Entgeltfortzahlung über 6 Wochen hinaus
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.09.2014, Aktenzeichen 10 AZR 651/12
Schließt sich an eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eine weitere Periode der Arbeitsunfähigkeit an, so beginnt unter Umständen eine neue Periode der Entgeltfortzahlung.
Ein Omnibusfahrer wurde wegen des Verdachts eines Herzinfarktes in ein Krankenhaus eingeliefert und war anschließend 6 Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Direkt danach war er wegen einer Vorsorgekur arbeitsunfähig. Die Arbeitgeberin leistete über einen Zeitraum von 6 Wochen Entgeltfortzahlung. Für die anschließende Vorsorgekur erbrachte sie keine Zahlungen. Die Krankenkasse des Busfahrers wandte sich an die Arbeitgeberin und erklärte in einem Schreiben, die Vorsorgekur stehe ich keinem ursächlichen Zusammenhang mit einer Vorerkrankung.
In seiner Klage vor dem Arbeitsgericht vertrat der Busfahrer die Auffassung, die Arbeitgeberin, habe für die Vorsorgekur erneut Entgeltfortzahlung zu erbringen. Die Vorsorgekur stehe in keinem Zusammenhang mit seiner Herzerkrankung. Es läge auch kein einheitlicher Versicherungsfall vor, weil sich die Vorsorgekur nicht unmittelbar an die vorherige Zeit der Arbeitsunfähigkeit anschließe.
Die Arbeitgeberin hingegen vertrat die Ansicht, beide Fälle bildeten eine Einheit. Es käme nur eine einmalige Vergütung in Betracht. Es sei kein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung entstanden. Es sei zudem davon ausgehen, das beide Fälle der Verhinderung auf der gleichen Ursache beruhten.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) wiesen die Klage ab. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Busfahrer sein Anliegen weiter. Er beantragte die Zahlung der Entgeltfortzahlung für den Zeitraum der Vorsorgekur.
Das BAG entschied, mit der vom LAG erteilten Begründung könne die Klage nicht abgewiesen werden. Das BAG könne jedoch nicht abschließend entscheiden. Es sei nicht geklärt ob Arbeitsunfähigkeit und Bewilligung der Vorsorgekur auf demselben Leiden beruhten.
Treffen eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zusammen, fände der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles keine Anwendung.
Erkranke ein Arbeitnehmer und werde dadurch arbeitsunfähig krank, so habe er Anspruch auf bis zu 6 Wochen Entgeltfortzahlung, vorausgesetzt ihn treffe kein Verschulden für die Krankheit. Trete während der Erkrankung eine weitere Erkrankung auf, so bleibe der Anspruch auf 6 Wochen begrenzt und rufe keinen weiteren Anspruch auf Entgeltfortzahlung hervor. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles könne der Arbeitnehmer auch in diesem Fall nur einmal die Sechs-Wochen-Frist in Anspruch nehmen.
Eine weitere Fortzahlung der Vergütung käme nur dann in Betracht, wenn zum Beginn der zweiten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die erste krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bereits beendet wäre. Nach der laufenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) war dies auch dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer zwischen beiden Krankheiten nur wenige Stunden außerhalb der Arbeitszeit arbeitsfähig war.
Das BAG führte aus:
Der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls findet keine Anwendung, wenn eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG zusammentrifft.
Mit seiner Formulierung in § 9 Abs. 1 Satz 1 und §§ 3 bis 4a und 6 bis 8 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) entspreche der Gesetzgeber der Auffassung, dass sich eine Arbeitsverhinderung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sich deutlich von einer Arbeitsverhinderung wegen einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation unterscheide.
Grundlage für die Bewilligung einer Maßnahme zur medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation sei gerade nicht die Arbeitsunfähigkeit. Eine Krankheit könne Anlass für eine medizinische Vorsorgekur oder Rehabilitation sein. Das sei jedoch nicht zwingend und oftmals im Bereich der medizinischen Vorsorge nicht der Fall. Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation seien in der Regel Einzelmaßnahmen, die oftmals einer Bewilligung durch den Sozialleistungsträger bedürfen und weniger häufig aufträten als krankheitsbedingte Arbeitsverhinderungen. Die Billigkeitserwägungen, die Anlass für die Rechtsprechung zur Einheit des Verhinderungsfalls bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit seien, kämen deshalb hier nicht zum Tragen. Eine unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeber würde durch die in § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG angeordnete Geltung des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG verhindert.
Die Rechtsprechung im Falle mehrerer hintereinander folgender krankheitsbedingter Arbeitsverhinderungen könnte nicht auf diesen Rechtsstreit übertragen werden.
Es käme auch nicht darauf an, welche Schicht der Omnibusfahrer am letzten Tag seiner Krankschreibung geleistet hätte und ob seine Schicht vor oder nach 24.00 Uhr beendet wäre. Ebenso wäre nicht entscheidend, wann die Arbeitsverhinderung wegen der Vorsorgekur begann. Ob ein Zeitraum vorgelegen habe, in dem der Omnibusfahrer arbeitsfähig war, sei ebenfalls nicht entscheidend.
Das Landesarbeitsgericht habe jedoch nicht ausgeführt, inwiefern die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG anwendbare Einwendung aus § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG zum Tragen kommen könnte. Es sei deshalb vom LAG zu prüfen, ob die Ursache für die Bewilligung der Vorsorgekur auf demselben Grundleiden der Arbeitsunfähigkeit beruhe und damit eine Fortsetzungserkrankung darstelle. Ein erneuter Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zu 6 Wochen entstehe nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruhe. Dieser Grundsatz gelte auch für den Zusammenhang zwischen einer Arbeitsunfähigkeit und einer folgenden Maßnahme der Vorsorge und Rehabilitation. Würden beide Maßnahmen auf einem gemeinsamen Grundleiden beruhen, so bestünde nur einmaliger Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zu 6 Wochen.
Zur Darlegung unterschiedlicher Grundleiden habe der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin zunächst ärztliche Bescheinigungen vorzulegen. Bezweifele die Arbeitgeberin, dass es sich um unterschiedliche Grundleiden handele, habe der Arbeitnehmer entsprechende Tatsachen vorzutragen. Dafür sei der behandelnde Arzt sowie der Träger der Vorsorgemaßnahme von der Schweigepflicht zu befreien. Ergebe sich daraus kein Nachweis, habe die Arbeitgeberin die Folgen zu tragen.
Seiner Darlegungslast sei der Omnibusfahrer bisher nicht nachgekommen. Aus dem Schreiben der Krankenkasse sein zwar zu erkennen, dass die Vorsorgekur in keinem Zusammenhang mit einer Vorerkrankung stehe oder aufgrund einer anderen Krankheit durchgeführt wurde. Das Schreiben enthalte jedoch keine Angaben zum tatsächlichen Anlass der Vorsorgekur. Deshalb sei die Arbeitgeberin nicht in der Lage die Wertung der Krankenkasse zu überprüfen.
Das LAG werde dem Omnibusfahrer Gelegenheit geben müssen, die Ursachen für die Bewilligung der Kur dazulegen. Anschließend läge es an der Arbeitgeberin zu beweisen, dass beide Verhinderungsfälle auf einem gemeinsamen Grundleiden beruhten.