Nach Ankündigung der Pflegezeit keine Kündigung möglich
Landesarbeitsgericht Thüringen, Urteil vom 02.10.2014, Aktenzeichen 6 Sa 345/13
Beantragt ein Arbeitnehmer die Pflege eines nahen Angehörigen mit Pflegestufe, kann die Arbeitgeberin bis zum Ende der Pflegezeit keine Kündigung aussprechen.
Die Arbeitgeberin führte mit ihrem Plantmanager Gespräche über Trennungsmodalitäten, nachdem aus Sicht der Arbeitgeberin klar war, das Arbeitsverhältnis zum Plantmanager sollte beendet werden.
Der Plantmanager bat um Zeit, um sich anwaltlich beraten lassen zu können.
Die Arbeitgeberin orientierte, dass es noch im gleichen Monat zu einer Kündigung kommen würde, falls keine Einigung über einen Aufhebungsvertrag erzielt würde. Wenige Tage später beantragte der Plantmanager eine Woche Pflegezeit zur Pflege seines Vaters. Die Pflegezeit war für sechs Monate später, kurz vor den Weihnachtsfeiertagen bestimmt. Am gleichen Tag, an dem der Antrag zur Pflegezeit einging, informierte die Arbeitgeberin den Plantmanager über seine fristgerechte Kündigung zum Ende des Jahres.
Gegen die Kündigung klagte der Plantmanager vor dem Arbeitsgericht. Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Er sei kein leitender Angestellter und es habe keine Anhörung des Betriebsrats stattgefunden. Er beantragte festzustellen, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung nicht aufgelöst worden, sowie den Auflösungsantrag der Arbeitgeberin abzuweisen.
Die Arbeitgeberin beantragte, die Klage abzuweisen. Im Falle des Unterliegens solle das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst werden.
Der Plantmanager sei als Werksleiter leitender Angestellter. Eine Anhörung des Betriebsrats müsse deshalb nicht erfolgen. Die Berufung auf den Kündigungsschutz im Rahmen der Ankündigung der Pflegezeit sei rechtsmissbräuchlich.
Die Abläufe in der Kündigungsphase zeigten, dass der Plantmanager keine ernsthafte Pflegeabsicht gehabt hätte. Er hätte sich nur rechtzeitig vor dem Zugang der angekündigten Kündigung einen Kündigungsschutz erschleichen wollen. Zur Sicherung der Pflegezeit sei eine so frühe Ankündigung nicht notwendig gewesen.
Das Arbeitsgericht wies den Auflösungsantrag der Arbeitgeberin zurück und stellte fest, die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt, weil keine betriebsbedingten Gründe für die Kündigung dargelegt wurden. Da eine andere Person mit den Aufgaben des Plantleiters beschäftigt wurde, seien die Aufgaben nicht weggefallen. Personenbedingte Gründe für die Kündigung seien nicht gegeben, die behaupteten schlechten Leistungen wurden nicht detailliert genug vorgetragen. Eine verhaltensbedingte Kündigung sei auch nicht gerechtfertigt, da es den Verhaltensvorwürfen an Substanz fehle und die Kündigung unverhältnismäßig sei, da sie ohne vorherige Abmahnung ausgesprochen wurde.
Die Kündigung verstoße gegen § 5 Abs. 1 PflegeZG (Pflegezeitgesetz) und sei gemäß § 134 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) unwirksam.
Die Arbeitgeberin legte vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Thüringen Berufung ein.
Das LAG entschied, die Kündigung sei unwirksam. Die Kündigung verstoße gegen § 5 Abs. 1 PflegeZG. Die Arbeitgeberin dürfe von der Ankündigung bis zum Ende der Pflegezeit nicht kündigen. Es lägen die Voraussetzungen für den Anspruch auf Freistellung zur Pflege vor.
Obwohl die Bescheinigung zur Pflegestufe 1 bereits 4 Jahre vorher ausgestellt wurde, habe das Gericht keinen Zweifel an ihrer aktuellen Gültigkeit. Es gäbe keine Erkenntnisse, dass die Pflegebedürftigkeit zurückgegangen sein könnte. Die Kündigung sei zwei Tage nach der Ankündigung der Pflegezeit zugegangen und damit im bereits bestehenden Kündigungsverbots.
Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin gebe es keine maximal zulässige Vorankündigungsfrist. In der Vorschrift sei der Verbotszeitraum für die Kündigung von der Ankündigung bis zur Beendigung formuliert. Die Vorschrift enthalte keine weiteren Regelungen.
Der Kündigungsschutz im PflegeZG beeinträchtige die im Grundgesetz garantierte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Arbeitgeber. Jede Beeinträchtigung der Kündigungsfreiheit der Arbeitgeber greife in die grundrechtlich geschützten Belange der Arbeitgeberin ein.
Mit dem Kündigungsschutz im PflegeZG verfolge der Gesetzgeber jedoch ein angemessenes, legitimes Ziel des Grundrechtseingriffes. Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen sei als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten. Die Belange des Pflegebedürftigen, in häuslicher Umgebung gepflegt zu werden, stünden im Vordergrund. Damit würde seine Subjektivität in den Mittelpunkt gestellt. Im Gegensatz dazu steht eine Pflege in Einrichtungen, wo der Pflegebedürftige immer auch Bestandteil der wirtschaftlichen Betätigung sei, und damit in seiner Menschenwürde berührt würde.
Der Kündigungsschutz im PflegeZG solle während der Absicht einen nahen Angehörigen zu pflegen die Sorge einer Kündigung nehmen und damit die Entscheidung zur Pflege erleichtern. Zur Verfolgung dieses Zieles sei der gesetzgeberische Eingriff in die Grundrechte der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Arbeitgeberin verhältnismäßig. Zudem sei das Kündigungsverbot mit einem Erlaubnisvorbehalt verbunden. Damit könne die Arbeitgeberin im Einzelfall bei der zuständigen Landesbehörde die Erlaubnis zum Ausspruch einer Kündigung einzuholen. Die Arbeitgeberin könne in diesem Verfahren ihre besonderen Belange, welche die Belange des pflegewilligen Arbeitnehmers überwiegen, vortragen und gegebenenfalls eine Entscheidung im verwaltungsrechtlichen Rahmen überprüfen lassen.
Es könne im Zusammenhang mit dem Pflegeantrag kein Rechtsmissbrauch festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweispflicht hierfür liege bei der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin habe genügen Anhaltspunkte vorgetragen, die auf einen Rechtsmissbrauch hindeuteten. Zum Zeitpunkt des Pflegeantrags war dem Plantmanager bekannt, dass die Arbeitgeberin eine Kündigung in Erwägung zog, für den Fall, dass ein Aufhebungsvertrag nicht zustande komme. Anhand dieses zeitlichen Zusammenhanges erscheine es möglich, dass es dem Plantmanager weniger auf die Pflege ankam als vielmehr, die Kündigung zu verhindern. Dafür spreche auch die zeitlich mit 6 Monaten weit entfernte und mit 1 Woche ungewöhnlich kurze Pflegezeit. Es sei deshalb nicht abwegig, wenn die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer unter diesen Umständen den ernsthaften Willen zur Pflege absprechen möchte.
Fehle einer Person der ernsthafte Wille zur Pflege, läge ein Rechtsmissbrauch durch Ankündigung der Pflegezeit in Anbetracht einer drohenden Kündigung nahe.
Der Plantmanager habe jedoch die Situation plausibel erklärt und Umstände vorgetragen, die seinen ernsthaften Pflegewillen belegten. Es sei plausibel, dass die pflegende Mutter in der Vorweihnachtszeit einen hohen Aufwand zur Vorbereitung des Festes hätte und deshalb entlastet werden möchte. Eine länger Zeit der Entlastung hätte die Mutter auch nicht gewollt, da sie lieber selbst die Pflege ihres Ehemannes durchführe. Es handele sich hier um nur schwer wiederlegbare, innere Tatsachen. Die Arbeitgeberin habe dazu nicht Stellung genommen.
Sei eine Pflege ernsthaft gewollt, stelle es keinen Rechtsmissbrauch dar, die Pflegezeit im zeitlichen Zusammenhang mit einer vorher angedrohten Kündigung anzukündigen. Es sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn ein pflegewilliger Arbeitnehmer sich die wirtschaftliche Grundlage für eine unbezahlte Auszeit sichere.
Der Antrag der Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen sei nicht begründet. Es handele sich hier um einen Sonderkündigungstatbestand mit teilweise anderen Zielen als das Kündigungsschutzgesetz. Zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses fehle hier die notwendige behördliche Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 PflegeZG.