratsmitglieder vollständig teilnehmen.

Die Auffassung, dass die Heilung nur mit der Anwesenheit aller Betriebsratsmitglieder möglich sei, werde aufgegeben. Im Fall der Verhinderung eines Betriebsratsmitgliedes tritt das Ersatzmitglied mit allen seinen Rechten und Pflichten in dessen Rolle. Ein verhindertes Betriebsratsmitglied können keine schützenswerte Einflussmöglichkeiten auf die Willensbildung der anderen Mitglieder geltend machen.

Ein Betriebsratsmitglied dürfe die Beurteilung, ob eine Betriebsratssitzung vor anderen Pflichten Vorrang habe, nicht von der Tagesordnung abhängig machen. Ein nicht teilnehmendes Betriebsratsmitglied verdiene keinen Schutz davor, dass die anwesenden Betriebsratsmitglieder einen weiteren Tagesordnungspunkt auf die Tagesordnung setzten.

Würde das Gericht der Argumentation folgen, dass ein Betriebsratsmitglied seine Anwesenheit von der Tagesordnung abhängig machen könne, so wäre eine Ergänzung der Tagesordnung nur bei Anwesenheit aller originären Betriebsratsmitglieder möglich.

Besonders für größere Betriebsräte würde diese Verfahrensweise an der Praxis vorbeigehen, da häufig ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder verhindert seien. Die praktische Betriebsratsarbeit würde erheblich erschwert, da eine Ergänzung der Tagesordnung weitgehend unmöglich würde. Vom 7.Senat des BAG wird insbesondere auf die Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen hingewiesen, für deren Bearbeitung dem Betriebsrat nach Benachrichtigung nur eine Woche zur Verfügung steht. Reagiert der Betriebsrat nicht innerhalb dieses Zeitraumes, gilt die Zustimmung als erteilt.

Betriebsratsmitglieder seien jedoch weiterhin geschützt davor, über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten entscheiden zu müssen, mit denen sie sich noch nicht angemessen befasst oder über die sie sich noch keine abschließende Meinung gebildet hätten indem weiterhin eine einstimmige Beschlussfassung gefordert wird. ( siehe auch BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 2/13 (A) – Rn. 50).