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Alkoholabhängigkeit gilt als Krankheit

Langjährige Alkoholabhängigkeit gilt als chronische Krankheit

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 16.01.2014, Aktenzeichen 13 Sa 516/13

Ist eine Person langjährig alkoholabhängig, so gilt dies als Krankheit. Anspruch auf Krankengeld besteht auch bei einem Rückfall nach stationärem Entzug.

 Ein Beschäftigter im Baugewerbe war alkoholabhängig. Infolge eines Sturztrunks war er arbeitsunfähig erkrankt. Mit einer Alkoholvergiftung bei 4,9 Promille wurde er körperlich und geistig bewegungslos in eine medizinische Einrichtung eingeliefert, wo er künstlich beatmet werden musste. Es folgten mehr als sechs Wochen stationäre Behandlung.

Wenige Tage nach dem Sturztrunk kündigte die Arbeitgeberin fristlos. Der Beschäftigte erhob eine Kündigungsschutzklage. Die Arbeitgeberin leistet für den Zeitraum von rund einem Monat nach der Kündigung bis zum Jahresende Krankengeld. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens einigten sich Arbeitgeberin und Beschäftigter auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Jahresende.

Später verlangte die Arbeitgeberin von ihrem ehemals Beschäftigten Auskunft über alle für die behauptete Alkoholkrankheit erheblichen Umstände. Der Beschäftigte reagierte nicht auf das Auskunftsersuchen der Arbeitgeberin.

Kurz darauf machte die Krankenkasse, als Vertreterin ihres Mitgliedes, Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht nach §§ 3,4 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz), 115 Abs. 1 SGB X (Sozialgesetzbuch 10) bei der Arbeitgeberin geltend.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Arbeitgeberin legte Berufung beim Landesarbeitsgericht ein. Nach ihrer Ansicht sei die Rechtsprechung des Arbeitsgerichtes nicht überzeugend. Das Urteil weiche von der gängigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ab.

Es sei widersprüchlich bei einer Suchtkrankheit nur die aktuelle Arbeitsunfähigkeit und deren Ursachen zu betrachten. Ein Rückfall nach mehrfach stationärem Entzug und begleitenden Aufklärungen sei als selbst verschuldet zu betrachten.

Das Landesarbeitsgericht erläuterte, die Voraussetzungen für die Entgeltfortzahlung seien erfüllt. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entstehe, wenn die Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden des Arbeitnehmers zustande komme. Alkoholabhängigkeit sei eine Krankheit im medizinischen Sinne und damit auch im Sinne der Entgeltfortzahlung.

Der Streit zwischen den Parteien bezöge sich lediglich darauf, ob den Arbeitnehmer ein Verschulden an seiner Alkoholabhängigkeit treffe. Ein Verschulden würde dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer seiner zumutbaren Sorgfaltspflicht gegenüber sich selbst nicht nachgekommen wäre.

Nach Eintritt der Alkoholkrankheit könne der Betroffene nicht mehr schuldhaft handeln. Die körperliche und psychische Abhängigkeit würden es dem Betroffenen nicht mehr erlauben sich aus eigener Kraft aus der Abhängigkeit zu lösen. Schuldhaft im Sinne der Entgeltfortzahlung könne der Betroffene nur vor Eintritt der Krankheit handeln. Alkoholabhängig sei eine Krankheit wie viele andere auch. Die Betrachtung der Verschuldensfrage zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit scheide deshalb aus.

 Es gebe keinen Erfahrungssatz, wonach ein Arbeitnehmer seine krankhafte Alkoholabhängigkeit selbst verschuldet habe. Es sei immer der Einzelfall zu bewerten. Dabei sei davon auszugehen, dass die Erforschung der Ursachen und des möglichen Verschuldens durch den Arbeitnehmer erhebliche Schwierigkeiten bereiten werde.

Wird ein Verschulden von der Arbeitgeberin behauptet, so hat sie diese, wie bei anderen Krankheiten auch, zu beweisen. Der Arbeitnehmer kann jedoch verpflichtet sein, an der Aufklärung mitzuwirken. Der Arbeitgeberin sei es in der Regel nicht möglich, die erheblichen Umstände für die Entstehung der Krankheit aus dem Lebensbereich des Arbeitnehmers festzustellen.

Auf Verlangen der Arbeitgeberin seien die Umstände offen zu legen. Verletze der Arbeitnehmer seine Mitwirkungspflicht, gehe das zu seinen Lasten. Könne die Entstehung der Krankheit nicht aufgeklärt werden, sei ein medizinischer Sachverständiger heranzuziehen. Aus Kostengründen würde das in der Regel der behandelnde Arzt sein. Sei nicht feststellbar, ob den Arbeitnehmer ein Verschulden im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG treffe, müsse die Arbeitgeberin den Lohn fortzahlen.

Bei einem Rückfall in den Alkoholmissbrauch nach einer stationären Entziehungskur sei zu prüfen, ob den Arbeitnehmer ein Verschulden trifft.

Wird ein Arbeitnehmer nach einer Entziehungskur wieder rückfällig, so spreche die Lebenserfahrung dafür, dass er die erhaltenen Ratschläge missachtet habe. Darin würde im Allgemeinen ein „Verschulden gegen sich selbst“ gesehen. Es läge dann am Arbeitnehmer, die Beweisführung des Arbeitgebers zu widerlegen. In der Regel mit einem medizinischen Gutachten.

Das einzuholende medizinische Gutachten würde in der Regel zu dem Ergebnis kommen, dass dem Arbeitnehmer keine Schuld nachzuweisen ist. Damit verlöre die Arbeitgeberin den Prozess und hätte auch noch die nicht unerheblichen Gutachterkosten zu tragen.

Es sei daher konsequent, bei langjähriger Alkoholabhängigkeit dem Arbeitnehmer keine Schuld im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes vorzuwerfen. Die Krankenkasse, als Vertreterin ihres Mitgliedes, habe deshalb gegenüber der Arbeitgeberin Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Gegen das Urteil ist die Revision zugelassen, insbesondere weil das Urteil in Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes steht.