BLOG RECHTSPRECHUNG

Keine fristlose Kündigung ohne wichtigen Grund

Fristlose Kündigung ohne wichtigen Grund unwirksam

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.20.2013, Aktenzeichen 2 AZR 1078/12

Basiert eine fristlose Kündigung nicht auf einem wichtigen Grund, ist sie unwirksam. Die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund setzt voraus, dass eine massive Vertragsverletzung vorliegt, die es nicht erlaubt, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung beidseitiger Interessen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Kündigungsfrist fortzusetzen.

Ein leitender Angestellter war beim Bundesverband der Betriebskrankenkassen und seiner Landesverbände tätig. Zuletzt war er als Leiter des Stabsbereiches Unternehmensstrategie und Beteiligungscontrolling beschäftigt.

Der Bundesverband der Innungskrankenkassen, der Bundesverband der Betriebskrankenkassen, die DAK und weitere Ersatz- und Betriebskrankenkassen bildeten ein Gemeinschaftsunternehmen, das den Belangen der Sozialversicherung dient.

Der leitende Angestellte schloss mit dem Gemeinschaftsunternehmen einen Geschäftsführer-Dienstvertrag ab. Dieser befristete Vertrag galt für einen Zeitraum von 5 Jahren. Die ersten 4 Monate seiner neuen Geschäftsführertätigkeit überschnitten sich mit seiner bisherigen leitenden Tätigkeit. Er erhielt während dieser Zeit von beiden Unternehmen Zahlungen für seine Tätigkeiten. Der Geschäftsführer-Dienstvertrag erlaubte zu Beginn, die Tätigkeit für den Bundesverband der Betriebskrankenkassen nach freiem Ermessen für einen befristeten Zeitraum von 4 Monaten fortzusetzen.

Das ordentliche Kündigungsrecht wurde im Geschäftsführer-Dienstvertrag ausgeschlossen. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund blieb unberührt. Für den Fall einer vorzeitigen Abberufung wurde eine Abfindung in Höhe eines Jahresgrundgehaltes plus Tantiemen vereinbart. Der Dienstwagen bliebe bei vorzeitiger Abberufung bis zum Ende des Geschäftsführer-Dienstvertrages nutzbar.

Laut schriftlicher Vereinbarung mit dem Bundesverband der Betriebskrankenkassen ruhte das Arbeitsverhältnis als leitender Mitarbeiter während der Geschäftsführer-Tätigkeit. Die Ruhezeit begann jedoch erst vier Monate nach Aufnahme seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Gemeinschaftsunternehmens. In der Vereinbarung wurde ein gleichwertiger Beschäftigungsanspruch unabhängig davon garantiert, aus welchem Grund die Geschäftsführer-Tätigkeit beendet würde.

Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Geschäftsführer-Tätigkeit kündigte der Bundesverband der Betriebskrankenkassen vorsorglich fristlos und hilfsweise fristgerecht wegen Untreue zulasten der Arbeitgeberin. 5 Tage später wurde der Geschäftsführer durch einstimmigen Beschluss des Aufsichtsrates abberufen. Am gleichen Tag erstatte der Bundesverband der Betriebskrankenkassen Strafanzeige wegen Veruntreuung. Das Strafverfahren wurde später wegen Mangel an hinreichendem Tatverdacht eingestellt.

Der leitende Angestellte erhob fristgerecht eine Kündigungsschutzklage. Er argumentierte, es fehle an einem wichtigen Grund für die Kündigung. Zudem sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Er habe in dem Zeitraum der doppelten Bezahlung für beide Unternehmen Arbeitsleistungen erbracht. Er sei bereits seit dem Frühjahr mit dem Aufbau des Gemeinschaftsunternehmens beschäftigt gewesen. Er habe für den Aufbau an Wochenenden und während des Jahresurlaubs ohne zusätzliche Vergütung gearbeitet.
Die Sicherheit einer festen Anstellung habe er nicht gegen eine unsichere Anstellung als Geschäftsführer aufgeben wollen. Sein Anstellungsvertrag als Geschäftsführer habe eine Kündigungsfrist von 6 Jahren zum Jahresende vorgesehen.

Der leitende Angestellte beantragte festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung noch durch die fristgerechte Kündigung beendet wurde. Er klagte zudem, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Leiter des Stabsbereiches Unternehmensstrategie und Beteiligungscontrolling mit entsprechender Bezahlung weiter beschäftigt zu werden.

Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen beantragte, die Klage abzuweisen. Seit dem Wechsel zum Gemeinschaftsunternehmen habe kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Es sei auch nicht durch die Ruhevereinbarung wieder aufgelebt, da die Vereinbarung sittenwidrig sei. Der leitende Angestellte habe planmäßig und bewusst zum Nachteil seiner Arbeitgeberin gehandelt. Das ergebe sich insbesondere aus der Zusammenstellung der Verträge. Damit habe der leitende Angestellte für sich eine Rundumabsicherung aufgebaut, welche die Vermögenslage der Arbeitgeberin deutlich beeinträchtige. Er erhalte seine Bezüge selbst bei Nichteignung für die volle Laufzeit als Geschäftsführer. Zusätzlich würde er die Bezüge aus dem wiederauflebenden Arbeitsvertrag als leitender Angestellter erhalten ohne die Anrechnung von Abfindungszahlungen. Dem leitenden Angestellten habe auch bewusst sein müssen, dass der damalige Vorstand bei Abschluss der Verträge seine Vertretungsvollmacht missbraucht habe.

Das Arbeitsverhältnis sei auf jeden Fall durch die fristlose bzw. fristgerechte Kündigung beendet worden. Es liege ein wichtiger Grund vor, da der leitende Angestellte für einen Zeitraum von 4 Monaten Gehaltszahlungen von zwei Unternehmen gleichzeitig bezogen habe. Niemand sei in der Lage seine volle Arbeitskraft zeitgleich zweimal zur Verfügung zu stellen.

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgt der Bundesverband weiterhin die Abweisung der Klage.

Das BAG bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts.

Das Arbeitsverhältnis sei zum Zeitpunkt der Kündigung nicht aufgelöst gewesen. Es komme nicht darauf an, ob die Vereinbarung zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt wirksam war. Bei Unwirksamkeit hätte das Arbeitsverhältnis auf jeden Fall weiterbestanden. Der Geschäftsführer-Dienstvertrag habe auch keine dem § 632 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) genügende Formulierung zur Aufhebung des Arbeitsvertrages enthalten.

Das Landesarbeitsgericht habe zu Recht angenommen es liege kein wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor.

 Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Es sei zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt an sich als wichtiger Grund geeignet ist. Anschließend sei festzustellen, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei Abwägung aller Interessen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar sei.
 
Mit der Entgegennahme von doppelten Gehaltszahlungen habe der leitende Angestellte nicht gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen seiner Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs.1 BGB verstoßen. Es sei nicht offensichtlich gewesen, dass er auf eine der beiden Leistungen keinen Anspruch gehabt hätte.

Die Vereinbarungen mit der Arbeitgeberin und dem Gemeinschaftsunternehmen ließen die Doppelzahlungen zu. Obwohl die Arbeitgeberin den Starttermin für die Geschäftsführertätigkeit kannte, habe sie sich darauf eingelassen, erst vier Monate später das Arbeitsverhältnis ruhen zu lassen und keine Kürzungen des Gehalts vorzunehmen. Es sei nicht dargelegt worden, dass die im Zeitraum der Doppelbezahlung erbrachten Leistungen nicht im Verhältnis zu den Zahlungen gestanden hätten.

Die doppelten Gehaltszahlungen seien schon deshalb nicht offensichtlich unberechtigt, weil der leitende Angestellte in diesem Zeitraum tatsächlich für beide Unternehmen tätig war. Die Arbeitgeberin habe nicht substantiell verneint, dass der leitende Angestellte konkret benannte Arbeiten für Sie auszuführen hatte.

Es gäbe keine Anhaltspunkte für ein gemeinsames vorsätzliches Verhalten des leitenden Angestellten und des ehemaligen Vorstands des Gemeinschaftsunternehmens.

Abreden über das Ruhen eines Arbeitsverhältnisses seien nicht unüblich.

Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt und damit unwirksam. Es seien keine arbeitsrechtlichen Pflichten verletzt worden.

Der Zahlungsantrag sei begründet und zulässig. Die Entscheidung über den Zahlungsantrag hänge direkt von der Entscheidung über die Kündigungsschutzklage ab. Vergütungsansprüche würden entfallen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet, die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht würde, oder die Vergütung im Falle von Krankheit oder unbezahltem Urlaub nicht mehr fortzuzahlen sei.

Das BAG erklärte den Anspruch des leitenden Angestellten auf Vergütung seit der Kündigung.

 Der Kläger hat für die Zeit ab April 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits einen Anspruch auf die vertragliche Vergütung aus § 615 Satz 1, § 611 Abs. 1 iVm. §§ 293 ff. BGB.

Da die außerordentliche Kündigung unwirksam sei, bestünde ein fortlaufender Zahlungsanspruch seit dem Wiederaufleben des ruhenden Arbeitsvertrages. Das Wiederaufleben eines Arbeitsvertrages könne an sich nicht sittenwidrig sein. Die Vereinbarung von Abfindungszahlungen im Geschäftsführer-Dienstvertrag mache das Wiederaufleben des Arbeitsvertrages ebenfalls nicht sittenwidrig. Beide Verträge seien mit unterschiedlichen Vertragspartnern abgeschlossen worden und deshalb getrennt zu betrachten. Die vom Arbeitsgericht ausgesprochene Zahlungsverpflichtung zur Fortzahlung des Grundgehalts als leitender Angestellter sei gerechtfertig.