Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Umkleidezeiten
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2015, Aktenzeichen 1 ABR 76/13
Umkleidezeiten für besonders auffällige Dienstkleidung können als betriebliche Arbeitszeit gelten. Als besonders auffällig gilt die Arbeitskleidung, wenn die Arbeitnehmer anhand ihrer Dienstkleidung im öffentlichen Raum als Mitarbeiter des Unternehmens ihrer Arbeitgeberin identifiziert werden können.
Die Arbeitgeberin betreibt kommunalen Nahverkehr in Stuttgart und Umgebung mit Straßenbahnen und Bussen. Zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin gab es unterschiedliche Auffassungen, inwiefern Wegezeiten als Arbeitszeit zu bewerten sind. Da keine Einigung erzielt werden konnte, beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Feststellung ihrer Auffassung zu den Wegezeiten.
Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, Wegezeiten des Fahrpersonals, vor und nach einer Schicht, die an einem Fahrzeug außerhalb eines Betriebshofes im Streckenetz beginnen oder enden, stellten keine Arbeitszeiten im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne dar und unterlägen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Ausgenommen seien Zeiten für Wege zwischen der Ablösungs- und Abrechnungsstelle.
Der Betriebsrat beantragte erfolglos vor dem Arbeitsgericht, die Anträge der Arbeitgeberin abzuweisen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Beschwerde des Betriebsrats ab.
Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Betriebsrat die Klageabweisung weiter.
Das BAG hielt die negativen Feststellungsanträge der Arbeitgeberin für unbegründet.
Aus der Klagebegründung der Arbeitgeberin gehe hervor, dass die in den Dienstplänen aufgeführte Arbeitszeit erst beginnen solle, wenn das Fahrpersonal in Dienstkleidung an der Übernahme- oder Ablösestelle erscheine.
Die Anträge der Arbeitgeberin seien unbegründet. Sie umfassten Sachverhalte gemäß § 87 Absatz 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Umkleidezeiten für die Dienstkleidung könnten zur verteilungsfähigen Arbeitszeit gehören. Ebenso die Zeit, die der Arbeitnehmer in Dienstkleidung vom Umkleideort zum Arbeitsplatz benötige. Nach der Rechtsprechung des BAG gehörten Umkleidezeiten zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wenn das Umkleiden einem fremden Bedürfnis diene und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfülle.
Zwischen den Parteien seien zwar in einer Betriebsvereinbarung von 2003 pauschal 10 Minuten pro Schicht für die Vorbereitungs- und Abschlussdienste sowie für den Weg zwischen Ablösungs- und Abrechnungsstelle vereinbart. Die Wegezeiten seien damit nicht berücksichtigt.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Arbeitszeit umfasse Beginn und Ende der Arbeitszeit einschließlich Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage der Arbeitszeit, die gleichzeitig ihre Freizeit beeinflusst, sollen damit gewahrt werden. Als Arbeitszeit gelte die Zeit, in welcher der Arbeitnehmer verpflichtet bzw. berechtigt ist, seine vertraglich geschuldete Arbeit zu leisten. Zur Arbeitszeit gehörten Umkleidezeiten, wenn das Umkleiden einem fremden Bedürfnis diene und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfülle, wie es bei einer besonders auffälligen Dienstkleidung der Fall sei.
Arbeitnehmer hätten kein objektiv feststellbares Interesse, außerhalb der Arbeitszeit gegenüber Dritten ihre Arbeitgeberin offenzulegen. Wird dem Arbeitnehmer jedoch gestattet, seine auffällige Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen und er entscheidet sich, nicht im Betrieb umzukleiden, so sei dies nicht nur fremdnützig, weil der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit keine eigene Kleidung anlegen müsse. Der Weg von der Umkleidestelle zur Arbeitsstelle sei hingegen innerbetriebliche Wegezeit und zähle zur Arbeitszeit. In diesem Fall sei der Weg zwischen Betriebshof und Arbeitsstelle als innerbetriebliche Wegezeit zu berechnen.
Das BAG stellte fest, entgegen der Ansicht des LAG handele es sich um besonders auffällige Dienstkleidung des Fahrpersonals. Auffällig sei die Dienstkleidung, wenn die Arbeitnehmer im öffentlichen Raum aufgrund der Ausgestaltung ihrer Kleidungsstücke als Angehörige ihrer Arbeitgeberin ohne Weiteres erkannt werden können. Eine besonders auffallende Farbe sei dafür nicht notwendig. Es genüge bereits ein Emblem oder Schriftzug, anhand dessen die Mitarbeiter mit dem Unternehmen ihrer Arbeitgeberin in Verbindung gebracht werden. Unabhängig von der Größe komme es nur auf deren Erkennbarkeit an. Der Schriftzug auf der Dienstkleidung des Fahrpersonals könne von Dritten dem Unternehmen der Arbeitgeberin zugeordnet werden. Nach dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung von 2011 diene die Dienstkleidung zur Herstellung eines einheitlichen Erscheinungsbildes des Fahrpersonals sowie dessen Erkennbarkeit in der Öffentlichkeit.
Ob die Wege und Umkleidezeiten der betrieblichen Arbeitszeit anzurechnen seien, hänge vom Umkleideort des Fahrpersonals ab. Kleide sich das Fahrpersonal in der Wohnung und begebe sich auf direktem Weg zur Übergabestelle, handele es sich nicht um betriebliche Arbeitszeit. Wird die Arbeitskleidung nicht im Betrieb gewechselt, läge keine ausschließliche Fremdnützigkeit zum Tragen der Dienstkleidung vor. Wird hingegen eine betriebliche Umkleidestelle genutzt, gälten die Umkleide- und Wegezeiten als betriebliche Arbeitszeit.
Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei sozialen Angelegenheiten diene dem Schutz der Arbeitnehmer in Form einer gleichberechtigten Teilhabe an den sie betreffenden Angelegenheiten. Der Zweck der Mitbestimmung werde regelmäßig als erfüllt angesehen, wenn bereits eine die Arbeitgeberin bindende Regelung in einem Gesetz oder Tarifvertrag vorliegt.
In dem für das Fahrpersonal gültigen Tarifvertrag wurden keine vom gesetzlichen Arbeitszeitbegriff abweichende Regelung über die betriebliche Arbeitszeit im Sinne von § 87 Absatz 1 Nr.2 BetrVG getroffen. Entscheide sich das Fahrpersonal, die Dienstkleidung erst an einem von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Ort zu wechseln, handele es sich um einen von der Arbeitgeberin angewiesenen Aufenthaltsplatz iSd. § 7 Anlage 3 BzTV-N BW (Bezirkstarifvertrag für die kommunalen Nahverkehrsbetriebe Baden-Württemberg).
Das BAG nahm schließlich darauf Bezug, dass Vorbereitungs- und Abschlussdienste laut Bezirkstarifvertrag in die Arbeitszeit eingerechnet würden. Die Arbeitgeberin gestatte dem Personal im Fahrdienst, mitzuführende Arbeitsmittel an einem der Betriebshöfe der Arbeitgeberin in Empfang zu nehmen und abzugeben. Zu diesen gehören, der Verbundfahrplan, der Wegweiser der Stadt Stuttgart, Formulare für Fundsachenmeldungen, Anträge auf Fahrgeldrückerstattung sowie das Wechselgeld und einen Wechsler. Die erforderliche Zeit für diese Wege sei betriebliche Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, da diese Tätigkeit einem fremden Bedürfnis diene und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis des Arbeitnehmers erfülle. In diesem Fall handele es sich ebenso um Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG (Arbeitszeitgesetz). Arbeitnehmer seien regelmäßig nicht verpflichtet, Arbeitsmittel, die sie in der dienstfreien Zeit nicht nutzen, nach Beendigung ihrer Arbeitszeit für die Arbeitgeberin zu verwahren.
Was können wir für Sie tun? Nehmen Sie gerne Kontakt auf
Tel. (030) 25 29 98 43 | 25 29 93 68
oder nutzen Sie das Kontaktformular.