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Abmahnung vor Kündigung

Verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung unwirksam

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.07.2014, Aktenzeichen 1 AZR 434/13

Eine Kündigung, die auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers beruht, setzt eine Abmahnung voraus. Es ist davon auszugehen, dass bereits eine Abmahnung einen positiven Einfluss auf das Arbeitsverhältnis nach sich zieht und künftige Vertragstreue herbeiführt.

Eine leitende Mitarbeiterin erkrankte arbeitsunfähig. Während dieser Zeit beantragte sie beim Versorgungsamt ihre Anerkennung als Schwerbehinderte. Davon unterrichtete sie ihre Arbeitgeberin. Am ersten Arbeitstag nach der Arbeitsunfähigkeit wurde der leitenden Mitarbeiterin mitgeteilt, sie sei bis auf Weiteres gegenüber den Mitgliedern ihres Teams nicht mehr weisungsberechtigt. Gleichzeitig wurde ihr ein Einzelbüro zugewiesen. Sie wurde von ihrer Arbeitgeberin beauftragt, eine Kollegin in Reporting-Aufgaben einzuweisen, die Bestandteil ihres Arbeitsumfanges waren.

11 Tage nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit beantragte die leitende Angestellte beim Arbeitsgericht, im Rahmen einer einstweiligen Verfügung, sie in ihrer ursprünglichen leitenden Tätigkeit zu beschäftigen. Hilfsweise beantragte sie die Zuweisung einer Tätigkeit, die der Wertigkeit dieser Position entspreche.

Ihrem Gesuch fügte sie unter anderem eine eidesstattliche Versicherung bei. Darin erklärte sie unter anderem, dass ihr seit der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit faktisch keine Aufgaben mehr übertragen wurden. Ihr seien sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden. Sie sitze in einem „leeren Büro“ und dürfe keinen Kontakt zu ihren Mitarbeitern und Kollegen haben und ihnen keine Weisung mehr erteilen.

Wenige Tage später schlossen beide Parteien einen gerichtlichen Vergleich. Die Arbeitgeberin verpflichtete sich, die leitende Angestellte zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Jedoch mit der Einschränkung, kein Weisungsrecht ausüben zu dürfen. Diese Vereinbarung sollte längstens bis zur Mitte des folgenden Monats gelten. Am Ende des Monats kündigte die Arbeitgeberin ordentlich fristgerecht, zum Ende des übernächsten Monats. Die Arbeitgeberin begründete die Kündigung mit einer Falschaussage in der eidesstattlichen Erklärung der leitenden Angestellten.

Dagegen klagte die leitende Angestellte. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie habe mit ihrer eidesstattlichen Erklärung nicht ihre Vertragspflichten verletzt. Sie habe den Sachverhalt aus ihrer Perspektive dargestellt. Mit dem Ausdruck „leeres Büro“ habe sie erkennbar ein menschen- und aufgabenleeres Büro gemeint. Die einer Kollegin übertragenen Reporting-Aufgaben hätten neben der Personalführung den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit gebildet. Sie hätte keine konkreten Arbeitsanweisungen mehr erhalten. Sie sei vom innerbetrieblichen E-Mail Verkehr abgeschnitten gewesen und sonstige Post hätte sie nicht mehr erreicht. Sie sei auch nicht mehr zu Konferenzen, zur Weihnachtsfeier oder anderen Treffen im Kollegenkreis eingeladen worden.

Die leitende Angestellte beantragte beim Arbeitsgericht festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht mit der ordentlichen Kündigung aufgelöst wurde. Weiterhin beantragte sie, die Arbeitgeberin zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Arbeitgeberin beantragte, die Klage abzuweisen. Hilfsweise beantragte die Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zum Termin der ordentlichen Kündigung zu beenden.

Die Kündigung sei im Verhalten der leitenden Angestellten bedingt da sie im vorausgegangenen Verfahren vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben hätte. Es sei objektiv falsch, dass ihr sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden seien. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die leitende Angestellte habe versucht, durch eine verzerrende Darstellung der betrieblichen Verhältnisse einen Prozesserfolg zu erzielen.

Der Auflösungsantrag sei in jedem Fall begründet. Es sei keine den Betriebszwecken dienlich Zusammenarbeit mehr zu erwarten. Mittlerweile führe man mehrere Rechtsstreitigkeiten gegeneinander in denen die leitende Angestellte mehrfach falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Zudem sei die leitende Angestellte nicht bereit, ihre neue Vorgesetzte zu akzeptieren.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Klage ab. Mit der Revison vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte die leitende Angestellte die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Das BAG hob das Urteil des LAG auf und stellte die Entscheidung des Arbeitsgerichts wieder her. Zur weiteren Entscheidung wurde das Verfahren an das LAG zurückverweisen. Das LAG habe insbesondere über den erst in der zweiten Instanz beim LAG gestellten Auflösungsantrag der Arbeitgeberin zu entscheiden.

Das BAG stellte fest, die Kündigung sei unwirksam, da sie nicht im Verhalten der leitenden Angestellten begründet und deshalb sozial ungerechtfertigt sei.

Der Kontext, in dem die leitende Angestellte ihre Erklärung abgab, lasse darauf schließen, dass die Klägerin mit ihrer Aussage einen wertenden, von ihrem subjektiven Empfinden geprägten Schluss habe ziehen wollen, der auf dem Ausbleiben von Aufgabenzuweisungen beruhte. Darauf, ob diese Wertung objektiv vertretbar war, komme es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall war, würde dadurch die Äußerung nicht zu einer reinen Tatsachenbehauptung.

Es sei nicht relevant ob die Ausführungen zum „faktischen“ Fehlen von Arbeitsaufgaben, eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil darstellten. Die Arbeitgeberin habe nicht erwiesen, dass diese Aussage falsch sei. Die entsprechende Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung habe eindeutig auf das Ausbleiben einer Zuweisung spezifischer zu erledigender Arbeiten abgezielt.

Die Aussage in einem „leeren Büro“ zu sitzen sei bereits durch die Verwendung von Anführungszeichen als Wertung und nicht als Tatsachenbehauptung gekennzeichnet. Diese Aussage könne nicht tauglicher Inhalt einer eidesstattlichen Erklärung sein.

Auch die Äußerung, sie dürfe keinen Kontakt zu anderen Mitarbeitern haben sei als wertende Beschreibung aufzufassen, selbst wenn eine Interpretation als objektive, wahrheitswidrige Aussage nicht völlig ausgeschlossen werden könne.

Die leitende Angestellte habe jedoch immer wenn sie bestimmte konkrete Anordnungen und Weisungen der Arbeitgeberin behauptet hat, dies durch zeitliche Eingrenzung deutlich gemacht.

Im Übrigen trügen die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen nicht das Ergebnis, die leitende Angestellte habe vorsätzlich falsche Angaben gemacht. Die Kündigung sei selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) bedingt, wenn zugunsten der Arbeitgeberin angenommen würde, die Äußerung der Klägerin, ihr seien „sämtliche Aufgaben entzogen worden“, stelle eine unzutreffende, die wahren Gegebenheiten verzerrende Tatsachenbehauptung dar.

Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die leitende Angestellte die ihr angelasteten Übertreibungen als notwendig erachtet hätte um ihr Verfahrensziel, die Wiederbeschäftigung als leitende Mitarbeiterin zu erreichen. Gegen die leitende Angestellte könne lediglich der Vorwurf erhoben werden, sie habe die eidesstattliche Erklärung nicht vorsichtig genug formuliert und habe in Teilen leichtfertig falsche Angaben gemacht. Eine Kündigung sei für diese Verfehlung jedoch nicht angemessen. Eine Abmahnung hätte genügt, um zukünftige Vertragstreue zu erreichen.

Ist ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zu erkennen, so sei grundsätzlich davon auszugehen, dass bereits die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses Wirkung zeigte.

Das Verhalten der leitenden Mitarbeiterin wiege nicht so schwer, dass auf eine Abmahnung hätte verzichtet werden können. Es könne mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, sie habe durch eine verzerrende Darstellung den Ausgang des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Durch den unbegründeten, unmittelbaren Entzug ihrer Führungsverantwortung sei die leitende Angestellte emotional belastet gewesen. Damit sei ihr Verhalten zwar nicht gänzlich zu entschuldigen, erscheine aber in einem milderen Licht.

Zu entscheiden sei noch der Hilfsantrag der Arbeitgeberin zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Wegen mangelnder Entscheidungsreife sei die Sache an das LAG zurückzuverweisen. Das LAG habe über den Hilfsantrag zunächst aufgrund des erteilten Urteils nicht zu entscheiden gehabt. Das LAG habe nun zu prüfen ob Gründe vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen.

Die Zurückverweisung unterliege dem Antrag der leitenden Angestellten auf vorläufige Weiterbeschäftigung in der zuletzt ausgeführten Funktion bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.