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Betriebsrat im entfernten Betriebsteil

Betriebsrat in einem räumlich getrennten Betriebsteil

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 06.02.2015, Aktenzeichen 4 TaBV 60/14

Ein Betriebsteil der 11 km entfernt liegt, kann bei langen Fahrtzeiten als räumlich weit entfernt vom Hauptbetriebsteil gelten.

Die Entfernung zwischen zwei Produktionsstandorte eines weltweiten Chemiekonzern beträgt etwa 11 km. An beiden Standorten sind Betriebsräte gebildet. Die Arbeitgeberin bestreitet, dass im kleineren der beiden Standorte mit 152 Mitarbeitern ein Betriebsrat notwendig sei. Alle organisatorischen Abläufe wie Personalentscheidungen, disziplinarische Maßnahmen usw. würden vom Hauptbetriebsteil mit 1536 Mitarbeitern getroffen.

Die Arbeitgeberin auf der einen Seite und die Betriebsräte beider Standorte auf der anderen Seite äußerten unterschiedliche Auffassungen über die Wegezeiten zwischen beiden Standorten.

Die Arbeitgeberin war der Auffassung, dass es sich um einen einheitlichen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) handele. Zumindest sei der kleinere Betriebsteil dem größeren Betriebsteil zuzuordnen. Ein leitender Mitarbeiter, der zwischen beiden Standorten sehr häufig pendele, benötige mit dem Fahrzeug erfahrungsgemäß zwischen 20 und 30 Minuten Fahrzeit. Der überwiegende Teil der Mitarbeiter verfüge über ein Dienstfahrzeug oder einen privates Kraftfahrzeug. Zusätzlich könnten die Betriebsratsmitglieder die Dienste eines privaten Taxiunternehmens nutzen, mit dem ein Rahmenvertrag abgeschlossen wurde. Den anderen Mitarbeitern sei es zumutbar, in den Ausnahmefällen, in denen sie den Hauptbetriebsteil aufsuchten, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.

Die Arbeitgeberin beantragte vor dem Arbeitsgericht feststellen zu lassen, dass der kleinere Standort als Betriebsteil nicht selbständig betriebsratsfähig ist und dem größeren Hauptstandort zuzuordnen sei.

Die Betriebsräte der beiden Standorte beantragten, die Klage zurückzuweisen. Zudem beantragte der Betriebsrat des kleineren Standortes feststellen zu lassen, dass die kleinere Betriebsstätte einen betriebsratsfähigen Betriebsteil im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BetrVG, hilfsweise im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG darstellt, und dort ein eigenständiger Betriebsrat gewählt werden kann.

Sämtliche Anträge wurden vom Arbeitsgericht abgewiesen. Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) verfolgte die Arbeitgeberin ihren Antrag weiter.

Das LAG erklärte, es könne dahinstehen, ob der Standort eine betriebsratsfähige Organisationseinheit sei. Die Produktionsanlagen des kleineren Standortes seien als Betriebsteil im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG anzusehen.

Für die Abgrenzung zwischen Betrieb und Betriebsteil sei der Grad der Verselbständigung entscheidend. Für ein Mindestmaß an organisatorischer Selbständigkeit genüge es, wenn die Arbeitseinteilung im Betriebsteil vorgenommen werde, oder auch nur arbeitstechnische Weisungen von der Leitung des Betriebsteils erteilt werden.

Die deutliche räumliche Trennung und die Institutionalisierung einer Führungsperson sprächen ausreichend für einen eigenständigen Betriebsteil. Eine rechtlich unbestimmte Bewertung allein nach Entfernungskilometern käme nicht in Betracht.

Eine räumliche Trennung läge bereits dann vor, wenn der Betriebsrat des Hauptbetriebes die Belegschaft des Betriebsteils nicht ordnungsgemäß betreuen könne. Das ist der Fall, wenn die persönliche Kontaktaufnahme zum Betriebsrat so erschwert ist, dass der Betriebsrat die Interessen der Arbeitnehmer nicht mit der notwendigen Intensität und Sachkunde wahrnehmen kann, und sich die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen an den Betriebsrat wenden können oder Betriebsratsmitglieder, die im Betriebsteil beschäftigt sind, nicht kurzfristig zu Sitzungen in den Hauptbetrieb gelangen können.

Die persönliche Erreichbarkeit des Betriebsrats könne nicht daran gemessen werden, wie der Betriebsrat per Post, Telefon und anderer moderner Kommunikationsmittel ansprechbar sei. Der Schwerpunkt liege ganz klar auf der persönlichen Erreichbarkeit.

Falls einer nicht unerhebliche Zahl von Mitarbeitern nicht dauerhaft ein PKW zur Verfügung steht, wie im vorliegenden Fall, sei die Erreichbarkeit nicht ausreichend sichergestellt. Dabei komme es nur darauf an, dass den Arbeitnehmern in der Nähe des Teilbetriebes ein PKW zur Verfügung stehe, nicht ob sie diesen persönlich besitzen.

Alternativ könnte die Erreichbarkeit des Hauptbetriebes mit einem Zubringerdienst sichergestellt werden. Stünden weder PKW noch Zubringerdienst zur Verfügung, sei die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu betrachten.

Inklusive aller innerbetrieblichen Zeiten für Umkleiden, Fußweg zum Parkplatz, Wartezeit beim Pförtner und Fußweg im anderen Betriebsteil ergab sich selbst bei Benutzung des PKW eine Wegezeit von nahezu 2 Stunden. Für diesen konkreten Fall sei das zu viel urteilte das LAG. An mindestens einer Anlage des Betriebsteils könnte die Schicht aus technischen Gründen nicht länger als 30 Minuten unterbrochen werden.

Selbst wenn nur 10% der Mitarbeiter während der Arbeitszeit keinen PKW zur Verfügung hätten, wäre das ein nicht unerheblicher Teil der Belegschaft. Deshalb müsse auch die Wegezeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrachtet werden. Insbesondere weil kein Zubringerdienst institutionalisiert sei. Die reine Wegezeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen den Pförtnern der beiden Standorte, ohne innerbetriebliche Zeiten, betrage 1,5 Stunden.

Die Taxinutzung könnte nur dann als eine solche Institutionalisierung angesehen werden, wenn jeder Mitarbeiter jederzeit und kostenfrei und ohne Erlaubnis seines Vorgesetzten den Betriebsrat mit dem Taxi besuchen könne. Der Rahmenvertrag mit dem Taxiunternehmen reiche dafür nicht aus.

In Anbetracht der konkreten Umstände sei der kleinere Standort als Betriebsteil im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG anzusehen.

Gegen das Urteil wurde die Rechtsbeschwerde zugelassen.