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Betriebsrat hat Mitbestimmungsrecht bei Mehrarbeit

Betriebsrat muss Arbeit an Wochenenden und Feiertagen zustimmen

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 15.07.2016, Aktenzeichen 13 TaBVGa 2/16

Ohne Zustimmung des Betriebsrats darf die Arbeitgeberin keine Arbeit an Wochenenden und Feiertagen beauftragen, es sei denn, es liegt ein Beschluss der Einigungsstelle oder ein Notfall vor.

In einem Betrieb mit 880 Arbeitnehmern leitete der Betriebsrat beim Arbeitsgericht das Verfahren einer einstweiligen Verfügung ein.

Zunächst forderte der Betriebsrat vergebens von der Arbeitgeberin die Zusicherung, dass künftig ohne Zustimmung des Betriebsrats keine Mehrarbeit angeordnet oder entgegengenommen werde. Nach dem Beschluss des Betriebsrats wurde noch am gleichen Tag ein Eilverfahren beim Arbeitsgericht eingeleitet.
 
Der Verfügungsgrund ergebe sich, da dem Betriebsrat bei der Durchsetzung seiner Ansprüche im ordentlichen Verfahren sein Mitbestimmungsrecht zeitweise unwiederbringlich verloren gehe. Es sei bereits an einem Wochenende ohne seine Zustimmung zu Mehrarbeit durch mindestens 10 Arbeitnehmer gekommen. Bei Zuwiderhandlung solle ein Ordnungsgeld angedroht werden.

Die Arbeitgeberin argumentierte, sie bewege sich am Rande der Insolvenz. Sie sei dringend auf die Leistung von Mehrarbeit angewiesen. Die Lieferverpflichtungen an die Kunden könnten wegen der ungewöhnlich hohen Krankenstände nicht erfüllt werden. Der Betriebsrat mache seine Zustimmung von sachfremden Erwägungen abhängig. Es werde rechtsmissbräuchlich der Verzicht auf eine Einigungsstelle und eine Patronatserklärung eines anderen Konzernunternehmens im Rahmen der laufenden Verhandlungen zum Sozialplan verlangt.

Das Arbeitsgericht gab dem Antrag des Betriebsrats statt. Die Arbeitgeberin legte Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein. Der Betriebsrat könne sich nicht auf sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) berufen, da er die einvernehmliche Lösung zur Wochenendarbeit von Vereinbarungen zu den Sozialplanverhandlungen abhängig mache.

Der Betriebsrat argumentierte, es liege kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vor. Das ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Gespräche zur Betriebsänderung wegen ihres betriebsübergreifenden Charakters vom Gesamtbetriebsrat geführt würden. Die Forderung der Arbeitgeberin, für die nächsten rund 18 Monate ohne weitere Beteiligung des Betriebsrats Mehrarbeit durchzuführen, sei völlig überzogen. Die betroffenen Arbeitnehmer würden dadurch übermäßig belastet.

Das LAG wies die Beschwerde der Arbeitgeberin als unbegründet ab.

Dem Betriebsrat stehe im Falle der Verletzung seines Mitbestimmungsrechts ein allgemeines Unterlassungsrecht zu. Der Anspruch beruhe auf dem Gebot zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Absatz 1 BetrVG. Danach habe die Arbeitgeberin alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung bestehender Mitbestimmungsrechte durch den Betriebsrat entgegenstehe.

Die Arbeitgeberin habe ohne Zustimmung des Betriebsrats Mehrarbeit leisten lassen und damit gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nr. 3 BetrVG verstoßen.

Der von der Arbeitgeberin erhobene Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Betriebsrats stehe dieser Entscheidung nicht entgegen.

Es sei darauf hinzuweisen, dass die Verhandlungen zum Sozialplan vom Gesamtbetriebsrat geführt würden und damit nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des antragstellenden Betriebsrats falle. Unabhängig davon könne ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betriebsrats nicht dazu führen, dass die zwingenden Vorgaben aus § 87 Absatz 2 BetrVG zur Lösung von Konflikten in Arbeitszeitfragen durch alleinige Entscheidung der Arbeitgeberin ersetzt würden.

Eine einseitige Regelung für mitbestimmungspflichtige Maßnahmen durch die Arbeitgeberin sei vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Selbst wenn die Arbeitgeberin von einem Missbrauch ausgehe, habe sie den zwingenden Weg der Einigungsstelle zu suchen. Sie könne dort unter Darlegung des Sachverhalts zu einer schnellen Entscheidung zu ihren Gunsten gelangen.

Es wäre Aufgabe der Arbeitgeberin gewesen, rechtzeitig vor Ablauf der geltenden Vereinbarung mit dem Betriebsrat in Verhandlungen über die Ableistung weiterer Mehrarbeit zu treten und beim Scheitern zeitnah die Einigungsstelle zu bilden. Der Betriebsrat habe in seiner E-Mail auf diese Regelungsnotwendigkeit unmissverständlich hingewiesen.

Der Verfügungsgrund beruhe auf dem möglichen drohenden Rechtsverlust des Betriebsrats hinsichtlich seines Mitbestimmungsrechts zur Ableistung von Mehrarbeit an Wochenenden und Feiertagen bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

Die Arbeitgeberin habe zu unterlassen, bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Mehrarbeit an Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen anzuordnen oder zu dulden solange nicht die Zustimmung des Betriebsrats oder die Entscheidung der Einigungsstelle vorliegt, es sei denn, ein Notfall liege vor. Bei Zuwiderhandlung wurde ein Ordnungsgeld bis zu 10 000,-€ je Einzelfall angedroht.