Urlaubsabgeltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. 05.2015, Aktenzeichen 9 AZR 725/13
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind während der Elternzeit erworbene Urlaubsansprüche finanziell abzugelten.
Eine Ergotherapeutin ging nach Feststellung der Schwangerschaft und Ablauf der Mutterschutzfrist in Elternzeit. Die Parteien beendeten das Arbeitsverhältnis nach mehr als einem Jahr Elternzeit. Die Ergotherapeutin verlangte wenige Tage nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses von ihrer Arbeitgeberin erfolglos die Abgeltung ihrer Urlaubsansprüche für die Zeiträume von Mutterschutz und Elternzeit. Vor dem Arbeitsgericht verfolgte sie ihre Ansprüche weiter.
In der Klageerwiderung vor dem Arbeitsgericht erklärte die Arbeitgeberin, sie kürze den Anspruch auf Erholungsurlaub für jeden vollen Monat der Elternzeit um ein Zwölftel. Nach Ansicht der Arbeitgeberin sei die Kürzungserklärung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich.
Die Ergotherapeutin erklärte hingegen, die Arbeitgeberin hätte diese Erklärung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr abgeben können und beantragte den vollen finanziellen Ausgleich für die Urlaubsansprüche.
Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) hatte die Klage teilweise Erfolg. Für den Zeitraum der Elternzeit wurde die Arbeitgeberin zur Zahlung der Urlaubsabgeltung verurteilt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte das Urteil des LAG.
Die Arbeitgeberin habe den Abgeltungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht wirksam gekürzt. Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ((Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz), wonach der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen könne, setze voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch bestehe.
Auch die Ansprüche aus dem Jahr, im dem die Elternzeit begann, bestünden weiterhin. § 17 Abs. 2 BEEG stelle sicher, dass die Inanspruchnahme der Elternzeit nicht zum Verfall des Erholungsurlaubs führe. Die Urlaubsansprüche bestanden nach Auffassung des BAG bereits mit dem Beginn des Jahres des Elternzeitbeginns. Vor dem Beginn der Elternzeit habe die Ergotherapeutin den Urlaub nicht erhalten.
Die Arbeitgeberin könne während der Elternzeit den Erholungsurlaub kürzen, müsse davon aber keinen Gebrauch machen. Nehme die Arbeitgeberin ihr Recht der Kürzung in Anspruch, habe sie eine empfangsbedürftige rechtsverbindliche Erklärung abzugeben. Nach bisheriger Rechtsprechung war die Arbeitgeberin nicht verpflichtet, diese Erklärung während des Arbeitsverhältnisses abzugeben. Die Abgabe war selbst noch während eines späteren Rechtsstreits möglich.
In § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG sei im Wortlaut nur eine Kürzung des Urlaubsanspruchs erwähnt, nicht der Urlaubsentgeltzahlung. Nach der vollständigen Aufgabe der Surrogatstheorie könne § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG zwar auf den Urlaubsanspruch aber nicht mehr auf den Urlaubsabgeltungsanspruch angewandt werden.
Gemäß der Surrogatstherie war es in der bisherigen Rechtsprechung möglich, gleichzeitig mit dem Urlaubsanspruch, das Surrogat des Urlaubs, den Urlaubsabgeltungsanspruch zu kürzen.
Nach neuerer Rechtsprechung des BAG sei der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ein reiner Geldanspruch und nicht mehr Surrogat des Urlaubsanspruches.
Der Urlaubsabgeltungsanspruch habe seinen Ursprung in urlaubsrechtlichen Vorschriften. Sei der Anspruch jedoch erst einmal entstanden, bilde er einen Teil des Vermögens des Arbeitnehmers. Er unterscheide sich nicht mehr von anderen Ansprüchen gegenüber der Arbeitgeberin und sei als selbständiger Geldanspruch anzusehen.
Frühere Argumente der Rechtsprechung seien nicht geeignet, eine Kürzung des Urlaubsanspruches zu begründen. Die Arbeitgeberin habe durchaus bereits vor der Elternzeit von der Dauer Kenntnis, da diese im Antrag benannt werde. Der Umfang der möglichen Kürzung ergebe sich aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG mit der Formulierung „für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel“.
Würde das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit nicht fortgesetzt, könne die Arbeitgeberin während der einzuhaltenden Kündigungsfristen von ihrer Befugnis zur Kürzung des Anspruchs auf Erholungsurlaub gebrauch machen. Ein schutzwürdiges Interesse der Arbeitgeberin, Ansprüche erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu kürzen, fehle deshalb.
§ 17 Abs. 4 BEEG sehe keine rückwirkende Kürzung des von der Elternzeit erfüllten Urlaubsanspruchs und ebenso keine Rückforderung des gezahlten Urlaubsentgeltes vor. Die Verrechnungsmöglichkeit sei kein rückwirkendes Gestaltungsrecht, sondern die Befugnis bestehende und zukünftige Urlaubsansprüche zu kürzen.
Die Arbeitgeberin könne sich nicht auf ein geschütztes Vertrauen in die bisherige Rechtsprechung des BAG berufen. Höchstrichterliche Rechtsprechung sei kein Gesetzesrecht und erzeuge keine entsprechende Rechtsbindung. Es verstoße nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Grundgesetz), eine bisherige Rechtsprechung aufzugeben. Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sei auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet sei und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung halte.
Für die Arbeitgeberin habe bereits mit Ablauf der Umsetzungsfrist der ersten europäischen Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 kein schützenswertes Vertrauen mehr in den Fortbestand der bisherigen Senatsrechtsprechung zur Surrogatstheorie bestanden. Spätestens mit Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (- 12 Sa 486/06 -) habe ein umfassender Vertrauensverlust in den Fortbestand der Surrogatstheorie angenommen werden müssen.