Untauglich für Nachtschicht ist keine Krankheit
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.04.2014, Aktenzeichen 10 AZR 637/13
Wer aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschicht mehr leisten kann, ist nicht zwangsläufig arbeitsunfähig krank.
Eine Krankenschwester arbeitete in einem Krankenhaus in durchgehendem Schichtbetrieb. Sie musste aus gesundheitlichen Gründen Medikamente einnehmen, die zu Schläfrigkeit und nächtlichem Schlafbedürfnis führten. Wurde die Krankenschwester zum Nachtdienst eingeteilt, was etwa zweimal monatlich erfolgte, so tauschte sie diese Dienste mit ihren Arbeitskollegen.
Eine betriebsärztliche Untersuchung bestätigte, dass sie keine Nachtdienste leisten könne.
Einige Wochen nach der betriebsärztlichen Untersuchung wurde sie mit der Bemerkung, sie sei arbeitsunfähig krank, vom Vorgesetzten nachhause gesandt. Die Krankenschwester erhielt für die nächsten 6 Wochen Entgeltfortzahlung. Zwei Tage später sandte die Krankenschwester ein Schreiben, in dem sie erklärte, sie können ihren Dienstverpflichtungen für alle Schichten außer der Nachtschicht nachkommen und sie biete ihre Dienste ausdrücklich an. Nachtdienste hätten zudem bisher nicht mehr als 5% ihrer Arbeitszeit ausgemacht. Sie bat um Mitteilung, wann sie wieder zum Dienst erscheinen dürfe.
Im Folgemonat bekräftigte die Arbeitgeberin ihre Auffassung, dass die Krankenschwester arbeitsunfähig sei. Sobald sie in der Lage sei Nachschichten zu leisten könne sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.
Es lag keine ärztlich bestätigte Arbeitsunfähigkeit vor. Nach dem Verlauf von 6 Wochen erhielt die Krankenschwester Arbeitslosengeld. Daraufhin erhob sie Klage beim Arbeitsgericht. Die Krankenschwester verlangte von der Arbeitgeberin die Zahlung von Arbeitsvergütung abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes für die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit. Die Arbeitgeberin müsse sie aufgrund des Arbeitsvertrages als Krankenschwester ohne Ableistung von Nachtschichten beschäftigen.
Die Arbeitgeberin beantragte, die Klage abzuweisen. Sie sei nicht zur Beschäftigung der Krankenschwester verpflichtet, da diese ihre Arbeitsleistung nicht in vollem Umfang erbringen könne. Es könne kein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden. Aus Gründen der Gleichbehandlung von Arbeitnehmern sei eine gleichmäßige Aufteilung der Nachtschichten notwendig. Die Zuweisung einer Tätigkeit als Krankenschwester ohne Nachtdiensttätigkeit sei nur im Rahmen einer Änderungskündigung möglich. Wegen mangelnder Leistungsfähigkeit bestehe auch kein Anspruch aus Annahmeverzug.
Das Arbeitsgericht gab der Klage der Krankenschwester statt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (30.05.2013 – 5 Sa 78/13) wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Im Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die Arbeitgeberin weiterhin die Abweisung der Klage.
Das BAG erläuterte, der Arbeitsanspruch beruhe auf der arbeitsvertraglichen Förderpflicht der Arbeitgeberin unter Bezug auf das Beschäftigungsinteresse der Arbeitnehmerin und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen von Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes zum Persönlichkeitsschutz. Eine einseitige Suspendierung der Arbeitnehmerin sei ohne vertragliche Vereinbarung grundsätzlich nicht zulässig.
Die Leistungspflicht würde entfallen, wenn die Arbeitnehmerin aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig sei. Die Krankenschwester sei nicht deshalb arbeitsunfähig krank, weil sie aus gesundheitlichen Gründen Medikamente einnehme und deshalb keine Nachtschichten mehr leisten könne.
Ob die Krankenschwester krank sei, spiele keine Rolle, sie sei jedenfalls nicht arbeitsunfähig. Eine Arbeitsunfähigkeit liege vor, wenn die Arbeitnehmerin ihre vertragliche Tätigkeit nicht mehr ausüben könne oder ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde.
Die Krankenschwester könne ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit weiterhin ausüben. Ihre eingeschränkte Verwendbarkeit bezüglich der Nachtschicht stünde dem nicht entgegen. Die Krankenschwester könne unstreitig alle von ihr als Krankenschwester geschuldeten Arbeiten ausführen. Nach Art und Ort und zeitlicher Dauer der Leistungen sei sie uneingeschränkt einsetzbar. Einschränkungen ergäben sich nur hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit und das auch nur für die Nachtschicht. Es gäbe keine vertragliche Festlegung auf die Nachtschicht, auch wenn diese von der Arbeitspflicht umfasst würde. Es sei der Arbeitgeberin überlassen, die Arbeitszeit innerhalb des Schichtbetriebes festzulegen, wobei die Nachtarbeit jeweils einen nur untergeordneten Anteil einnehme.
Es läge auch kein Fall verminderter Arbeitsfähigkeit vor, für den die Annahme einer verminderten Arbeitsfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit vom BAG grundsätzlich abgelehnt werde.
Die Krankenschwester könne verlangen, dass die Arbeitgeberin ihr Weisungsrecht so ausübe, dass für die Krankenschwester keine Nachtarbeit mehr anfalle.
Indem die Arbeitgeberin weiterhin die Verpflichtung der Krankenschwester zur Ableistung von Nachtarbeit in den Vordergrund stelle, verkenne sie den allgemeinen Umfang ihres Weisungsrechts mit dem festgelegten Inhalt der Arbeitspflicht der Krankenschwester.
Für die Arbeitgeberin sei die vertragliche Beschäftigung nicht unmöglich geworden. Es handele sich auch dann um eine vertragsgerechte Beschäftigung, wenn die Krankenschwester keine Nachtschichten leiste. Die Besonderheiten des Schichtdienstes stellten kein unüberwindliches Hindernis dar, die Krankenschwester ohne Nachtdienst zu beschäftigen. Es bestehe auch keine Rechtspflicht, die Krankenschwester gegen ihren Willen in sämtlichen Schichtarten einsetzen zu müssen.
Das Landesarbeitsgericht habe zurecht begründet, es sei möglich die Krankenschwester aus dem Nachtdienst heraus zu nehmen. Diese Maßnahme sei erforderlich, zumutbar und angemessen. Der Arbeitgeberin verbleibe das volle Weisungsrecht, mit Ausnahme der Möglichkeit die Krankenschwester zum Nachtdienst einzuteilen.
Die Arbeitgeberin geriet in Verzug, weil sie die angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen hat. Die geschuldete Arbeit konnte wegen des Verzugs nicht geleistet werden.
Das BAG sah den Beschäftigungsanspruch der Krankenschwester sowie den Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt abzüglich Arbeitslosengeld als gerechtfertigt an. Die Vorinstanzen hätten der Klage der Krankenschwester zu Recht stattgegeben. Die Revision der Arbeitgeberin wurde als unbegründet abgewiesen.