Urlaubsanspruch bei kurzzeitiger Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.10.2015, Aktenzeichen 9 AZR 224/14
Wird zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein neuer Arbeitsvertrag nach kurzzeitiger Unterbrechung vereinbart, so gelten beide Vertragsverhältnisse als urlaubsrechtliche Einheit.
Ein Innendienstmitarbeiter kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 30. Juni. Am 21 Juni schloss er auf Initiative der Arbeitgeberin einen neuen Arbeitsvertrag ab, wirksam ab Montag 02. Juli.
Für das zweite Arbeitsverhältnis wurde eine Probezeit von 6 Monaten vereinbart, der jährliche Urlaubsanspruch war mit 26 Arbeitstagen festgelegt.
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos am 12. Oktober des gleichen Jahres.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Innendienstmitarbeiter 3 Urlaubstage in Anspruch genommen. Er vertrat die Auffassung, er habe Anspruch auf ungekürzten Urlaub von 26 Tagen abzüglich bereits gewährter 3 Urlaubstage.
Die Erfüllung seines Urlaubsanspruches in Form von Urlaubsabgeltung beantragte der Innendienstmitarbeiter zunächst bei der Arbeitgeberin. Später beim Arbeitsgericht nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er argumentierte die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses für einen Tag sei unschädlich.
Die Arbeitgeberin hingegen argumentierte, es bestehe kein voller Urlaubsanspruch, da das Arbeitsverhältnis am 1. Juli unterbrochen war.
Das Arbeitsgericht verurteilte die Arbeitgeberin zur Abgeltung von 23 Urlaubstagen. In einer eingeschränkten Berufung wandte sich die Arbeitgeberin vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) gegen die Verurteilung zur Abgeltung von 6 Urlaubstagen. Die Arbeitgeberin vertrat nun die Auffassung, der Innendienstmitarbeiter hätte nur Anspruch auf anteiligen Urlaub von 17 Tagen, entsprechend seines Arbeitsaufwandes in diesem Jahr. Das LAG wies die Berufung zurück.
Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) wiederholte die Arbeitgeberin ihr Begehren auf Revision für 6 Arbeitstage.
Das BAG erklärte, die Arbeitgeberin sei zu recht zur Abgeltung der streitigen 6 Arbeitstage verurteilt worden.
Dem Innendienstmitarbeiter stünden nach Abzug der 3 bereits gewährten Urlaubstage, 23 Tage Vollurlaub zu und nicht nur 17 Tage Teilurlaub, da er in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschied. Der Innendienstmitarbeiter habe in der zweiten Hälfte des Jahres die sechsmonatige Wartezeit nach § 4 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) erfüllt. Im Sinne des BUrlG bestand das Arbeitsverhältnis ununterbrochen vom 01. Januar 2009 bis zum 12. Oktober 2012.
Der volle Urlaubsanspruch wird erstmalig nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben (§4 Bundesurlaubsgesetz).
Die eintägige Unterbrechung sei für die Erfüllung der Wartezeit nach § 4 BUrlG für das Entstehen des Anspruchs auf Vollurlaub unerheblich. Nicht jede kurzfristige Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses führe zur Unterbrechung der Wartezeit.
Die Auslegung des BUrlG gebiete, zumindest in Fällen, in denen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der gleichen Arbeitgeberin bereits vor dessen Beendigung vereinbart wurde, dass eine kurzzeitige Unterbrechung keine Einschränkung für die volle Urlaubsgewährung darstelle. Eine abweichende Auslegung widerspräche dem Vorrang von Urlaub durch Freizeitgewährung gegenüber dem Abgeltungsanspruch. Die Abgeltung des Urlaubs komme nur in Betracht, falls der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden könne.
Die Rechtsprechung nimmt an, dass ein Ausbildungsverhältnis und ein sich unmittelbar anschließendes Arbeitsverhältnis urlaubsrechtlich als Einheit anzusehen sind, obwohl das Ausbildungsverhältnis ende und ein neues Vertragsverhältnis in Form eines Arbeitsverhältnisses beginne. Die fortdauernde Rechtsbeziehung zwischen den Parteien schließe eine Urlaubsabgeltung aus.
Auf dieser Erkenntnis basiere auch der Vorrang des urlaubsrechtlichen Freizeitanspruchs, sofern das neue Arbeitsverhältnis vor der Beendigung des alten Arbeitsverhältnisses vereinbart wurde.
Das BUrlG verfolge das Ziel, den Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlte Freizeit zu verwirklichen. Die Abgeltung des Urlaubs sei nur für unvermeidbare Ausnahmefälle zuzulassen. Die Ausnahme vom finanziellen Abgeltungsverbot solle nur gelten, wenn der Arbeitnehmer infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Urlaub ganz oder teilweise nicht mehr nehmen kann. Die finanzielle Abgeltung sei nur vorgesehen, um den Arbeitnehmer vor völligem Anspruchsverlust zu schützen.
Die finanzielle Abgeltung sei nicht im gleichen Maße wie die Urlaubsgewährung dazu geeignet, Freizeit zu gewähren. Der finanzielle Betrag könne zwar auch zu Erholungszwecken genutzt werden, indem der Antritt zum neuen Arbeitsverhältnis hinausgeschoben wird, oder während des neuen Arbeitsverhältnisses in Form von unbezahltem Urlaub. Stehe jedoch bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses fest, dass es nur zu einer kurzzeitigen Unterbrechung kommt, ist die Verwendung eines Abgeltungsbetrages damit ausgeschlossen.
Da der Innendienstmitarbeiter in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres ausschied, kam zur Berechnung des Jahresurlaubs nicht die Teilung durch die Anzahl der Arbeitsmonate im Sinne von § 5 BUrlG zur Anwendung. Damit stand ihm der volle ungekürzte arbeitsvertraglich vereinbarte Jahresurlaub zu.
Mit diesem Urteil wird die bisherige Rechtsprechung des BAG nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten. Bisher galt, die Wartezeit beginnt mit der Aufnahme der früheren Beschäftigung erneut (BAG 15. November 2005 – 9 AZR 626/04 – Rn. 26).