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Vergütungsanspruch für Überstunden und Bereitschaftsdienst

Anspruch auf Vergütung geleisteter Sonderarbeit und Mehrarbeit

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2015, Aktenzeichen 5 AZR 751/13

Wird im Arbeitsvertrag der teilweise Ausschluss einer gesonderten Vergütung von Mehrarbeit und Sonderformen der Arbeit formuliert, ist diese Formulierung unwirksam. Die Rechtsordnung sieht einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung von Mehrarbeit und Sonderarbeit vor.

Ein Pannenhelfer war für ein monatliches Entgelt von 1 000 Euro Netto beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag waren in der Vergütung bereits 30 Einsätze pro Monat außerhalb der normalen Arbeitszeit enthalten. Not- und Bereitschaftsdienst wurden nicht gesondert vergütet. Hingegen war eine Zulage für zusätzliche Einsätze von 10 Euro brutto während des Bereitschaftsdienstes vorgesehen.

Nach Beendigung seiner Tätigkeit bei der Arbeitgeberin machte der Pannenhelfer vor dem Arbeitsgericht geltend, ihm stünde eine übliche Vergütung von 1992,- Euro zu. Sein monatliches Entgelt sei durch die umfangreichen, nicht gesondert vergüteten Bereitschaften, sittenwidrig niedrig gewesen. Zumindest seien Überstunden und passive Bereitschaft zusätzlich zu vergüten. Im Beschäftigungszeitraum habe er 516 Stunden Einsatzzeit geleistet.

In der Zurückweisung der Klage argumentierte die Arbeitgeberin, das vereinbarte Entgelt halte sich im üblichen Rahmen. Es sei auch unter Berücksichtigung der Bereitschaften nicht sittenwidrig niedrig. Es fehle an den subjektiven Anforderungen des Lohnwuchers und des wucherähnlichen Geschäfts.

Das Arbeitsgericht verurteilte die Arbeitgeberin zu einer Zahlung in Höhe von 2 000 Euro (etwa 7% der Forderungen des Pannenhelfers) und wies die Klage im Übrigen ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung des Pannenhelfers zurück.

Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte der Pannenhelfer seine Forderungen weiter.

Das BAG entschied, das LAG habe die Klage zu unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Der Pannenhelfer habe Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaftsdienste.

Der Pannenhelfer habe jedoch unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit keinen Anspruch auf weitere Vergütung für die normale Arbeitszeit. Er gehe selbst davon aus, dass in der Region Mecklenburg-Vorpommern ein Entgelt von 1 000 Euro für die vereinbarte Tätigkeit bei einer Normalarbeitszeit von 40 Stunden nicht sittenwidrig niedrig sei.

Werde im Arbeitsvertrag der teilweise Ausschluss einer gesonderten Vergütung von Mehrarbeit und Sonderformen der Arbeit formuliert, sei diese Formulierung unwirksam. Die Rechtsordnung sehe einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung von Mehrarbeit und Sonderarbeit vor.
 
Entsprechend dem allgemeinen Erscheinungsbild des Formulararbeitsvertrages gelten die Klauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Es bestehe auch Einigkeit darüber, dass der Pannenhelfer in einem Vollarbeitsverhältnis mit einer 40-Stundenwoche in Normalarbeitszeit stand, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag festgehalten wurde.

Fehlt eine ausdrückliche Festlegung in einem Formulararbeitsvertrag, darf ein Vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer davon ausgehen, dass die regelmäßige Arbeitszeit auf einer 5-Tage-Woche basiert und bei 8 Stunden pro Arbeitstag (§ 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz) 40 Wochenstunden nicht übersteigt.

Die Klauseln des Arbeitsvertrages zur Pauschalvergütung von Überstunden sowie Not- und Bereitschaftsdienst seien wegen mangelnder Transparenz nach § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. Abs. 1 Satz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) unwirksam.

Eine Formulierung zur Pauschalvergütung von Überstunden sei nur klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergebe, welche Arbeitsleistung in welchem zeitlichen Umfang damit erfasst wird. Der Arbeitnehmer müsse bereits bei Vertragsabschluss erkennen können, welche Arbeitsleistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Das gelte auch für Sonderformen der Arbeit wie Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft, die außerhalb der normalen Arbeitszeit erbracht werden.

Die Klauseln im Arbeitsvertrag seien nach diesen Grundsätzen nicht klar und verständlich. Deshalb habe der Pannenhelfer Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaften und der dabei angefallenen Vollarbeit, unabhängig davon ob es sich um Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft gehandelt habe.

Für Sonderformen der Arbeit könne eine gesonderte Vergütungsregelung mit verringertem Entgelt als für Vollarbeit erstellt werden. Diese Möglichkeit wird im Arbeitsvertrag genutzt. Allerdings sei es nicht gelungen, eine in sich geschlossene Vergütungsregelung aufzustellen.

Die Pauschalvergütung eines Teils der Vollarbeit sei intransparent. Für die inaktive Bereitschaft wurde hingegen versäumt, das arbeitsvertraglich vorgesehene Pauschalentgelt festzusetzen. Die gesonderte Vergütung von Bereitschaftsdiensten sei somit unvollständig.

Die Widersprüche und Lücken im Arbeitsvertrag zur Vergütung von Bereitschaften seien vom LAG, nach eventuellem Sachvortrag der Parteien im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu beheben. Diese hat sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben zu orientieren. Maßgeblich ist, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Parteien vereinbart hätten.

Der Vergütungsanspruch für die geleisteten Bereitschaften sei auch nicht nach der Ausschlussfristenregelung des Arbeitsvertrages verfallen. Die Klausel halte der Kontrolle nach § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB nicht stand, weil die Kürze der Fristen den Pannenhelfer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteilige.
 

Das Urteil des LAG wurde aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.