Geplanter Personalabbau ist kein Geschäftsgeheimnis
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.05.2015, Aktenzeichen 3 TaBV 35/14
Ein Personalabbau, der einer Pflicht zum Interessenausgleich unterliegt, kann ohne objektiv berechtigtes wirtschaftliches Interesse der Arbeitgeberin nicht als geheim deklariert werden.
Die Arbeitgeberin unterrichtete Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung in Form eines Personalabbaus. Diese Information unterliege im Sinne von § 79 des BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) der Geheimhaltung. Der Personalabbau betreffe alle 285 Mitglieder der Vertriebslinie „Diabetes“ innerhalb der nächsten zwei Monate.
Die Arbeitgeberin nannte als Gründe für die Geheimhaltung bereits präsente Unruhe und Befürchtungen im Unternehmen. Zudem solle den Mitarbeitern eine gemeinsame Lösung kommuniziert werden. Als nächste Schritte wurden während der Unterrichtung Verhandlungen mit konkreten Terminvorschlägen über Sozialplan und Interessenausgleich angekündigt.
Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin mit anwaltlichem Schreiben auf klarzustellen, warum es sich beim beabsichtigten Personalabbau um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis handele. Der Betriebsrat beabsichtige eine baldige Unterrichtung der Betriebsöffentlichkeit.
In einem Antwortschreiben wiederholte die Arbeitgeberin, dass sämtliche Informationen die im Rahmen der Unterrichtung übermittelt wurden, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne des Gesetzes seien. Die einseitige Veröffentlichung der Informationen stelle eine massive Belastung der vertrauensvollen Zusammenarbeit dar. Die Arbeitgeberin werde jedes Betriebsratsmitglied persönlich strafrechtlich und haftungsrechtlich für seine Handlungen verantwortlich machen.
Zwei Tage später teilte der Betriebsrat unter dem Betreff „geheim“ den Mitarbeitern mit, dass er über eine geplante mitbestimmungspflichtige Maßnahme im Diabetes Vertriebsbereich informiert wurde, die Arbeitgeberin aber die übermittelten Informationen unter Strafandrohung als geheim deklariert habe.
Am folgenden Tag erschien in einer Online-Publikation ein Bericht, der erklärte dem Betriebsrat sei ein Maulkorb verpasst worden. Weitere regionale und überregionale Medien berichteten in den nachfolgenden Tagen. Einer dieser Beiträge verkündete, 300 Mitarbeiter bangen um ihren Job.
Im weiteren Schriftverkehr mit der Arbeitgeberin legte der Betriebsrat dar, dass er sich in seiner Betriebsratsarbeit behindert fühle und eine Strafanzeige erwäge. Die Arbeitgeberin verteidigte ihre Auffassung zur Geheimhaltung. Die Rechtslage könne sich frühestens mit der Beendigung der Verhandlungen über den Interessenausgleich ändern. Das Verhalten des Betriebsrats habe bereits zu einer rechtswidrigen Veröffentlichung geführt.
Wenige Tage später leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht ein. Es sollte festgestellt werden, dass die Mitteilung zum Personalabbau kein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis im Sinne von § 79 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ist. Die Feststellung sollte zudem klarstellen, dass die Arbeitgeberin zu unterlassen habe den Betriebsrat in seiner Arbeit zu behindern, indem ein geplanter Personalabbau als Geschäftsgeheimnis deklariert wird, sowie die Feststellung dass über die mitgeteilte Maßnahme gegenüber der Belegschaft, zumindest aber gegenüber den betroffenen Mitarbeitern kommuniziert werden darf.
Die Arbeitgeberin beantragte, für die Dauer der Verhandlungen die Öffentlichkeit vom Verfahren auszuschließen. Dieser Antrag wurde in der Güteverhandlung zurückgewiesen.
Die anwesende Presse erhielt Kenntnis vom geplanten Personalabbau. Die Arbeitgeberin informierte am gleichen Tag ihre Mitarbeiter über die bevorstehende Betriebsänderung. Im Anschluss daran hielt die Arbeitgeberin den Vorgang nicht mehr für geheimhaltungsbedürftig, das Begehren des Betriebsrats habe sich damit erledigt.
In der Einigungsstelle wurden zwischenzeitlich die Verhandlungen über den Interessenausgleich für gescheitert erklärt. Die Sozialplanverhandlungen dauerten an. Der Personalabbau wurde umgesetzt.
Der Betriebsrat fühlte sich durch die unbegründete Geheimhaltungsstrategie und Strafandrohung weiterhin verängstigt sowie in seiner Arbeit behindert.
Das Arbeitsgericht gab dem Hauptantrag des Betriebsrats statt. Für den Betriebsrat bestehe das Rechtsschutzinteresse wegen der angedrohten weitreichenden auch strafrechtlichen Konsequenzen. Im Stadium der Aufforderung an den Betriebsrat zur Aufnahme von Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan könne es sich nicht mehr um Geschäftsgeheimnisse handeln.
Die Arbeitgeberin legte beim Landesarbeitsgericht (LAG) Beschwerde gegen die Entscheidung ein. Der Beschluss sei rechtsfehlerhaft. Durch die Information der Belegschaft habe sich das Anliegen des Betriebsrats erledigt. Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzung des Verfahrens.
Im Anhörungsverfahren vor dem LAG erklärte die Arbeitgeberin auf Befragung, dass sie nicht mehr beabsichtige, jedes Betriebsratsmitglied persönlich und strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der im Zusammenhang mit der Aufnahme von Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan mitgeteilte Personalabbau war kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis.
Das Begehren des Betriebsrats bedürfe der Auslegung, da es nicht ausschließlich vergangenheitsbezogen sei. Der Betriebsrat wollte geklärt haben, dass Personalabbaumaßnahmen nicht pauschal als Betriebsgeheimnis oder Geschäftsgeheimnis deklariert, und damit der Kommunikation gegenüber der Belegschaft, betroffenen Arbeitnehmern und Dritten entzogen werden können.
Der Betriebsrat wollte geklärt haben, dass er im Rahmen der Ausübung seiner Mitbestimmungsrechte auch mit den Betroffenen über den Personalabbau und seinen Umfang kommunizieren kann, ohne sich dem Vorwurf der Geheimnisverletzung auszusetzen.
Ob eine Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliege, sei objektiv bewertbar. Zu diesen Geheimnissen zählten beispielsweise Betriebsabläufe, wirtschaftliche und kaufmännische Tatsachen sowie Fertigungsverfahren. Bestehe hingegen kein objektives Interesse, könne eine Angelegenheit nicht willkürlich zum Geschäftsgeheimnis gemacht werden. Tatsachen könnten nicht wirksam für geheimhaltungsbedürftig erklärt werden, wenn sie es objektiv nicht sind.
Das Interesse an Geheimhaltung könne nicht losgelöst vom jeweiligen Gegenstand und Sinn und Zweck eines vom Gesetzgeber geschaffenen Mitbestimmungstatbestands und den widerstreitenden Interessen betrachtet werden.
Die Rechtsauffassung der Arbeitgeberin, es liege hier bereits im Zusammenhang mit der Information des Betriebsrats über den geplanten Personalabbau im Diabetes-Außendienst ein Geschäftsgeheimnis vor, weil personelle Vorgänge wie Entlassungen und Versetzungen bis zu ihrer Durchführung oder öffentlichen Bekanntmachung sowohl in Bezug auf die betroffenen Personen als auch in Bezug auf ihr Ausmaß generell Geschäftsgeheimnisse seien, sei rechtsfehlerhaft. Gegenstand einer Geheimhaltung könnten hingegen personelle Vorgänge in Form von personellen Einzelmaßnahmen, Personalien, persönliche Daten, Gehaltsbestandteile, Eingruppierungen etc. sein.
Der gesamte Gegenstand einer rechtzeitigen Unterrichtung im Sinne des § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG über eine nach §§ 111, 112 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahme könne gegenüber dem Betriebsrat regelmäßig nicht pauschal zu einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis deklariert werden. Das gelte auch, wenn aus einer solchen Maßnahme später in der Umsetzung personelle Vorgänge wie Entlassungen oder Versetzungen entstehen. Der Vorgang an sich genieße keinen Geheimschutz.
Eine Arbeitgeberin habe kein sachlich begründetes, objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse daran, dass ein Betriebsrat generell erst kommuniziert, wenn Entscheidungen „konkret ausverhandelt sind“.
Zu den Aufgaben des Betriebsrats gehöre es, im Rahmen seiner Zuständigkeit die Belegschaft umfassend und grundlegend zu informieren. Die Einhaltung der allgemeinen Überwachungspflichten nach § 75 BetrVG bzw. § 80 BetrVG verlange zwingend, sich mit den vom Betriebsrat zu vertretenden Mitarbeitern auszutauschen. Auch die sachgerechte Wahrnehmung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte sei ohne einen Informations- und Meinungsaustausch zwischen Betriebsrat und Belegschaft nicht denkbar.
Ein Betriebsrat müsse daher in der Regel ab Beginn der Unterrichtung über konkret geplante Betriebsänderungen mit seinen Wählern und den von ihm vertretenen Arbeitnehmern kommunizieren können, erst recht wenn sie betroffen sind. Anderenfalls könne er seine Mitbestimmungsrechte nicht effektiv und sachgerecht ausüben.
Der Betriebsrat könnte mit einer Geheimhaltungspflicht im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen über einen Personalabbau und deren Zeitfenster beispielsweise dann nicht feststellen, wie viele Kündigungen erforderlich wären, ob und in welchem konkreten Umfang mildere Maßnahmen wie Aufhebungsverträge in Betracht kommen, zu welchem Zeitpunkt ein einvernehmlicher oder schubweiser Personalabbau erfolgen oder ob durch Gehaltsverzicht der geplante Personalabbau ganz oder teilweise aufgefangen werden könnte.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil wurde zugelassen, da die streitigen Rechtsfragen noch nicht höchstrichterlich entschieden wurden und von grundsätzlicher Bedeutung sind.